06.09.2006

"Indigene sind die marginalisierteste Gruppe innerhalb der russischen Gesellschaft"

Interview mit Mikhail Todyshev, Vizepräsident des Dachverbandes russischer indigener Völker "RAIPON"

Mikhail Todyshev

Frage: In den letzten Monaten ist in Russland der Anstieg rassistisch motivierter Gewalttaten zu beobachten. Hat dieser Rassismus Auswirkungen auf Angehörige indigener Gruppen?

Todyshev: Die Neonazis und Skinheads machen da keinen Unterschied. Wer nicht so aussieht, wie sie sich einen Russen vorstellen, ist in Gefahr. Mir selbst ist das vor kurzem passiert: Ich ging eine Strasse entlang, als mich ein junges Mädchen beschimpfte und mir sagte, ich solle dorthin gehen, wo ich herkomme. Ich sagte dann "Meine Liebe, sie kennen mich doch gar nicht. Wie können sie alleine aufgrund meines Äußeren anfangen mich zu beschimpfen?"  Auch die Behandlung durch die Behörden in den Regionen, wo indigene Gruppen leben, zeigt immer wieder sehr deutlich, was sie von uns denken. Auch daher ist es sehr wichtig, dass wir mehr und mehr gut ausgebildete Leute haben, die diesem Bild entgegen treten können.

Frage: Wir bekamen in der letzten Zeit Nachrichten von den Ewenken am Amur. Dort wurde eine Strasse gebaut, die Rentierzüchter wurden zurück gedrängt und schikaniert. Unter ihnen kam es zu einer Häufung von Selbstmorden. Gibt es Neuigkeiten dazu?

Todyshev: Unsere Organisation RAIPON hatte dazu eine Anfrage an den russischen Generalstaatsanwalt gerichtet. Inzwischen haben wir eine Antwort bekommen, die sehr negativ ist. Der Staatsanwalt sagt, es sei dort recherchiert worden, aber unsere Vorwürfe entbehrten jeglicher Basis. Leider ist es immer wieder das Selbe in solchen Fällen. Aber wir werden die Ewenken am Amur natürlich weiter unterstützen und wissen, dass die GfbV ja auch schon initiativ geworden ist.

Frage: Die GfbV hatte sich wie viele andere Menschenrechtsorganisationen auch, für die Ureinwohnergruppen auf Sachalin eingesetzt, die gegen die rücksichtslose Öl- und Gasförderung auf ihrem Land protestiert hatten. Wie ist die Lage denn dort im Moment?

Todyshev: Es gibt drei große Unternehmen oder auch Konsortien, die auf Sachalin arbeiten. Mit einem, "Sachalin Energy", wo die britische Shell den größten Anteil hat, wurden Gespräche geführt, es gibt gemeinsame Anstrengungen und den Willen, die Vertreter der indigenen Gruppen in alle Schritte mit einzubeziehen. Die anderen beiden Unternehmen, Exxon und Rosneft jedoch haben bislang jegliches Gesprächsangebot ausgeschlagen. Nun sollen erst einmal Mahnwachen vor den Zentralen dieser Unternehmen auf Sachalin statt finden, wenn das noch nicht zum Gespräch führt, dann werden die Vertreter der Indigenen auch hier wieder Blockaden errichten.

Frage: Herr Todyshev, Sie sind so etwas wie der Außenminister der in RAIPON zusammengeschlossenen Ureinwohnergruppen. In dieser Funktion haben Sie auch den langen Prozess, der zur Annahme der Deklaration über indigene Rechte bei der UN-Menschenrechtskommission am 25.6. geführt hat, begleitet. Nun muss die Generalversammlung in New York noch zustimmen. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dieser Deklaration?

