06.07.2010

Erklärung der GfbV-International zur Säule und Mauer der Schande

Ein Denkmal und ein Aufruf zur Initiative

Göttingen/ Sarajevo/ Bern/ Wien/ Berlin/ London

In dieser Woche, anlässlich des 15. Jahrestages des Völkermordes von Srebrenica am 11. Juli, bestätigt die Gesellschaft für bedrohte Völker ihre Unterstützung für die Errichtung einer "Säule der Schande" ("Stup srama") in Bosnien. Das Monument soll in Potocari, errichtet werden und zum Fall der "Mauer der Schande", die die Menschen aus Bosnien von Europa trennt, beitragen.

 

Bereits in einer Presseerklärung vom 11. Juli 2008 begrüßte die Gesellschaft für bedrohte Völker International die Initiative der vier Mütterbewegungen von Srebrenica, eine "Säule der Schande" bei der Hinrichtungsstätte von Potocari aufzurichten. Auf dieser Säule sollen die Namen von Persönlichkeiten eingraviert sein, die den Opfern des Genozids vor den Massakern Hilfe versagten und so zu dem furchtbaren Geschehen beitrugen. Außerdem sollen jene Persönlichkeiten Erwähnung finden, die die Festnahme der Hauptkriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic behinderten. Erste "Kandidaten" für diese Liste sind der ehemalige persönliche Repräsentant des UN-Generalsekretärs im früheren Jugoslawien, Yasushi Akashi, der frühere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, die UN-Ex-Kommandanten General Bernard Janvier und General Phillipe Morillon, der Ex-Kommandeur des niederländischen UN-Bataillons Tom Karremanns und andere.

Das "Zentrum für politische Schönheit" (Berlin) hat den "Müttern von Srebrenica die Hand gereicht" und will den Aufbau einer 8 m hohen Säule der Schande oberhalb der Gedenkstätte Srebrenica vorbereiten. Am kommenden 11. Juli wird das Zentrum in Berlin - unterstützt von der Gesellschaft für bedrohte Völker und den Überlebenden des Völkermordes von Srebrenica in Berlin - 16.744 Schuhe für 8.372 Opfer der Drina-Stadt aufstellen. Aus diesen Schuhen soll später die Säule entstehen.

Auch die Sektionen der Gesellschaft für bedrohte Völker International in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Bosnien-Herzegowina haben seit einigen Wochen mit der Unterstützung dieses Projektes des "Zentrums für politische Schönheit" begonnen. Dieses Projekt hat sowohl in Bosnien, als auch unter den in 52 Staaten der Welt verstreuten Flüchtlingen und Vertriebenen ein weites Echo und große Unterstützung erhalten.

Doch die Errichtung dieses "Mahnmals der Schande" wäre sinnlos, würden wir jetzt nicht dazu aufrufen, vor allem jene "Mauer der Schande" zu zerstören, die die westliche Welt um das Opferland Bosnien Herzegowina gezogen hat.

Mit dem Dayton-Abkommen von 1995 wurde Bosnien geteilt, die nördliche Hälfte den serbischen Tätern überlassen und die Rückkehr der von dort vertriebenen Bevölkerung verhindert. Dieses Abkommen wurde u.a. von den USA, Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland mitunterzeichnet. Die UN-Truppen wurden an den Grenzen der beiden bosnischen Entitäten stationiert, statt zur Durchsetzung der Rückkehr eingesetzt. Dabei sah das Abkommen – theoretisch – das Recht aller Flüchtlinge und Vertriebenen vor, in ihre ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren.

Heute ist Bosnien ein geteiltes, zunehmend verelendetes Land. Die Kriegsopfer, die Vergewaltigten, die Verwundeten, die Bombenopfer, die ehemaligen KZ-Häftlinge, die Flüchtlinge und Vertriebenen sind in Vergessenheit geraten.

Während Serbien und Kroatien sich der Europäischen Union annähern und deren Bürger Visa-Freiheit genießen, ist Bosnien, das Opferland von Krieg und Völkermord, zum Paria gemacht worden. So sind Bosniens Bürger de facto von einer Mauer der Schande, errichtet von Europa, umgeben.

Dabei haben die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens 1992-1995 alles unternommen, um den Angriffskrieg der serbische Armee und der serbischen Milizen gegen Bosnien-Herzegowina zu unterstützen. Französische, britische und kanadische Oberkommandierende der UN-Truppen haben vor Ort die serbischen Aggressoren begünstigt. Simon Wiesenthal, der große jüdische Bürgerrechtler, Marek Edelman, der letzte überlebende Kommandeur der Freiheitskämpfer des Warschauer Ghettos, Elie Wiesel, Alain Finkielkraut, Bernard-Henri Lévy, Susan Sontag, André Glucksmann und viele andere haben damals das Schweigen oder die Mitschuld Europas immer wieder gegeißelt und Konsequenzen aus dem Holocaust gefordert.

Auch die Regierung Kohl/Kinkel trifft schwere Schuld. Als Serbien über die gesamte Waffenindustrie Jugoslawiens verfügte und die Eingeschlossenen von Sarajevo, Bihac, Tuzla und Mostar sich mit kümmerlichen Waffenbeständen wehren mussten, forderte die deutsche Regierung ein Waffenembargo für die Region. Präsident Bill Clinton schickte einen Abgesandten nach Westeuropa, um mit den Regierungen über eine Intervention in Bosnien zu verhandeln. Dort wurde er vom deutschen Außenminister Klaus Kinkel gar nicht empfangen.

All jene, die sich jetzt zur Unterstützung der "Säule der Schande" zusammenfinden, rufen wir auf, eine "Koalition der Gutwilligen" [Die GfbV International wird Sie über die Koalition der Gutwilligen informieren] zu bilden. Wenn Bosniens Politiker versagen, müssen seine Bürger im Inland wie im Ausland handeln. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands muss auch Bosnien wiedervereinigt werden, damit alle seine Bürger in ihre Heimatorte zurückkehren können.

Wir fordern:

- Die Täter, Serbiens Milizen, Armee und Politiker, müssen genannt und weiter zur

Verantwortung gezogen werden.

- Die Mitschuld Europas und vor allem seiner "Großmächte" Frankreich und

Großbritannien sowie des Weltsicherheitsrates und das Schweigens und Versagen

Deutschlands dürfen nicht vergessen werden

- Auslieferung des Hauptkriegsverbrechers Ratko Mladic und Überstellung an das

Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (ICTY)

- Aufnahme des Opferlandes Bosnien-Herzegowina vor Serbien in die Europäische Union

- Aufnahme Bosnien Herzegowinas in das Nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO

- