03.08.2006

Gerichtsurteil gegen Asyl für assyro-chaldäische Christen aus dem Irak ist "bedenkliche Fehlentscheidung"

Als "bedenkliche Fehlentscheidung", die sich gegen eine extrem verfolgte christliche Minderheit richtet, hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) heute das Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs zur Situation der assyrisch-chaldäischen Christen aus dem Irak bezeichnet. Das Gericht in Mannheim hatte am Mittwoch entschieden, dass Assyro-Chaldäer keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland haben, weil sie mit dem kurdischen Nordirak eine inländische Fluchtalternative hätten (Az: A2S 571/05).

 

"Während im Süd- und Mittelirak, der Heimatregion von 95 % der irakischen Christen, Monat für Monat Tausende Kinder, Frauen und Männer aller Volksgruppen Bombenanschlägen zum Opfer fallen und Christen in alle Richtungen flüchten, ermordet werden, will der Verwaltungsgerichtshof christliche Flüchtlinge aus dem Irak in ihre ehemalige Heimat deportieren, die zum Pulverfass geworden ist", kritisierte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch in Göttingen. Etwa 20.000 Christen aus dem Irak leben als Flüchtlinge in Deutschland. Ihnen könnte nach diesem Gerichtsurteil die Abschiebung drohen.

 

Christen leben heute im Irak im Untergrund. Sie müssen sich wie Muslime verschleiern und ihre Identität verbergen. Bereits 31 ihrer Kirchen wurden gezielt in die Luft gesprengt, viele ihre Priester und Gottesdienstbesucher ermordet. Wahllos werden Angehörige der assyrisch-katholischen, der syrisch-orthodoxen, der chaldäischen, der assyro-anglikanischen, der altapostolisch-nestorianischen, der armenisch-katholischen, der armenisch- orthodoxen und der adventistischen Missionskirche angegriffen, verfolgt, misshandelt, vergewaltigt oder ermordet. Wer irgendwie kann, versucht das Land zu verlassen.

 

Die GfbV kritisierte entschieden die Argumentation des schwäbischen Verwaltungsgerichtshofes, diese Christen aus dem Irak, die meist die Muttersprache Christi, das Aramäische, sprechen, könnten in der irakischen Kurdenregion hinreichend sicher leben. Dieses Gebiet sei zwar befriedet, aber mit Flüchtlingen völlig überfüllt und überlastet. Die dortige Bevölkerung habe in 40 Jahren permanenter Verfolgung unter Saddam Hussein selbst 500 000 Angehörige durch Völkermord verloren. Jetzt drängen von allen Seiten Flüchtlingsströme, unter ihnen auch Christen, in die Region: Aus dem eigentlichen Irak kommen sunnitische und schiitische Araber auf der Flucht vor den täglichen Bombenangriffen. Mandäer, deren Religion auf Johannes den Täufer zurückgeht, werden gejagt und stranden in Kurdistan ebenso wie Faili-Kurden, eine rund 100.000 Angehörige zählende schiitische Minderheit in Bagdad.

 

"Die schon jetzt hoffnungslos überforderten kurdischen Behörden und humanitären Organisationen befürchten zudem ein Übergreifen des Terrors auf ihre Region", warnte Zülch. "Zudem droht die türkische Regierung immer wieder mit dem Einmarsch türkischer Truppen in Irakisch- Kurdistan." Noch im Mai dieses Jahres hatte die türkische Artillerie die beiden christlichen Dörfer Dore und Kani Masi im Nord-Irak beschossen.

 

Mindestens 100.000 christliche Flüchtlinge aus dem Irak, deren Zahl täglich zunimmt, kämpfen unter schwierigsten Umständen in den arabischen Nachbarstaaten des Irak um ihr Überleben und versuchen, Auswanderungsvisa für westliche Länder zu erlangen.

 

Wer unter diesen Umständen diese bedrohten Christen aus Deutschland verjagen möchte, handelt verantwortungslos, inhuman und muss an jene Zeiten erinnert werden, als zwischen 1933 und 1938 jüdische und andere Deutsche aus Deutschland verjagt und zwischen 1944 bis 1989 Millionen Deutsche zu Flüchtlingen und Vertriebenen wurden.

