14.04.2007

ILO-KONVENTION 169 - Eine Zukunft für indigene Völker!

Info-Broschüre der Gesellschaft für bedrohte Völker

Bohrlöcher, verseuchte Flüsse, neue Zugangsstraßen, zunehmende Kolonisierung und gerodete Wälder – das ist die Realität, mit der die Huaorani in Ecuador tagtäglich konfrontiert sind, wenn sie versuchen, ihre traditionelle Lebensweise weiterhin auszuüben und mittels Jagen, Sammeln, Fischen sowie Feldbau ihre Nahrungsgrundlage zu sichern. Illegale Holzfäller und transnationale Ölkonzerne aus allen Teilen der Welt dringen immer weiter in das traditionelle Territorium dieses indigenen Volkes im ecuadorianischen Amazonastiefland ein und hinterlassen dort eine Spur der Zerstörung. Das Gebiet wurde bereits vor über 25 Jahren zum Nationalpark deklariert. Doch im globalen Wettstreit um Ressourcen spielt das für die Konzerne keine Rolle!

Eingeschleppte Krankheiten, drastisch erhöhte Krebsgefahr als Folge der Erdölförderung, Unterernährung durch Vertreibung von Tieren und Fischsterben, verseuchtes Wasser, Verlust ihres Landes – die Huaorani stehen mit dem Rücken an der Wand. Seit Jahrzehnten versuchen sie verzweifelt, sich gegen die Erdölförderung zu wehren.

Ecuador hat 1998 die Konvention 169 zu indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der Internationalen Arbeitsorganisation, kurz ILO-KONVENTION 169, ratifiziert. Seitdem konnten mit Hilfe der Konvention schon in einigen Fällen Baustopps und Entschädigungsleistungen erreicht werden. So konnten die ebenfalls von den Auswirkungen der Erdölförderung betroffenen Quichua aus Sarayacu durch einen Eilantrag an die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten bewirken, dass die ecuadorianische Regierung dazu verpflichtet wurde, die Rechte der Quichua einzuhalten und deren Gesundheit und Unversehrtheit sicherzustellen. Die ILO-KONVENTION 169 bildete hierfür die Grundlage, indem sie ihnen die Möglichkeit bot, ihre Rechte auch auf internationaler Ebene einzuklagen und sich so gegen deren noch unzureichende Berücksichtigung auf nationaler Ebene zur Wehr zu setzen.

Die Situation der indigenen Völker

Für etwa 350 bis 400 Millionen Menschen weltweit sind Zustände, wie sie die Huaorani erleben müssen, Alltag. Sie müssen sich unablässig wehren gegen Vertreibung, Verfolgung, Völkermord, Unterdrückung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Denn sie gehören einem der etwa 5000 indigenen Völker an, die ca. vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Sie teilen das Schicksal, nicht selbst über ihre Zukunft entscheiden zu können und über keinerlei verbindliche Rechte zu verfügen, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen würden. Nach Schätzungen des "World Watch Institute" wird bis zur Mitte des Jahrhunderts die Hälfte aller indigenen Völker nicht mehr existieren, wenn nicht weltweit eine radikale Änderung im Umgang mit ihnen einsetzt.

Die ILO-KONVENTION 169 setzte es sich zum Ziel genau diese Wende einzuleiten und den indigenen Völkern weltweit international verbindliche Rechte zu garantieren.

Was ist die ILO-KONVENTION 169?

Die ILO-Konvention 169 wurde unter Einbeziehung indigener Vertreter abgefasst und am 27.06.1989 von der International Labour Organisation ILO, einer Organisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf, verabschiedet. Sie stellt die derzeit einzige völkerrechtlich verbindliche Norm zum Schutz indigener und in Stämmen lebender Völker dar, die ausdrücklich auch Kollektivrechte gewährt.

Die wichtigsten der 44 enthaltenen Artikel fordern:

- die vollständige Gewährleistung der Menschenrechte

- Gleichheit vor Verwaltung und Justiz

- das Recht auf kulturelle Identität und gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen

- das Recht auf Gestaltung der eigenen Zukunft und Partizipation

- das Recht auf Land (samt dessen Ressourcen!)

- das Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen

- das Recht auf Ausbildung und Zugang zu Kommunikationsmitteln

Ratifiziert wurde die Konvention bisher von 18 der 180 Mitgliedsstaaten der ILO, darunter bisher nur vier europäische Staaten: Norwegen (1990), Dänemark (1996), Niederlande (1998) und Spanien (2007).

Warum soll die Bundesregierung die Konvention ratifizieren?

Zwar hat Deutschland auf eigenem Staatsgebiet keine indigene Bevölkerung, trotzdem ist sein direkter Einfluss auf die Lebensbedingungen der indigenen Völker durch politische und wirtschaftliche Aktivitäten immens:

- Finanzierung von Staudamm- und Pipelineprojekten, die zu Landraub und Umweltverschmutzung führen, durch deutsche Banken und Unternehmen (etwa die Finanzierung des Baus der Öl-Pipeline in Ecuador, welcher dramatische Auswirkungen auf die ansässigen Huaorani hatte, durch die WestLB)

- Erdöl- und Erdgasimporte

- Hermeskreditbürgschaften für Investitionen im Ausland, die mit ökologischen und sozialen Beeinträchtigungen einhergehen

Es ist also an der Zeit, dass die Bundesregierung Verantwortung über-nimmt und so ihrem Anspruch gerecht wird, der Wahrung der Menschenrechte ein besonders großes Gewicht zu geben. Diese Verantwortung erklärt sich bereits aus der Mitwirkung der Bundesrepublik in internationalen Institutionen.

