22.09.2005

Im Schatten der Tabakpflanze

Malawi

Malawi, eines der ärmsten Länder der Welt, liegt umschlossen von Tansania, Mosambik und Sambia im südlichen Afrika. Auf einer Fläche von rund 120.000 km2, was einem Drittel von Deutschland entspricht, leben fast 12 Millionen Menschen.

Wirtschaftlich wie sozial befindet sich das Land im hinteren Feld der internationalen Statistiken. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt liegt bei über 50 Prozent und bildet dadurch für den größten Teil der Bevölkerung die Lebensgrundlage. Neben Baumwolle, Erdnüssen und Kaffee wird vor allem Tabak angebaut. Die Tabakindustrie beschäftigt in Malawi ungefähr 1,6 Millionen Menschen.

Der Ausgangspunkt für den Tabakboom ist in den 1960er Jahren zu suchen, als die Weltbank die Ausweitung des Tabakanbaus mit umfangreichen Krediten förderte. Seitdem hat sich die Tabakanbaufläche in Malawi mehr als verdoppelt. Heute erreichen Tabakprodukte einen Anteil von knapp 60 Prozent an den malawischen Exporterlösen. Die Euphorie der 1960er Jahre ist jedoch längst verflogen, der Traum vieler Bauern nach einer besseren Zukunft ebenso.

Teufelskreis der Abhängigkeiten

Der Tabakanbau ist eine körperlich schwere und langwierige Arbeit. Sobald die Tabakblätter zum Verkauf angeboten werden können, liegt hinter jedem Kleinbauern ein halbes Jahr voller Arbeitsmühen und finanzieller Engpässe. Das Geld für Saatgut, Dünger, Pestizide und landwirtschaftliches Gerät müssen sich die meisten Tabakpflanzer leihen, um überhaupt mit dem Anbau beginnen zu können. Doch für die wenigsten Bauern lohnen sich die Investitionen. Denn mit dem Erlös aus ihrer Ernte können sie zumeist nur ihren Kredit zurückzahlen und sich mit dem restlichen Bargeld knapp über Wasser halten. Andere Kleinbauern dagegen können nicht einmal ihre Schulden bezahlen und müssen weitere Kredite aufnehmen, um die Ernährung ihrer Familie bis zur nächsten Pflanzung abzusichern. Die Tatsache, dass die meisten Bauern vertraglich an Tabakfirmen gebunden sind, engt ihre Aktivitäten zusätzlich ein. Sie müssen sich dazu verpflichten, die Utensilien wie Saatgut und Dünger sowie ihre Kredite direkt von der Tabakfirma zu beziehen. Dazu kommt die Bedingung, die Ernte nur an diese zu verkaufen. Durch diese Faktoren geraten sie schnell in die Abhängigkeit der Tabakfirmen. Nur wenigen gelingt es, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Hingegen geraten andere Kleinbauern, die ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, immer tiefer in eine finanzielle Schieflage. Durchschnittlich bleiben von jeder in Deutschland verkauften Zigarettenschachtel drei Cent für den Kleinbauern übrig.

Andere Tabakpflanzer lassen sich als Pächter auf Tabakplantagen anwerben. Diese Kleinpächter versprechen sich dadurch unter anderem den Zugang zu landwirtschaftlichen Investitionsgütern, die unter subsistenzwirtschaftlichen Bedingungen nur sehr schwer zu erreichen wären. Ein Pachtvertrag kann nach jeder Anbausaison von dem Besitzer oder Verwalter gekündigt werden. Die Pächter besitzen also keine Sicherheit für die Zukunft. Die geernteten Tabakblätter werden in zwölf verschiedene Qualitätsstufen und damit verbundene Preisstufen eingeteilt. Die Entscheidung über die Einstufung des Tabaks liegt alleine in den Händen der Verwalter und Besitzer. Die Kleinpächter haben dadurch keine Gewähr, den Gewinn zu erhalten. Zumeist decken die Ernteerlöse gerade noch die Kosten für die vorgestreckten Betriebsmittel. Diese Pächter arbeiten in der Anbausaison ausschließlich für die Erhaltung ihres minimalen Lebensstandards.

