12.06.2006

Ermittler in der Wüste

Die schwierige Jagd nach Völkermördern und Kriegsverbrechern

Luis Moreno Ocampo - Foto: worldpress.org

(SZ) vom 7.6.2006
Der Haager Strafgerichtshof steht im Sudan vor einer fast unlösbaren Aufgabe – manche halten den Chefankläger für zu zahm

Der Chefankläger, da sind sich alle einig, ist sehr charmant und weltgewandt. Wenn Luis Moreno Ocampo den Raum betritt, dann macht er erstmal lächelnd die Runde und begrüßt jeden Anwesenden per Handschlag. Der Argentinier, der sich mit Prozessen gegen verbrecherische Generäle in seiner Heimat einen Namen gemacht hat, ist eben nicht nur Staatsanwalt, sondern auch ein Diplomat der Weltjustiz. Seit drei Jahren führt er die Ermittlungen am neuen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der in den großen Krisenherden der Gegenwart Kriegsverbrecher und Völkermörder überführen und verurteilen soll. Uganda, Kongo, Sudan - das sind die Fälle, die Moreno Ocampo aufklären muss, es sind Konflikte mit insgesamt Hunderttausenden Mordopfern und fünf Millionen Vertriebenen. Was sich speziell im Sudan abspielt, ist mutmaßlich ein Völkermord wie jener 1994 in Ruanda, wie ihn die Welt eigentlich nie wieder zulassen wollte. Im Sudan verläuft er nur langsamer.

Erschöpft und krank

Drei Jahre nach seinem Amtsantritt sieht sich Weltstaatsanwalt Moreno Ocampo nun wachsender Kritik ausgesetzt. Louise Arbour, die UN-Menschenrechtskommissarin, hat ein "robusteres" Vorgehen gegen das Regime im Sudan gefordert, die niederländische Ministerin Agnes van Ardenne erklärte, sie habe den Eindruck, "als wird gar nicht ermittelt", und der Italiener Antonio Cassese, der das Morden im Sudan im Auftrag der UN als Erster untersucht hat, bemängelte, dass noch kein einziger Haftbefehl beantragt worden sei. Den Kritikern ist gemeinsam, dass sie dem Tribunal wohl gesonnen sind und ihm - gerade angesichts seiner mühsamen Entstehungsgeschichte - zum Erfolg verhelfen wollen. "Dieser Gerichtshof steht und fällt mit der Qualität der Anklage", sagt ein hochrangiger Mitarbeiter des Gerichts, "die Anklage ist der Motor". Ist Moreno Ocampo zu gutmütig, um dieses ehrgeizige Justizprojekt in die Gänge zu bringen?

Der Fall Sudan ist der größte und schwierigste und er wird die künftige Bedeutung des jungen Gerichts prägen. Ein komplizierterer Einstieg als dieser ist allerdings kaum denkbar. Die Ermittler, im Fall Sudan sind es gut zwei Dutzend, sitzen bei 35 Grad in Zeltlagern zum Beispiel im Tschad, sie befragen die Flüchtlinge aus dem Sudan nach ihren Peinigern. Es ist kaum möglich, diese Zeugen zu schützen vor Vergeltung, oft ist es schon schwer genug, überhaupt nur ihre Spur weiterzuverf olgen, um die Opfer eines Tages zur Aussage vor das Gericht laden zu können. Diese Ermittlerteams sind die Pioniere der Weltjustiz, doch wenn sie von ihren Afrika-Einsätzen zurückkehren, sind sie erschöpft, manchmal deprimiert, und sehr oft krank - der Krankenstand kann schon mal hundert Prozent erreichen. "Und dann soll ein hieb- und stichfestes- Anklagedossier entstehen - wie für ein Landgericht", sagt ein Beteiligter.

Die Gräueltaten im Sudan werden den Janjaweed genannten Reitermilizen im Westen des Landes zugerechnet, doch als

Anstifterin gilt ~ wie meistens bei Verbrechen in diesem Ausmaß - die Regierung in diesem Fall das Militärregime in der Hauptstadt Khartum. Das Kernproblem besteht darin, dass Moreno Ocampo gegen mutmaßliche Täter ermitteln muss, die noch an der Macht sind, und die erstens alles tun, um sich diese Macht zu si ehern und zweitens verhindern wollen, dass ihnen das Weltgericht gefährlich wird. Folglich hat das Regime eigene Tribunale eingesetzt, um die Täter zu verf o gen. Diese Verfahren gelten zwar gemein hin als Farce, doch die Mächtigen in Khartum beharren darauf, dass sie di Taten selbst aufklären und der Haag« Strafgerichtshof deswegen gar nicht zuständig sei. Moreno Ocampo lässt vorerst auch nur außerhalb des Sudan ermitteln, weil die Lage in der Krisenregion Darfur zu gefährlich ist - für seine Mitarbeiter und die Zeugen gleichermaßen. Das erlaubt es allerdings kaum, die Befehlskette bis an die Regierungsspitze zu verfolgen. Das wäre ohnehin schon kompliziert genug - Befehle werden, vermutet man in Den Haag, mündlich gegeben und in Andeutungen verpackt.

