20.05.2010

GfbV fordert Aufnahme von mehr Schutz suchenden Glaubensflüchtlingen

Bericht zur Menschenrechtsaktion

Friedland

Am Dienstag, den 27. April 2010, kamen die vorerst letzten 160 Kontingent-Flüchtlinge aus dem Irak im südniedersächsischen Durchgangslager Friedland bei Göttingen an. Gespannt erwarteten die Flüchtlinge, die bereits länger im Lager leben, die Neuankömmlinge. Die Vorfreude und Hoffnung lang vermisste Verwandte wiederzusehen, stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Gegen 19 Uhr trafen die vier Busse endlich ein. Mit großer Freude und vielen Umarmungen wurden die "Neuen" empfangen. Bei diesen warmherzigen Szenen der Familienzusammenführung blieb kaum ein Auge trocken. Die frisch eingetroffenen Flüchtlinge waren erschöpft von der langen und strapaziösen Reise, doch es überwogen Freude und Erleichterung. Endlich sind sie in einem Land angekommen, in dem sie nicht um ihr Leben oder das ihrer Kinder fürchten müssen. Die GfbV war mit einem kleinen Empfangskomitee in Friedland präsent: Irina Wießner, Vorstandsmitglied der GfbV, Eva Lutter, Aktionsreferentin und viele Ehrenamtliche begrüßten die neu eingetroffenen Irak-Flüchtlinge mit Blumen und einem großen "Herzlich Willkommen"-Plakat. Doch es gab auch traurige Szenen: Ein kleiner Junge fragte immer und immer wieder. wann der nächste Bus käme. Es müsse doch noch einer kommen. Er warte doch auf seine Verwandten. Doch leider waren dies die vorerst letzten Busse. Das Kontingent von 2.500 irakischen Flüchtlingen, dass die Bundesrepublik versprochen hatte aufzunehmen, ist erfüllt.

 

Vor dem Hintergrund eines Beschlusses der EU-Innenminister im November 2008, 10.000 Irak-Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren, verpflichtete sich die Bundesregierung, 2.500 besonders Schutzbedürftigen Irak-Flüchtlinge aus syrischen und jordanischen Auffanglagern aufzunehmen. Nachdem die GfbV anfangs noch allein mit ihrer Forderung nach Aufnahme verfolgter assyro-chaldäischer Christen und Mandäer stand, schlossen sich schließlich auch die Kirchen dieser Forderung an. Der Leiter des Durchgangslagers Friedland, Heinrich Hörnschemeyer, zieht nach einem Jahr positive Bilanz und ist sehr zufrieden über die bisherige Kooperation von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen sowie Kirchen. Die Flüchtlinge wurden zunächst in sogenannten Durchgangslagern wie Friedland in Südniedersachen empfangen und nach etwa zwei Wochen in alle Bundesländer verteilt, um dort schließlich Integrationskurse zu besuchen. Ein Großteil, der in Deutschland bereits aufgenommenen Irak-Flüchtlinge, gehört zu verfolgten und diskriminierten religiösen Minderheiten, darunter 1.110 Christen, 454 Mandäer und fünf Yeziden. Aber auch medizinisch Hilfsbedürftige und allein erziehende Mütter mit ihren Kindern fanden in der Bundesrepublik Asyl. Andere EU-Länder hielten sich im Gegensatz dazu jedoch zurück. Insgesamt wurden in der EU bisher lediglich 4.240 aufgenommen. Außer Großbritannien mit 580 Aufnahmen sind die Zahlen anderer Länder kaum erwähnenswert: 42 Flüchtlinge fanden in Belgien, 28 in Luxemburg, 26 in Dänemark, 23 in Frankreich und sieben in Irland Schutz.

Nach Auffassung der GfbV erscheint angesichts der Tatsache, dass in Folge der Schreckensherrschaft Saddam Husseins und dem eskalierenden islamischen Extremismus mittlerweile 2,7 Mio. Iraker innerhalb des Landes auf der Flucht sind und zusätzlich 2,5 Mio. in den Nachbarländern, erscheint eine Zahl von 2.500 Flüchtlingen in Deutschland wie ein "Tropfen auf dem heißen Stein". Schon seit Jahren fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker die Aufnahme von mindestens 50.000 Angehörigen vor allem verfolgter Minderheiten und Religionsgemeinschaften. In ihrer Heimat werden sie bedroht, verfolgt und gefoltert, und auch die prekäre Lage in den Flüchtlingslagern in Syrien, Jordanien und der Türkei bietet kaum Perspektiven für ein Leben in Würde und Unversehrtheit. Weder Jordanien noch Syrien sind der UN-Flüchtlingskommission beigetreten, die Türkei nur mit wesentlichen Vorbehalten. So werden Flüchtlinge oft nur kurze Zeit in den Nachbarstaaten geduldet, besitzen keine Arbeitserlaubnis und Kindern wird häufig der freie Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen versagt. Hinzukommend sind auch die Aufnahmekontingente der Nachbarstaaten sowie des autonomen Bundesstaates Kurdistan im Nordirak weitgehend ausgeschöpft. Weitere Aufnahmen von Flüchtlingen würden dort die ohnehin desolate wirtschaftliche und soziale Situation verschärfen.

Auch Deutschland hat sich zu einem gewissen Teil für den Völkermord an Minderheiten im Irak während der Herrschaft des Saddam-Regimes zwischen 1979 und 2003 und das Schicksal der heutigen Flüchtlinge zu verantworten: So waren deutsche Firmen nicht unwesentlich am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie und Hochrüstung der irakischen Armee beteiligt. Darauf weist die GfbV ausdrücklich hin. Allein vor diesem Hintergrund sei es die Pflicht der Bundesrepublik, weitere irakische Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen UNHCR sind mindestens 60.000 irakische Flüchtlinge als "Härtefälle" einzustufen, die unter derzeitigen Umständen nicht in den Irak zurückkehren können. Schätzungen der GfbV belaufen sich sogar auf 200.000 Personen. Deshalb fordern wir die weitere Aufnahme von irakischen Flüchtlingen, solange sich die Lage in ihrer Heimat nicht stabilisiert hat und sich Minderheiten dort sowohl rechtlich als auch tatsächlich sicher fühlen können.

Thomas Adisorn (Luisa Renske, Kamal Sido)

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