30.09.2006

Gewalt gegen indigene Völker in Brasilien, 2003 – 2005

Bericht des Indianermissionsrat (CIMI), einer der bedeutendsten Menschenrechtsorganisationen für die Rechte indigener Völker in Brasilien, vorgelegt am 30. Mai 2006

Göttingen/Brasilia
Der Indianermissionsrat (CIMI), eine der bedeutendsten Menschenrechtsorganisationen für die Rechte indigener Völker in Brasilien, hat am 30. Mai 2006 einen Bericht über "Gewaltanwendung gegen indigene Völker in Brasilien in den Jahren 2003 bis 2005" vorgelegt, den die Gesellschaft für bedrohte Völker aus Anlass der Wahlen in Brasilien am 1. Oktober 2006 jetzt in einer Zusammenfassung vorstellt . Die Daten wurden durch eigene Untersuchungen und bereits veröffentlichte Berichte erhoben.

Berits in der Einleitung stellt der Vizepräsident des CIMI, Saulo Feitosa, klar, dass es ein umgekehrt proportionales Verhältnis gibt zwischen der Demarkierung (Festlegung und rechtliche Absicherung der Grenzen) von Land und der Anwendung von Gewalt. Zwischen 2003 und 2005 sind durchschnittlich gerade sechs Landstücke pro Jahr ausgewiesen worden. Im gleichen Zeitraum wurden jedes Jahr durchschnittlich 40 Angehörige indigener Völker ermordet. "Je weniger Land demarkiert wird, umso größer ist die Gewalt".

2003 wurden 42 Indigene ermordet, 2004 waren es 37 und 2005 wiederum 43. Ursache waren Familienkonflikte, Prügeleien und interne politische Streitigkeiten. Die meisten Morde ereigneten sich mit 13, 18 und 29 Todesopfern im Bundesstaat Mato Grosso do Sul in West-Brasilien. Auch bei den meisten anderen Fällen von Gewaltanwendung liegt Mato Grosso do Sul an der Spitze.

Der Alltag in diesem Bundesstaat ist von großen Spannungen geprägt, insbesondere bei den Guaraní-Kaiowá, die auf kleinen Fleckchen Land leben, am Straßenrand kampieren oder mit anderen indigenen Gruppen auf demarkiertem, Land leben, das viel zu klein ist, um ausreichend Nahrung für alle anzubauen. Die Männer sind gezwungen, außerhalb ihrer Dörfer Arbeit zu suchen und die Familien haben kaum genug, um zu überleben.

Die ausgesprochen heikle Situation der Guaraní-Kaiowá wird auch durch die hohe Selbstmordrate unter ihnen deutlich. 2003 setzten 22 Guaraní-Kaiowá ihrem Leben ein Ende, 2004 waren es 18 und in 2005 stieg die Zahl der Suizide erneut auf 28 an. In ganz Brasilien betrug die Suizidrate unter der indigenen Bevölkerung 24 in 2003, 18 in 2004 und 31 in 2005. Von den 31 Selbstmördern des Jahres 2005 waren 20 jünger als 20 Jahre. Diese hohe Suizidrate unter den Guaraní-Kaiowá steht in direktem Zusammenhang mit ihren schlechten Lebensbedingungen. Sie sind an ein nomadisches Leben gewöhnt, und es wirkt sich fatal auf ihre seelische Gesundheit aus, zusammengedrängt in einem kleinen Gebiet leben zu müssen. Bei einigen spielt auch ein kulturelles Motiv eine Rolle. Die Guarani sind auf der Suche nach einem Ort, der ihnen von ihren Vorfahren offenbart wurde und an dem alle Menschen frei von Schmerz und Leid leben. Sie nennen es das "Land ohne Übel". Nach diesem Land suchen sie bis heute. Und wenn sie es in diesem Leben nicht finden können, versuchen sie es in einem anderen.

Mordversuche wurden sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen ganze Gruppen verzeichnet. 2003 gab es 23 solcher Fälle, 21 gegenüber Einzelpersonen, zwei gegen ganze Gemeinschaften, 2004 gab es 38 Fälle, in denen insgesamt 51 Menschen betroffen waren und bis Ende des ersten Halbjahrs 2005 waren bereits 33 Fälle mit zusammen 62 Opfern gezählt worden.

Auch mit dem Tode bedroht wurden sowohl Einzelpersonen als auch ganze Gemeinschaften. 2003 waren nicht nur 52 Angehörige der Xucuru im Bundesstaat Parnambuco mit dem Tode bedroht worden, auch die gesamte 1.700 Menschen umfassende Xokleng-Gemeinschaft im Bundesstaat Santa Catarina hatte Todesdrohungen erhalten. 2004 wurden 14 Zwischenfälle verzeichnet, von denen 22 Einzelpersonen, die Gemeinschaft von Koiupanká im Bundesstaat Alagoas, die Führer der Terena und der Guaraní-Kaiowá im Bundesstaat Mato Grosso do Sul sowie Kinder der Katukina im Bundesstaat Acre betroffen waren. Bis August 2005 waren bereits erneut 13 Fälle von Todesdrohungen registriert worden, von denen 33 Einzelpersonen, 30 Familien der Amanayé-Gemeinschaft im Bundesstaat Para und die Macuxi-Schüler der Schule von Surumu im Bundesstaat Roraima betroffen waren.