Mitte Juni muss Moreno Ocampo dem Sicherheitsrat über den Stand seiner Ermittlungen berichten. Der höchste UN-Zirkel hatte den Fall Sudan im März 2005 an den Strafgerichtshof überwiesen. "Das war ein Wunder", sagt der Chefankläger, denn die USA, die das neue Gericht stets erbittert bekämpft haben,

duldeten den Beschluss - er galt als höchste Anerkennung für das Prinzip Weltjustiz, das in Washington noch immer mächtige Feinde hat. Doch das Wunder von damals könnte sich noch als vergiftetes Geschenk erweisen: Wenn das Gericht im Sudan scheitert, würde das auch in den USA j ene stärken, die das Gericht für ein Hirngespinst halten.

Moreno Ocampo ist also zum Erfolg verdammt, doch er spielt nicht gerne den verbissenen Ankläger. Er imitiert nicht Carla del Ponte, die umtriebige Anklägerin des insgesamt erfolgreichen Jugoslawien-Tribunals. Del Ponte hat oft genug Politik gemacht, reiste regelmäßig nach Belgrad, Zagreb und die europäischen Hauptstädte - sie redete und forderte so lange, bis sie fast alle Angeklagten bekam. Es hat manchmal den Anschein, als wünschten sich viele am Strafgerichtshof jemanden wie del Ponte. Sie gilt zwar als etwas überdreht, aber sie hat den politischen Druck erzeugt, der die Staaten des früheren Jugoslawien zur Kooperation mit dem UN-Gericht zwang. Moreno Ocampo lässt sich von solchen Vergleichen nicht beeindrucken. Warum etwa hat er noch keinen Haftbefehl gegen Strippenzieher im Sudan erwirkt? "Diese Verbrechen sind so ernst, dass wir ein starkes Dossier mit vielen Beweisen brauchen. Wir sind keine Politiker, wir sind nicht für politische Signale zuständig", sagt er mit der Ruhe desjenigen, der mit sich im Reinen ist. Hätte er nicht - wie immer mehr Beobachter fordern - wenigstens einmal nach Khartum reisen und öffentlich Kooperation fordern müssen? Das, sagt Moreno Ocampo, hätten seine Mitarbeiter erledigt, er selbst sei für die Strategie verantwortlich, nicht für das Operative. "Wir bauen hier eine Institution auf, und nicht meine Person".

"Zu viel Konsens"

Damit bleibt allerdings die Frage unbeantwortet, wie er die Führung im Sudan zur Rechenschaft ziehen will. "Als Beobachter gewinnt man inzwischen den Eindruck, dass der Chefankläger zu sehr auf Justizdiplomatie und Konsens mit der vom jeweiligen Konflikt direkt betroffenen Regierung setzt", sagt der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß, der für die Bundesregierung an den Verhandlungen zur Gründung des Strafgerichtshofs mitwirkte. Die typische Herausforderung des Völkerstrafrechts bestehe eben darin, sich mit mutmaßlich verbrecherischen Regierungen anzulegen - "diesem Konflikt scheint er sich bislang nicht stellen zu wollen".

Und es gibt wohl noch einen weiteren Akteur, den der Chefankläger an seine Verantwortung erinnern müsste. "Er müsste auch die UN in die Pflicht nehmen und deutlich machen: Wir kommen ohne Druck durch den Sicherheitsrat nicht weiter. Auch das scheint noch nicht geschehen zu sein", sagt Kreß. Der Sicherheitsrat hat den Fall Sudan über Jahre so unentschlossen behandelt, dass sein Ruf nach dem Strafgericht wie ein Feigenblatt für eigene Versäumnisse wirkt. Selbst wenn die Veto-Mächte sich nicht entschließen können, den Druck auf Khartum zu erhöhen, so könnte Moreno Ocampo wenigstens daran erinnern, dass er - ein Staatsanwalt ohne einen einzigen eigenen Polizisten - dringend auf die Hilfe der Nationalstaaten angewiesen ist.

Inmitten aller Anfechtungen erinnert Luis Moreno Ocampo gerne an seine früheren Erfolge als Ermittler gegen die argentinische Junta. "Damals konnten wir auch nicht mit der Polizei rechnen, weil die selbst verstrickt war. Ich weiß, wie man damit fertig wird". Wie er dies im Sudan schaffen will, sagt er aber nicht.