23.04.2005

Gewalt an ihren Frauen soll Adivasi und Dalits einschüchtern

Die indische Regierung hat das Jahr 2001 zum Jahr der Frauen erklärt. Doch Misshandlungen und Vergewaltigungen werden in vielen Bundesstaaten ungehindert fortgesetzt. Betroffen davon sind insbesondere Frauen der Dalit (Unberührbare) und Frauen der Adivasi (Ureinwohner). Oft kommen die Gewalttaten nicht zur Anzeige, weil die Opfer zu Recht befürchten, dass die Polizeibeamten ihnen nicht glauben oder sogar selbst gegen sie gewalttätig werden. Denn die Polizei lässt sich häufig von Politikern korrumpieren, zerstört Beweismaterial und wendet die Gesetze gegen die Opfer an, anstatt zu deren Schutz.

Indien hat 1955 das Gesetz zum Schutz der Menschenrechte und 1989 das Gesetz zur Vermeidung von Grausamkeiten in Kraft gesetzt. Außerdem wurden bereits 1947 Sondervorschriften zum Schutz der Rechte der Adivasi erlassen, und in Gesetzen wurde festgelegt, dass niemand Anspruch auf Adivasi - Land erheben kann. Doch offenbar haben sich Politiker und Polizei gegen Minderheiten-Gruppen verbündet. Die Verflechtung zwischen dem Kampf der Adivasi um ihre Landrechte, den Einschüchterungstaktiken von Sicherheitskräften und Politikern und der damit zusammenhängenden Gewalt gegen indigene Frauen zeigt ein Vorfall in Puntamba im westindischen Bundesstaat Maharashtra: Am 25. Juni formierten sich etwa 300 Adivasi, hauptsächlich Frauen und Kinder, zu einer Demonstration vor der örtlichen Polizeistation. Sie protestierten gegen die zuvor erfolgte Freilassung eines Lokalpolitikers gegen Kaution. Nach Aussagen der Adivasi hatte er eines der Mädchen des Stammes vergewaltigt. Aus Sicht der Polizei hatte er sie jedoch lediglich "belästigt".

Zwischen einem aufgebrachten Adivasi und einem Polizeiinspektor, der sich bisher immer auf die Seite der örtlichen Politiker gestellt hat, brach ein Streit aus. Die Polizisten gingen mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Drei Adivasi wurden getötet, 37 weitere verletzt. Die Polizisten erschossen dabei zwei führende Mitglieder der Organisation "Adivasi Bhoomi Hakka Andolan" (Bewegung für die Landrechte der Adivasi) aus nächster Nähe. Insgesamt wurden 15 Mitglieder der Bewegung verhaftet, darunter John Abraham, der sich zum Zeitpunkt der Kundgebung in einem 120 km entfernten Ort aufgehalten hatte. Die Bewegung hatte sich in letzter Zeit vermehrt für die Rückgabe eines Grundstücks an die Adivasi eingesetzt, das sich in den Händen eines staatlichen Agrarunternehmens befindet.

Frauen stehen oft in vorderster Front solcher Protestbewegungen für die Landrechte und sind auch deswegen oft Zielscheibe von brutaler Repression. Im Morena Distrikt von Madhya Pradesh (ein Bundesstaat mit hohem Adivasi-Anteil) wurden drei Adivasi - Frauen, darunter ein elfjähriges Mädchen, 17 Tage lang von Mitgliedern einer bewaffneten Verbrecherbande entführt und vergewaltigt. Die Tat verschreckte die Bewohner des Dorfes Rajpura so sehr, dass sie ihr Land und Eigentum verließen und in ein etwa zehn Kilometer entfernt gelegenes Dorf umsiedelten. Damit war das Ziel der Täter erreicht. Dieser Vorfall ereignete sich bereits im Dezember 1997 und wurde erst bekannt, nachdem eine von der Adivasi-Bewegung Ekta Parishad eingeladene Untersuchungsmission das Dorf besucht hatte. Nach den wiederholten Gruppenvergewaltigungen versuchten die Täter, die Frauen zu verkaufen, setzten sie dann aber auf freiem Feld aus. In dem Bericht des Untersuchungsteams wird vermutet, dass die Verbrecher aufgrund ihrer engen Beziehungen zu Politikern nie zur Rechenschaft gezogen werden werden, obwohl eines der Opfer sie identifiziert hat.

