29.04.2005

Indigene als Sensoren der Weltpolitik - Bilanz aus Sicht der Betroffenen.

Die indigenen Völker bilden nur fünf Prozent der Weltbevölkerung. Diese fünf Prozent besetzen 20% der Weltoberfläche – dort befindet sich 80% der Welt-Biodiversität. Die Regenwälder am Amazonas, in Zentral-Afrika, Asien und Melanesien sind Heimat für mehr als die Hälfte der indigenen Völker der Erde, mit der höchsten Artenvielfalt der Welt. Der Verein der traditionellen amerikanisch-indianischen Bauern (Asociación de Agricultores Nativos Americanos Tradicionales) schätzt, dass die indigenen Völker 65% der weltweit verbrauchten Arten landwirtschaftlicher Produkte anbauen.

Die vergangenen zehn Jahre wurden von sozialen und ökologischen Konflikten gekennzeichnet.

Die Ursachen dafür:

  • Der ökonomische Neoliberalismus und die Globalisierung der Konzerne.
  • Das Wiedererwachen der indigenen Bewegungen und der lokalen Gemeinschaften, die auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit drängen.
  • Die global wirkenden Wirtschafts-, Finanz-, und Handelsabkommen der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank verhindern nationale und lokale Lösungen. Der weltweite politische Dialog über Umwelt und Entwicklung wird von weltweiten ökonomischen Beschlüssen nichtig gemacht. Im Widerspruch zur Agenda 21, die einen Schutz des Landes der Indigenen festlegt, hat die globale Weltwirtschaft die immer intensivere Ausbeutung der Bodenschätze in Territorien der indigenen Völker durch multinationale Konzerne nicht nur erleichtert, sondern sogar gefördert:

  • In Alaska ist die 1,5 Millionen Acre große Küstenebene der Arktischen Fauna - Schutzzone (ANWR) von einem Erforschungsprojekt ernsthaft bedroht: Die geplante Aufhebung der Schutzzone gefährdet das Weideland der Karibus. Von diesen wiederum hängt der Lebensstil und das kulturelle Erbe der Gwich’in in Alaska und Kanada ab.
  • In Oklahoma (USA) ist die Existenz der Kickapoo vom Bau einer Autobahn bedroht. Das Großprojekt ist Teil des Wirtschaftsabkommens NAFTA. In vier Jahren Planung haben die USA dieses Projekt nicht mit der Nation der Kickapoo abgesprochen.
  • Die Ausbeutung von Minen auf den Philippinen, in Indonesien, Indien, Peru, Guyana, Kolumbien, Ghana und vielen anderen Ländern, bedroht ernsthaft die dortigen indigenen Völker.
  • Der Ausbau des Bakun-Staudammes in Malaysia, der 80.000 Hektar Regenwald zerstören und die Zwangsumsiedlung von 8.000 Menschen mit sich bringen wird, ist ein klares Beispiel für eine nicht mit der Umwelt und den Menschen verträgliche Energiegewinnung.
  • Das internationale Recht, das für die internationale Staatengemeinschaft bindend sein müsste, erkennt verschiedene Rechte der indigenen Völker an (siehe die Bestimmungen der ILO-Konvention 169). Diese Rechte werden aber nicht beachtet: Es gibt keine amtliche Anerkennung indigener Ansprüche auf Land, Territorium und Bodenschätze; es gelten weiterhin Gesetze und Anordnungen, die Indigene benachteiligen; es gibt keine Demarkationen der Territorien; Gesetze, die indigene Territorien schützen, werden nicht umgesetzt, die Regierungen halten an Zwangsumsiedlungen fest.

    Indigene Völker und die internationale Umweltpolitik

    Das Abkommen über die Biodiversität hat das traditionelle Wissen über Flora und Fauna der indigenen Völker anerkannt, gleichzeitig aber wird ihre Kultur und ihr Wissen darin nur schwach geschützt. Laut dem Abkommen müssen die indigenen Völker fallweise mit ihren jeweiligen Regierungen um den intellektuellen Besitz verhandeln. So werden die Indigenen durch das Abkommen weiterhin benachteiligt, es wird die nationale staatliche Souveränität auf Kosten der Territorien der Ureinwohner gestärkt.

    Die 5. Konferenz über Biodiversität hat jedoch einige wichtige Punkte in das Abkommen aufgenommen, wie die Teilnahme der indigenen Völker an verschiedenen Arbeitsprogrammen des Abkommens, die Anerkennung der spezifischen Rolle der Frauen bei der Erhaltung der Umwelt, die Anerkennung des Internationalen Indigenen Forums über Biodiversität als beratendes Gremium und die Aufnahme von indigenen Delegierten in den offiziellen Verhandlungs-Delegationen zur Biodiversität. Jetzt müssen diese Punkte auch in nationale Programme und Planungen aufgenommen werden, damit sie konkret und mit der aktiven Teilnahme der indigenen Völker verwirklicht werden.