Hinzu kommt, dass indigene Völker durch ihre nachhaltige Wirtschafts-weise eine wichtige Rolle in der Erhaltung natürlicher Ressourcen spielen. Ihr Schutz sollte demnach im Interesse aller Menschen liegen.

Die ILO-Konvention 169 bildet eine wichtige Basis dafür, dass indigene Völker ihre Rechte zunehmend auf internationaler Ebene einfordern können. Eine Ratifizierung der Konvention seitens der deutschen Regierung würde diesen Prozess verstärken und so einen positiven Einfluss auf die internationale Anwendung der indigenen Rechte ausüben. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände könnten zum Beispiel Verstöße von Unterzeichnerstaaten gegen die Verpflichtungen, die sich aus der ILO-Konvention 169 ergeben, direkt anklagen und so auf die Politik dieser Regierungen einwirken.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Auswärtige Amt, der DGB und viele kirchliche, entwicklungspolitische und menschenrechtliche Nichtregierungsorganisationen befürworten deshalb ausdrücklich eine Ratifizierung der Konvention durch die Bundesregierung. Auch die ILO und die EU fordern ihre Mitgliedsstaaten unabhängig davon, ob indigene Völker im eigenen Staatsgebiet beheimatet sind, dazu auf, Solidarität zu zeigen, zur Schaffung eines universell gültigen Normenkatalogs beizutragen und so eine globale Rechtsstaatlichkeit für indigene Völker zu erreichen.

Was scheint gegen die Ratifizierung zu sprechen?

Manche Politiker befürchten, dass die Möglichkeit zur Selbstidentifikation Minderheiten im eigenen land veranlassen könnte, sich als Stammesvolk zu definieren und die Regelung der Konvention für sich in Anspruch zu nehmen. Die in Deutschland lebenden und bekannten Minderheiten sind aber bereits durch das Grundgesetz und durch die von Deutschland ratifizierten Übereinkommen mit weit mehr Rechten ausgestattet, als die ILO-Konvention 169 bieten könnte: Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen (2002), Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (1998), Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1965) inkl. dem Beschwerdeverfahren nach Artikel 14 dieser Konvention (2003) .

Materielle Folgekosten in Bezug auf Schule, Gerichte oder Arbeitsverhältnisse, die durch eine Ratifizierung der ILO-Konvention entstehen könnten, werden daher kaum anfallen.

Befürchtet wird ebenfalls eine Veränderung in der Minderheitenpolitik Deutschlands, die bisher stark auf Integration ausgerichtet ist: Durch die Umsetzung der ILO 169 könnte es einen 'Richtungswechsel' hin zu einer Politik der Abgrenzung geben. Die ILO-Konvention 169 zielt aber gerade darauf ab, durch Anerkennung spezifischer Mindestrechte für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen Diskriminierung zu verhindern.

Kontakt und weitere Informationen:

www.gfbv.de – indigene@gfbv.de

www.ilo169.de - ilo169@gmx.de

INFOBOX: KOORDINATIONSKREIS ILO KONVENTION 169

Zusammenschluss von Organisationen, die sich für eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesregierung einsetzen: Adivasi-Koordination in Deutschland e.V. (Kassel), Agencia Latino-americana de Servicios Espeiciales de Información (ALASEI, Bonn), amnesty international (Bremen), AK Indiander heute (Netzschkau), Abt. Menschenrechte beim Diakonischen Werk (Stuttgart), Brot für die Welt (Stuttgart), Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (München), Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV, Göttingen), Institut für Ökologie und Aktionsethnologie (infoe, Köln), Klima-Bündnis / Alianza del Clima e.V. (Europäische Geschäftsstelle Frankfurt a.M.), Lateinamerikareferat des Missionswissenschaftlichen Institutes Missio e.V. (Aachen), Ökumenischer Ausschuss für Indianerfragen in Amerika, Menschenrechte 3000 (Freiburg), Misereor (Aachen), Südostasien-Informationsstelle (Asienhaus, Essen), urgewald (Sassenberg), VENRO (Bonn).

INFOBOX: INDIGENE VÖLKER

Gemeint sind Völker, die ein bestimmtes Gebiet als erste besiedelt haben und sich durch kulturelle Besonderheit auszeichnen (u.a. Sprache, Sozialorganisation, Religion, Produktions-weisen, Rechtssystem) oder über ein von anderen Gruppen an-erkanntes Selbstverständnis als von anderen verschiedene, geschlossene Gruppe verfügen.

INFOBOX: ILO

Die ILO (International Labour Organisation) wurde am 11.04.1919 auf der Friedenskonferenz in Versailles gegründet und genießt seit 1946 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Ihr Ziel ist Weltfrieden auf Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der Regierungen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und umfasst 180 Mitgliedsstaaten.