Landrechtskonflikte nehmen ebenfalls zu. Wurden 2003 noch 26 Konflikte registriert, so waren es 2004 schon 41 und allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 schon 31. Erneut lag Mato Grosso do Sul an der Spitze mit 23 Zwischenfällen im Jahre 2003, 28 im Jahre 2004 und 17 im ersten Halbjahr 2005. Der bekannteste Konflikt im Berichtszeitraum war das Eindringen von Goldgräbern auf das Land der Cinta Larga in 2004, wobei 29 Goldgräber ums Leben kamen. Es kam aber auch zu weiteren Invasionen indigener Gebiete durch illegale Holzhändler, Reisbauern oder Großgrundbesitzer, zur illegalen Förderung von Rohstoffen und zur Zerstörung von Nahrungspflanzen. Der Prozess der Landdemarkierungen geht viel zu langsam vonstatten. In den untersuchten drei Jahren gab es Verfahren zur Ratifizierung solcher Landansprüche, bei denen es länger als ein Jahr dauerte, bis ein Besitztitel vom zuständigen Minister unterzeichnet worden war. Ende 2005 warteten 27 solcher Gebietsanspruchsverfahren noch auf die Entscheidung des Justizministers.

Der CIMI-Report setzt einen Schwerpunkt auf die Situation indigener Kinder und Jugendlicher. Zunächst gilt es zu beachten, dass bei Mordversuchen oder Morddrohungen gegen indianische Dörfer immer auch Kinder und Jugendliche mit betroffen sind und dabei großer Unsicherheit und Furcht einflößenden Situationen ausgesetzt werden. Das war zum Beispiel der Fall, als Katukina-Kinder im Jahre 2004 bedroht wurden, als sie ihre Väter auf dem Weg in die Stadt begleiteten, wo diese ihre Rentenzahlungen abholen wollten.

Zu den Mördern gehörte im Jahre 2003 auch ein Xucuru-Jugendlicher von 19 Jahren und im Jahr 2005 ein 17jähriger Truka. Unter den 18 Mordopfern des Jahres 2004 in Mato Grosso do Sul waren sieben jünger als 18.

Auch in den Landrechtskonflikten leiden Kinder und Jugendliche besonders. Da die Demarkierungsverfahren so sehr lange dauern, leben sind in konstanter Angst vor Vertreibung, sind sie zusammengepfercht in kleinen Parzellen und leben sie bisweilen unter beklagenswerten Umständen am Rande von Straßen. Diese Lebensbedingungen hatten allein in der ersten Jahreshälfte 2005 im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo es besonders viele Konflikte um Land gibt, eine hohe Kindersterblichkeit zur Folge, 31 Kinder starben an Mangelernährung, acht weitere an anderen Ursachen.

Auch die Fälle von sexueller Gewalt, worunter Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, tätlicher Angriff und die Förderung von Prostitution verstanden werden, nahmen in den drei Jahren des Berichtszeitraums zu. Zehn solcher Fälle wurden in 2003, 18 in 2004 und 15 in 2005 bis August verzeichnet. Die meisten Opfer waren indigene Kinder im Alter zwischen sechs und 13, und erneut war die größte Häufung dieser Zwischenfälle in Mato Grosso do Sul. In diesem Bundesstaat kamen 2004 auch zwei Menschen als Folge sexueller Gewalt zu Tode. Besonders besorgniserregend sind hierbei die Fälle sexueller Gewalt von Indigenen gegen ihres gleichen. Dazu kommt es nie in den noch abgeschiedenen Landesteilen, wohl aber in indigenen Siedlungen in der Näher von Städten.

Verletzt werden indigene Rechte auch im Bereich der Erziehung. Indigene Völker in Brasilien haben ein Recht auf eigene Bildungssysteme, Unterricht in der eigenen Sprache, entsprechend angepasste Lehrpläne, in denen ihre Riten und Feste berücksichtigt werden. Doch diese Lehrpläne existieren nur in zwei Dritteln der Bundesstaaten Brasiliens und in einem Drittel noch nicht. Außerdem gibt es kritische Berichte über den schlechten Zustand der Schulgebäude, häufige Aussetzung der Lohnzahlungen an die indigenen Lehrer und den Zwang, dass die Schüler nach vier Grundschuljahren in die nächstgelegene Stadt gehen müssen, wenn sie weiterlernen wollen, wo die Diskriminierung gegen die indigenen Völker üblich ist und weiter zunimmt.

Im Schlusskapitel geht der CIMI-Report auf die Situation der in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Völker Brasiliens ein, die im Bundesstaat Amazonas leben. Von den 60 bekannten Völkern sind derzeit 17 akut vom Aussterben bedroht aufgrund der Handlungen von "Ausrottungs"-Trupps (extermination groups), die von Landräubern, Holzunternehmen und Großgrundbesitzern bezahlt werden. Sie sollen

der Anwesenheit dieser Völker ein Ende bereiten, um zu verhindern, dass die Indigenen einen Demarkierungsprozess in gang setzen können, damit das Land als Privatbesitz reklamiert und für die Ausbeutung von Rohstoffen, für Viehzucht und Agrarwirtschaft genutzt werden kann.

Der Bericht kann im portugiesischen Wortlaut (´Violência contra os Povos Indígenas no Brasil´) nachgelesen werden auf der Website des CIMI http://www.cimi.org.br

Kontaktperson für weiterführende Informationen ist Geertje van der Pas G.vanderPas@cmc.nu, +55 61 21061650

Diesen Text können Sie in der englischen Fassung nachlesen in den englischen Seiten unserer Website. Aus dem Englischen übersetzt von Yvonne Bangert