Dem Bericht zufolge werden Adivasi in verschiedenen Teilen des abgelegenen Morena - Distrikts terrorisiert, um sie dazu zu bringen, ihr Land aufzugeben. Die Bewohner des Dorfes Rajpura gaben an, dass einflussreiche Personen aus nahegelegenen Dörfern sie oft bedroht hatten. Die Entführung und Vergewaltigung der Frauen sei Teil eines systematischen und strategischen Vorgehens gewesen, um die Adivasi permanent einzuschüchtern und ihnen ihren angestammten Lebensraum wegzunehmen. Dazu gehörte auch das Verbrennen ihrer Ernten.

In den drei südindischen Bundesstaaten Kerala, Karnataka und Tamil Nadu haben Adivasi seit jeher in Waldgebieten gelebt, die ihnen nun von der Regierung systematisch entzogen werden. Die offizielle Begründung lautet, die Ureinwohner würden das gefährdete Ökosystem der Region zerstören. Stattdessen richtet die Regierung Naturparks und touristische Anziehungspunkte ein. So werden die sozialen Strukturen und natürlichen Lebensgrundlagen der Adivasi zerstört. Da ihnen der Zugang zur Selbstversorgung versperrt ist, müssen die Adivasi sich als Feldarbeiter verdingen. Mädchen, die oft ihre Dörfer auf der Suche nach Feld- oder Hausarbeit verlassen müssen, sind Ausbeutung und Vergewaltigung schutzlos ausgeliefert. Nicht selten werden sie von Regierungsbeamten vergewaltigt und geschwängert. So gibt es viele unverheiratete Mütter, denen die Kinder oftmals weggenommen werden. Zeigen die Opfer ihre Peiniger an, müssen sie Repressionen, sogar Ermordung fürchten. Oft sterben sie auch an Zwangs-Abtreibungen. Im Bundesstaat Kerala kommt eine wachsende Bedrohung der Frauen durch Sextouristen hinzu, die durch die neugebauten Hotels in den "Naturschutzgebieten" angezogen werden.

Die Polizei nutzt insbesondere den Paragraphen 151 der Strafprozessordnung, um Menschenrechtler in Haft zu nehmen oder friedliche Proteste zu unterdrücken. Das Gesetz zur "Wahrung der Sicherheit" erlaubt Verhaftungen von verdächtigen Personen von bis zu einem Jahr ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Bei Demonstrationen wird das Strafgesetzbuch auch zur Aufhebung der Meinungsfreiheit und des Versammlungsrechts missbraucht. Staatliche Repressionen gegen Menschenrechtler reichen von Einschüchterungen, willkürlichen Festnahmen, Kriminalisierungen, Folter und "Verschwindenlassen" bis hin zu politischen Morden. 1999 kam es in allen Bundesstaaten immer wieder zu Todesfällen im Gewahrsam von Polizei und Sicherheitskräften, u. a. weil nach wie vor verschiedene Formen der Folter und Vergewaltigungen angewendet wurden. Die Nationale Menschenrechtskommission hat zwar 1994 die Arbeit aufgenommen, und ihre moralische Autorität und Unabhängigkeit wird auch allgemein anerkannt. Doch das indische Polizeigesetz stammt noch von 1860. Alle Reformversuche sind bisher am Widerstand der Politiker, die um ihre engen Beziehungen zur Polizei fürchten, gescheitert.

Quellen: ai Pressemitteilung, 08.05.01; ai Jahresbericht 2000; ai-journal 9/2000, 15; IWGIA, No. 2, 1995; NZZ 24.08.00; Email news, 13.04.98; IWGIA, No. 2, 1998