11.01.2006

Für eine Entwicklung ohne Öl

Interview mit Patricia und Eriberto Gualinga aus Sarayacu, Ecuador

Patricia Gualinga

Die Geschwister Patricia (34) und Eriberto Gualinga (28) kommen aus der Quichua-Gemeinde Sarayacu inmitten des Amazonasgebietes der Provinz Pastaza in Ecuador. Entschieden leisten sie Widerstand gegen das Eindringen transnationaler Ölkonzerne in ihr Gebiet. Umkämpft ist der sog. Block 23, für den die Regierung Konzessionen verkauft hat, obwohl das Land offiziell den Quichua gehört. Während ihrer Reise im Herbst 2005 haben Eriberto und Patricia Gualinga bei zahlreichen Schulbesuchen, Abendveranstaltungen und Vorführungen von Eribertos Film "Ich verteidige den Regenwald" (2005) den Widerstand Sarayacus geschildert. Anfang November 2005 besuchten sie die GfbV in Göttingen. Dort unterhielt sich die Ethnologin Kerstin Veigt mit ihnen.{bild1}

bedrohte völker: Womit ist die Gemeinde von Sarayacu konfrontiert?

Patricia Gualinga: Wir müssen unser Recht als indigenes Volk und unsere Menschenrechte gegen die Bedrohung unseres Regenwaldgebietes durch transnationale Ölkonzerne verteidigen. Unser Recht auf unser Territorium wird nicht respektiert, obwohl es in der Verfassung garantiert ist. Das hat zu einer Reihe von Auseinandersetzungen geführt. Der ecuadorianische Staat ist dafür verantwortlich, dass die Ölfirmen mit Gewalt in unser Gebiet eingedrungen sind. Er hat seine eigene Verfassung und internationale Verträge gebrochen. Die Regierung hat dem argentinischen Konzern CGC die Konzession für den Block 23 verkauft, der in unserem Gebiet liegt. Um diesem Konzern den Rücken zu decken, drang im Frühjahr 2003 die ecuadorianische Armee in Sarayacu ein. Dies ging einher mit Morddrohungen, gewaltsamen Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen. Wir haben uns gewehrt. Wir konnten den Militärs Waffen entwenden. So sind sie unserer Forderung nachgegangen, unsere misshandelten Gefangenen freizugeben und sich zurückzuziehen. Mit unserer Homepage und den Medien, denen wir unsere Berichte, Photo- und Filmaufnahmen schickten, haben wir die Menschenrechtsverletzungen im In- und Ausland öffentlich gemacht. Jetzt machen wir eine große Kampagne, um die Weltöffentlichkeit über die Geschehnisse in Sarayacu und die drohende Zerstörung des Amazonasgebiets zu informieren. Gleichzeitig läuft ein Prozess vor dem Gerichtshof der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Auf diesem Weg werden wir beweisen, dass Sarayacus Rechte verletzt wurden und fordern ein, dass der Staat seine Verfassung einzuhalten hat.

bedrohte völker: Wie hat Euer Widerstand begonnen?

Eriberto: Das ist schon einige Jahre her. Die ersten Konfrontationen mit dem Konzern "Petroecuador" haben uns bewusst gemacht: Wenn Firmen hier Ölvorkommen ausbeuten wollen, ist es für uns wichtig, offizielle Besitztitel für unser Land zu haben. Deshalb hat Sarayacu 1992 einen Marsch in die Hauptstadt Quito organisiert, an dem sich indigene Gemeinden aus verschiedenen Teilen des Amazonasgebiets beteiligt haben. Wir sind zu Fuß die etwa 500 Kilometer nach Quito gegangen und dort zwei Monate lang geblieben, um weiter zu protestieren. Damit haben wir erreicht, dass unser Gebiet offiziell als unser Besitz anerkannt wurde.

bedrohte völker: Steht die ganze Gemeinde hinter dem Widerstand gegen die Ölförderung?