Todyshev: Zuerst möchte ich allen Ländern danken, die für die Deklaration gestimmt haben, neben Mexiko, Kanada, Guatemala und Peru hat die EU in diesem Prozess eine sehr große Rolle gespielt. Wir sind sehr zufrieden mit dem Text der Deklaration, der weit über das hinaus geht, was in vielen Ländern die indigene Bevölkerung betreffend in den Verfassungen steht. Russland hat ja gegen die Deklaration gestimmt. Wir glauben, dass das eine sehr dumme und wenig weitsichtige Entscheidung war. Wenn die UN-Generalversammlung für die Deklaration stimmt, dann besagt die russische Verfassung, dass sie als international gültige Norm auch in Russland beachtet werden muss. Außerdem hat sich Russland durch die Ablehnung ein negatives Image verschaffen was seine Indigenenpolitik anbelangt. Das bräuchte Russland gar nicht, weil die Rechte der Indigenen in den russischen Gesetzen eigentlich ganz gut verankert sind. Wir führen daher einen Dialog mit dem russischen Außenministerium und mit anderen Ministerien, um die Entscheidungsträger dort davon zu überzeugen, dass sie in der Generalversammlung für die Deklaration stimmen sollen. Als weiteren Schritt haben wir unsere indigenen Gemeinden aufgefordert, sich in Briefen an die Regierung zu wenden und die Annahme der Deklaration zu fordern. Ende des Monats kommt der russische Premierminister Fradkov mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft zusammen, um über die Entwicklung der nördlichen Regionen zu beraten. Der Präsident unserer Organisation RAIPON ist dazu eingeladen. In seiner Rede wird er die Zustimmung zur Deklaration fordern. Wir versuchen also auf allen uns zugänglichen Ebenen der Lobbyarbeit aktiv zu werden. Unsere Hoffnung ist, dass die Deklaration bald in eine UN-Konvention umgewandelt wird. Das wäre dann noch ein viel verbindlicheres völkerrechtliches Instrument.

Frage: Sie haben vorhin die russische Verfassung und die in ihr und den Regionalverfassungen verankerten Rechte indigener Gruppen erwähnt. Woran liegt es denn, dass diese Rechte nicht umgesetzt werden?

Todyshev: So eine Verfassung ist wie ein Arbeitsgerät, wie ein Hammer zum Beispiel, dessen Qualität zeigt sich auch erst, wenn man beginnt mit ihm zu arbeiten. Man muss fragen, wer die Umsetzung der Bestimmungen verhindert und man muss fragen, welche Institutionen in Russland dafür verantwortlich sind, dass die Verfassung umgesetzt wird. Die Staatsanwaltschaft ist eigentlich so ein Kontrollinstrument. RAIPON hat sich auch schon mehrmals an die Staatsanwaltschaft gewandt. Wenigstens bekommen wir von dort auf unsere Anfragen auch eine Antwort. Dann sind natürlich die Gerichte dafür verantwortlich Gesetzesbrüche zu ahnden. In den unterschiedlichen russischen Regionen gibt es da auch positive Erfahrung. Wichtig ist, dass Präzedenzfälle geschaffen werden, auf die man dann überall zurückgreifen kann. Es wäre sehr interessant, einmal solche Urteile zusammen mit Experten zu analysieren und ganz konkret zum Beispiel die Umweltgesetzgebung anzuschauen. Wichtig ist auch, die Gesetzgebung in den Regionen mit der in der Zentrale abzugleichen. Da gibt es gerade was die indigenen Gruppen anbelangt Widersprüche, die es aufzulösen gilt. Auch hier müsste eine Expertenrunde ganz konkrete Vorschläge erarbeiten.

Frage: Sie fahren morgen auf eine Konferenz zum Thema der Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation ILO, der einigen Konvention, in der die Rechte der indigenen Völker international festgeschrieben sind. Was erhoffen Sie sich von der Konferenz?

Todyshev: Ich bin der GfbV sehr dankbar, dass sie mich nach Deutschland eingeladen hat. In Deutschland wird viel Lobbyarbeit für die ILO-169 gemacht und in Iserlohn werden sowohl Experten aus Deutschland als auch aus Lateinamerika erwartet. Für uns ist dieser internationale Austausch sehr wichtig, gerade vor dem Hintergrund, dass ich für November 2006 eine russlandinterne ILO-169 Konferenz vorbereite. Ich erhoffe mir also konkret Erfahrungsaustausch und viele neue Kontakte. 

Das Interview führte und übersetzte Sarah Reinke, Europareferentin der GfbV</>