 

Die GfbV fordert die 17 Innenminister des Bundes und der Länder dringend dazu auf, den in Deutschland lebenden Christen aus dem Irak eine langfristigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu geben und ihre Einbürgerung zu ermöglichen. "In einem mehrheitlich christlichen Land sollte es ein Minimum von Solidarität mit extrem verfolgten und täglich bedrohten Glaubensgenossen geben", mahnte Zülch und erinnerte in diesem Zusammenhang an die Aufnahme und Integration der Hugenotten in Deutschland. Bei den Christen aus dem Irak handele es sich um eine besonders integrationsbereite Minderheit. In Deutschland leben bereits etwa 20 000, meist aramäischsprachige Christen aus dem Irak, sowie 140 000 dieser Assyro-Chaldäer aus der Türkei, Irak, Iran und Syrien.

 

Auszug aus einer GfbV-Dokumentation über die Verfolgung der assyro-

chaldäischen Christen im Irak:

 

Chronik der Anschläge auf christliche Kirchen /Institutionen im Irak

 

Ende 2003

Ende 2003 finden verschiedene Angriffe auf christliche Institutionen statt: Ein Raketenangriff auf einen Konvent in Mosul, Sprengsätze in zwei christlichen Schulen in Bagdad und Mosul, an Heiligabend eine Explosion an einer Kirche in Bagdad. In der Nähe eines Klosters in Mosul wird eine Bombe gefunden und entschärft. (Daniel Pipes, Vom Verschwinden der irakischen Christen, in: New York Sun, 24.8.2004)

 

26.6.2004

Zwei Unbekannte werfen einen Sprengsatz aus einem silbernen Opel auf die Heilig Geist Kirche (al-Rooh al-Qudos) im Akha` Viertel in Mosul. Bei der Explosion wird die Schwester des Priesters verletzt. (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004)

 

1.8.2004

Bei Anschlägen gegen vier christliche Kirchen in Bagdad und eine Kirche in Mosul werden zwölf Menschen getötet und 61 verletzt. Ein weiteres Attentat kann verhindert werden. Die Anschläge richten sich gegen eine syrisch-katholische, eine armenisch-katholische, zwei römisch- katholische und eine chaldäische Kirche. (Beate Seel, Christen werden zu Anschlagszielen, in: taz, 3.8.2004, S. 10, FAZ.net, 17.10.2004; kath.net, 26.10.2004, Daniel Pipes, Vom Verschwinden der irakischen Christen, in: New York Sun, 24.8.2004)

 

10.9.2004

Die Kirche Sankt Georg und die Wohnung von Pater Sabah Kamura in Doura, in einem Vorort von Bagdad, werden Ziel eines Anschlags mit Handgranaten und Maschinengewehrfeuer. Der Pater entgeht dem Attentat nur knapp. (kath.net, 28.9.2004)

 

11.9.2004

Im Zentrum von Bagdad explodiert eine Autobombe an der Virgin Mary Seventh-Day Kirche der Adventisten im Al-Sa´doun Park. (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004.)

 

9.10.2004

Bei der assyrischen anglikanischen Kirche bei der al-Andalus Straße in Bagdad explodiert in der Nacht eine Bombe (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004).

 

16.10.2004

Gegen sechs christliche Kirchen in Bagdad werden Anschläge verübt. Dabei wird eine Person getötet und neun weitere verletzt. Die Kirchen werden zum Teil schwer beschädigt; die aus Holz gebaute römisch-katholische Kirche Sankt Georg brennt vollständig ab. Die Anschläge am zweiten Tag des Ramadan waren, so die SZ, offensichtlich gezielt geplant. (FAZ.net, 17.10.2004; Süddeutsche.de, 17.10.2004.)

 

8.11.2004

Bei Anschlägen auf zwei orthodoxe Kirchen in Bagdad kommen mindestens acht Personen ums Leben. Die Anschläge richten sich gegen die syrisch-orthodoxe Kirche St. Georg und die St. Matthäus Kirche der assyrischen Kirche des Ostens. Bei den Anschlägen sei, so Cindy Wooden vom Catholic News Service, auch die chaldäische Kirche St. John beschädigt worden. (www.christiansofiraq.com, 8.11.2004)

 

7.12.2004

Sprengsätze explodieren in zwei Kirchen in Mosul: Die neue, noch nicht eröffnete armenisch-orthodoxe Kirche in dem Viertel Al Wihda wird um 14.30 Uhr angegriffen. Dabei werden drei Personen verletzt. Die chaldäische Kirche Al Tahira und Erzdiözese in dem Stadtteil Alshafa wird um 16.30 Uhr angegriffen. Bewaffnete Männer bringen die Gläubigen aus der Kirche, bevor sie die Explosion lösen. (Rev. Emmanuel aus dem Irak, 8.12.2004)