07.06.2005

Gerhard Schröder reist nach Sarajevo (03. Mai 2005)

Mütter von Srebrenica erwarten Bundeskanzler Schröder vor bosnischem Staatspräsidium

Für die Bürgerrechtsbewegung "Mütter von Srebrenica" hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Bundeskanzler Gerhard Schröder heute in einem Schreiben gebeten, eine Delegation der Mütter am Dienstag in Sarajevo zu einem Gespräch zu empfangen. Schröder wird morgen in der bosnischen Hauptstadt erwartet. Etwa 50 dieser Frauen, in deren Heimatstadt im Juli 1995 mindestens 7.800 Knaben und Männer von serbischen Truppen ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden, wollen vor dem bosnischen Staatspräsidium auf den Bundeskanzler warten. Bisher konnten 6.500 Ermordete exhumiert, 1.327 identifiziert und im Gedenkzentrum Potocari beigesetzt werden. Zwar wurde Srebrenica von der Weltöffentlichkeit zum Synonym des Völkermords in Bosnien und des traurigen Versagens Europas erklärt, doch ist die Stadt völlig von der Außenwelt abgeschnitten, die 4500 Rückkehrer sind verelendet und vergessen.

 

Die Mütter von Srebrenica wollen den deutschen Bundeskanzler dringend bitten sich dafür einzusetzen, dass jene 892 mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden, die sich auf der Liste der Srebrenica-Kommission befinden, unter ihnen der gegenwärtige Polizeichef der serbischen Teilrepublik ("Srbska") Dragan Andan. Diese Täter sind mitverantwortlich für die Massenerschießungen vor fast zehn Jahren.

 

"Die Mütter", heißt es weiter in dem GfbV-Schreiben an Schröder, "möchten mit Ihnen Möglichkeiten des Wiederaufbaus von Wirtschaft, Infrastruktur und Zivilgesellschaft diskutieren. In Srebrenica gibt es weder ein Krankenhaus noch funktionierende Wirtschaftsbetriebe." Außerdem fordert die Mütterbewegung von Srebrenica einen Sonderstatus für ihre Stadt. Denn die so genannte "Republika Srbska" entstand als Zusammenfassung der ethnisch gesäuberten Regionen. Dort dominiert die Partei des international gesuchten Kriegsverbrechers Radovan Karadzic SDS bis heute. So wird von dort jeder Fortschritt für Srebrenica unmöglich gemacht.

 

Die Frauen wollen den deutschen Bundeskanzler auch über die Vergangenheit von Borislav Paravac, einem Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums der Republik Bosnien-Herzegowina und einer seiner offiziellen Gesprächspartner, informieren und ihn bitten, ein Treffen mit Paravac zu verweigern. Dieser war während des Bosnienkrieges als Präsident des "serbischen Krisenstabs" von Doboj verantwortlich für die ethnische Säuberung und die Massenmorde an der nichtserbischen Bevölkerung in dieser zentralbosnischen Stadt.

 

Die GfbV hat sich seit Anfang des Bosnienkrieges für die Opfer von Genozid und Vertreibung eingesetzt, die ersten Berichte über den Völkermord publiziert und die Arbeit von über hundert bosnischen Vereinigungen der Flüchtlinge und Gastarbeiter europaweit koordiniert. Seit Kriegsende gibt es eine bosnische GfbV-Sektion, deren Vorstand muslimische, jüdische, kroatische, serbische und Roma-Bosnier angehören. Die bosnische GfbV-Sektion unterhält ganztägig besetzte Büros in Sarajevo und Srebrenica. Die GfbV arbeitet eng mit der Mütterbewegung von Srebrenica und den ehemaligen Häftlingen der Vergewaltigungslager zusammen. Sie hat dem Tribunal in Den Haag kontinuierlich Material über Kriegsverbrechen zur Verfügung gestellt.