Patricia Gualinga: Ja! Wir sind geschlossen dagegen. Am Anfang war es schwierig für uns, denn wir wussten nicht, mit welcher Strategie die Ölfirma an uns heran treten würde. Aber dann erkannten wir, dass sie versuchte, einzelne Persönlichkeiten der Gemeinde zu bestechen und uns zu spalten. So konnten wir dem entgegen treten. Im Jahr 2000 hat uns die argentinische Ölfirma CGC schließlich 60.000 Dollar angeboten und gesagt, davon könnten wir Schulen und eine Sozialstation bauen, aber Sarayacu hat abgelehnt. Unsere Position ist klar: Wir wollen die Ölfirmen hier nicht! Trotzdem werden wir immer wieder von ihnen bedroht.

bedrohte völker: Was ist der Hintergrund von Sarayacus entschlossenem "Nein" zum Eindringen der Ölkonzerne?

Eriberto Gualinga: Wenn die Ölfirmen kämen, würde das Öl eines Tages versiegen. Wir aber leben im Amazonasgebiet und brauchen den Regenwald zum Leben. Für die Ölfirmen fällt durch die Ölförderung viel Geld ab, doch auch dieses Geld wird eines Tages zu Ende gehen. Bis dahin ist das Amazonasgebiet zerstört. Wovon sollen wir, die wir vom Regenwald abhängig sind, die wir darin fischen, jagen und sammeln, dann leben? Meine Tante sagt in dem Film, den ich gemacht habe: "Wenn alles zu Ende ist, was bleibt uns denn dann? Dann bleiben wir als Bettler übrig." Wir wollen eine Entwicklung ohne Öl.

bedrohte völker: Welche Vorstellung von ihrer Zukunft hat die Gemeinde von Sarayacu selbst?

Patricia Gualinga: Unser Ziel ist ein Leben mit Würde und eine Lebensweise, die unserer Weltsicht entspricht. Früher hat man uns indigene Völker "entdeckt", Schulen gebaut und all das, obwohl wir unsere eigene Kultur haben. Nur weil sie uns für "anders" halten, haben wir viel Geringschätzung zu spüren bekommen, als seien wir weniger wert als die ecuadorianische Mehrheitsgesellschaft. Für die Konzerne und den Staat bedeutet "Entwicklung" Bau von Strassen, Elektrizität, Trinkwasser und Schulen. Sie wollen Sarayacu in eine Stadt verwandeln. Wir aber wollen keine Strassen und suchen nach anderen Transportmöglichkeiten. Wir wollen verhindern, dass Holzkonzerne und Siedler hier eindringen, denn das könnten wir nicht mehr kontrollieren.

Von Bedeutung ist für uns außerdem eine gute Bildung, in der unsere eigenen Lehrerinnen und Lehrer traditionelle und andere Kenntnisse vermitteln. Es ist wichtig, dass wir stolz sind, indigen zu sein und aus Sarayacu zu kommen, stolz auf unser indigenes Wissen und unsere Ahnen, auf unsere Wurzeln und Werte. Aber wir leben nicht auf einer Insel. Eine Isolation würde es allzu leicht machen, uns zu dominieren. Wir wollen lernen zu schreiben, zu lesen und mit Computern zu arbeiten. Wir wollen professionell sein, aber das Eigene behalten. Deshalb haben wir die Universität von Sarayacu ins Leben gerufen, in der wir selbst Lehrerinnen und Lehrer ausbilden.

Wir ernähren uns vom Sammeln, Jagen und Fischen für unseren eigenen Gebrauch. Doch das Jagen und Fischen ist immer schwieriger und die Nahrungsversorgung ist unsicherer geworden. Das "Projekt der Erhaltung" soll daher Schutzzonen für Tiere schaffen, in denen sie sich ungestört vermehren können. Außerdem halten wir Tierarten, die sich schnell vermehren und von denen wir uns ernähren während die Tiere im Wald Schonzeit haben. Auf den Feldern soll vielfältiger angebaut werden, damit die Familien gut ernährt sind. So bleibt der Regenwald erhalten. Wir haben jetzt schon schwarze Affen und Tapire in der Nähe von Sarayacu gesehen, die vorher schwer zu finden waren.