Die Familien leben häufig nur in kleinen und engen Häusern ohne Anschluss an eine Latrine oder andere sanitäre Einrichtungen. Auf dem Land bestehen die Häuser der Kleinbauern aus Lehmwänden und einem Strohdach. Die Behausungen von Pächtern auf Plantagen bestehen hauptsächlich nur aus Pfosten mit einem Grasdach darüber und umfassen etwa zehn Quadratmeter. Durch die oft kurze Aufenthaltsdauer auf einer Plantage sind die Häuser nur für einen begrenzten Zeitraum ausgelegt. Die Pächter müssen in der Regel auch für die Bereitstellung von Gras und Pfosten Abgaben an die Plantage zahlen. Über eine geregelte Wasserversorgung verfügt nur ein Bruchteil der Familien auf dem Land. Hauptsächliche Wasserressourcen sind in den meisten Fällen Wasserlöcher, Bäche oder Flüsse, deren Wasser selten in gutem hygienischem Zustand ist. Lediglich auf großen Betrieben existiert ein Trinkwasserbrunnen.

Kindheit auf dem Feld

Die Schatten der Tabakindustrie wirken sich auch besonders auf das Leben der Kinder aus. Vielen Kindern ist – wenn überhaupt – der Schulbesuch nur ein paar Jahre lang möglich. In Malawi gehen bis zu 90 Prozent der Kinder unregelmäßig oder überhaupt nicht zur Schule. Sie müssen den Eltern auf den Tabakfeldern helfen oder zusätzlich Geld verdienen und haben so keine Zeit für die Schule. Eine höhere Bildung bleibt ihnen zwangsläufig versagt, was dazu führt, dass sie keine besser bezahlten Berufe ausüben können und sich ebenfalls als Kleinbauern, Tagelöhner oder Plantagenarbeiter verdingen müssen. Kinder sind besonders anfällig für die gesundheitlichen Folgen der Arbeit in den Tabakfeldern. Durch den Kontakt der Haut mit nassen Tabakblättern wird Nikotin übertragen, was bei Kindern zu schwereren Folgen als bei Erwachsenen führen kann. Diese Krankheit, deren Symptome unter anderem Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und Schwankung des Blutdrucks und des Pulses sind, heißt Green Tobacco Sickness (GTS). Kinder verdienen trotz uneingeschränkter Arbeitsbelastung als Tagelöhner nur die Hälfte der erwachsenen Männer.

Bei Erwachsenen und bei Kindern besteht die Gefahr durch die versprühten Pestizide vergiftet zu werden. Pestizide werden unter anderem gegen Nematoden (Fadenwürmer) und gegen die so genannte "Bushy Tops Krankheit" verwendet, die durch Blattläuse übertragen wird und genetische Schäden an der noch unreifen Tabakpflanze verursacht. Da sich die Bauern keine Schutzkleidung leisten können, begeben sie sich in gesundheitliche Gefahr. Vergiftungen, Allergien, Herzkrankheiten oder auch Fruchtbarkeitsstörungen können die Folgen eines ungeschulten Umgangs mit einer Tabakpflanze sein. Da besonders in ländlichen Gebieten die medizinische Infrastruktur fehlt, trägt eine große Zahl der Bauern Folgeschäden davon, die auch tödlich sein können. Die medizinischen Behandlungen können sich die meisten Betroffenen nicht leisten. Viele Menschen in Malawi erreichen das 40. Lebensjahr nicht.

Entgegen positiver Prognosen der 1960er Jahre hat der Tabak Malawi keinen Reichtum gebracht. Durch die Umorientierung der Bauern von Nahrungspflanzen zum Tabakanbau entsteht zudem ein Ernährungsproblem. Den Menschen in Malawi wird die Lebensgrundlage entzogen. Eine ökologisch und sozial verträgliche Entwicklung erscheint mit dem Tabakanbau in Malawi nicht möglich.

Michael Fichtner und Bernhard Henselmann sind Mitarbeiter von EarthLink e.V.

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infos/Literatur

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"Rauchopfer – Die tödlichen Strategien der Tabakmultis", Horlemann-Verlag, ISBN 3895021814, Euro 9,90

"Rauchopfer" – Dokumentarfilm von Peter Heller, ausgezeichnet mit dem "Grand Prix Leonardo in Gold" als bester Film des Jahres 2003 über Globalisierung. www.filmkraft.net – filmkraft@t-online.de