    In den weltweiten Klima-Verhandlungen waren die indigenen Völker bisher nicht vertreten. Die Teilnahme ist mehr als notwendig. Denn die beschlossenen Projekte, wie beispielsweise das Anlegen von Großplantagen zur Verringerung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen, sind zwar gut gemeint, aber schädlich und gefährlich für das öko-System - und somit für das überleben indigener Völker. Gut gemeinte Entwicklungsprojekte haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits enorme Schäden an Kultur, Lebensweise und Umwelt der Indigenen angerichtet. Das darf sich nicht mehr wiederholen. Deshalb ist es unerlässlich, dass Entwicklungsprojekte und Entwicklungspolitik zusammen mit den betroffenen indigenen Völkern ausgearbeitet werden.

    Konservative Lobbies haben mit dem vorgeschobenen Ziel der Erhaltung von Flora und Fauna ihre wirtschaftlichen Aktivitäten verschleiert. Die Folge war zwar einerseits ein besserer Schutz der Umwelt, andererseits aber wurden dadurch auch die traditionellen Lebensweisen zerstört. So hat das Verbot der Seehund-Jagd deren Bestand wieder erhöht, die traditionelle Wirtschaft der Inuit aber zerstört. ähnlich war es auch bei der Fruchtwechselwirtschaft der Amazonas-Völker. Ihre verschiedenen Anbaumethoden wurden als umweltzerstörend verboten. Die Folgen waren nicht nur wirtschaftlich katastrophal, sondern auch sozial, kulturell, psychologisch und gesundheitlich verheerend. Beispiele wie diese gibt es zuhauf. Es ist notwendig, und davon müssen die Umweltschützer des Nordens überzeugt werden, zwischen Raubbau/Raubjagd und nachhaltiger Wirtschaft zu unterscheiden.

    Eine gesunde Umwelt, die Ausübung der eigenen Spiritualität, das Recht auf Selbstbestimmung sind Faktoren, von denen die geistliche, körperliche und soziale Gesundheit der indigenen Gemeinschaften abhängt. Weltweit weisen die Urvölker die miserabelsten Gesundheitsstatistiken auf: die Kindersterblichkeitsrate der Mohawk in den USA und in Kanada ist doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt, die Selbstmordrate der Indigenen in Brasilien, Alaska, Kanada, usw. ist erschreckend, die U’wa in Kolumbien glauben, dass ein kollektiver Selbstmord die einzig mögliche Antwort auf die Erdölbohrungen in ihrem Territorium ist.

    Das Abkommen zwischen USA und Kolumbien, bekannt unter den Namen "Plan Colombia", sieht unter anderem vor, dass illegale Mohn- und Kokaplantagen durch Herbizide zerstört werden. Dabei wird nicht nur wahllos alles zerstört (Felder von Kleinbauern und Indigenen, deren Nutztiere, Wasserquellen, die Umwelt allgemein), es bestehen auch große und ernsthafte Risiken für die Gesundheit der Menschen. Trotzdem weigern sich die kolumbianische und amerikanische Regierung, die genaue Zusammensetzung der Gifte sowie die Art und Weise, den genauen Zeitpunkt und Ort der Sprühungen bekanntzugeben. Man kann in diesem Fall zweifellos von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen sprechen, die sogar das Recht auf Leben missachten.

    In Anbetracht der bisher angeführten Beispiele und überlegungen, die endlos weitergeführt werden könnten, gewinnen einige der Forderungen und Vorschläge der indigenen Völker, die in den internationalen Verhandlungen abgewiesen worden sind, erneuert an Aktualität und Wichtigkeit:

  • Recht auf Selbstbestimmung und Eigenentwicklung;
  • Anerkennung als "verschiedenartige" Völker;
  • ausdrückliche Anerkennung des kollektiven Landrechts;
  • indigene Mitbestimmung bei Projekten, die indigenes Land betreffen;
  • Verabschiedung der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker und deren Aufnahme in die Agenda 21 sowie in die nationalen Forstprogramme;
  • Bereitstellung von Mitteln, um indigenen Vertretern die Teilnahme an den UN-Foren zu ermöglichen.
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    Wir hoffen, dass endlich eine Zeit der konstruktiven und konkreten Arbeit hin zu einer nachhaltigen Entwicklung beginnt. Eine Zeit, in der die Ziele, die sich die Weltgemeinschaft 1992 gesetzt hat, umgesetzt werden. Eine Zeit, in der die Beziehungen zwischen den facettenreichen Lebensformen wichtig werden. Eine Zeit, in der es den politischen Willen gibt, diese wunderbaren Lebensformen zu schützen und zu bewahren. Eine Zeit, in der eine wirkliche Verständigung zwischen den Völkern, die Erhaltung unserer Lebensräume erleichtert und ermöglicht wird.

    Victoria Tauli Corpuz, Forschungszentrum Tebtebba der indigenen Völker der Philippinen

    übersetzung: Sabrina Bussani