Ein dritter Punkt ist der Ökotourismus der Gemeinde. Der Besuch von Touristen gibt vielen Leuten zeitweise eine weitere Arbeitsmöglichkeit. In Sarayaquillu, einem der fünf Dörfer Sarayacus, haben wir ein Touristenhaus, wo die Besuche vorbereit und die Gäste bekocht werden. Einige Frauen verwalten eine Solidaritätskasse, in die die Erlöse aus dem Tourismus fließen. Die 20.000 Dollar, die sie heute enthält, stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern Sarayacus in Notfällen zur Verfügung und können auch als landwirtschaftlicher Kredit entliehen werden wie bei jeder anderen Bank. Auf diese Art kann uns niemand etwas vorschreiben, weil die Kreditangaben nicht an Forderungen von außen gebunden sind.

bedrohte völker: Wie ist Sarayacu in die indigene Bewegung Ecuadors eingebunden?

Patricia Gualinga: Sarayacu ist in der OPIP, der Organisation indigener Völker der Provinz Pastaza, aktiv. Damit gehören wir auch der amazonasgebietweiten Dachorganisation CONFENAIE und der CONAIE, der nationalen Dachorganisation indigener Organisationen an. Unser Widerstand hat lokal begonnen und wurde regional, national und international. Wir werden unterstützt durch die indigene Bewegung und haben sie in unserem Rücken.

bedrohte völker: Viele wundern sich, dass Sarayacu trotz aller Bestechungs- und Einschüchterungsversuche, trotz des Drucks durch Militarisierung, Menschenrechtsverletzungen und Morddrohungen so klar und entschlossen bleibt.

Eriberto Gualinga: Wir werden uns nie einschüchtern lassen. Die Kraft dafür kommt wesentlich von unseren Alten, den Großmüttern und Großvätern. Es gibt eine Weissagung, in der erzählt wird, dass irgendwann etwas Schlimmes passieren wird, wodurch Sarayacu verschwinden könnte. Die Menschen in Sarayacu haben lange gedacht, dies würde vielleicht ein Wirbelsturm oder ein Erdbeben sein. Jetzt ist klar, dass es die Ölfirmen sind, die alles zu zerstören drohen.

bedrohte völker: Inwiefern ist es Euch wichtig, die Situation Sarayacus in Deutschland bekannt zu machen?

 

Patricia Gualinga: Der Fall Sarayacu scheint auf den ersten Blick weit weg von allem, aber das ist er nicht. Als die neue Pipeline OCP zwischen Amazonasgebiet und Küste errichtet wurde, war die starke Finanzierung von einer deutschen Bank – der Westdeutschen Landesbank - ausschlaggebend. Um diese Pipeline jetzt auszunutzen, soll das gesamte Öl aus dem Amazonasgebiet herausgeholt werden. Man hat eine neue Runde der Erdölausbeutung eröffnet. Die Fertigstellung der Pipeline hat dazu geführt, dass man mit aller Macht versucht, an die Ressourcen in unseren Gebieten zu kommen – mit aller Macht, weil es wirtschaftliche Gründe gibt. So hat das Ganze durch die Finanzierung der Pipeline einen starken Bezug zu Deutschland. Die Konsequenzen sind zu sehen. Wir leiden darunter. Deshalb finde ich, dass sich die Menschen in Deutschland dafür interessieren sollten, was die Entscheidungen ihres Landes nach sich ziehen. Die Menschen sind zwar nicht direkt dafür verantwortlich, aber wir wünschen uns Solidarität von ihnen. Wir sitzen auf strategischen Ressourcen und die Invasion aus Ölkonzernen, Regierung und Militärs richtet ihre Augen auf unsere Völker, um uns auszulöschen. Man versucht zu verhindern, dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas von der Existenz der indigenen Völker im Amazonasgebiet erfährt, um das Öl einfach herauszuholen. Das darf man nicht zulassen!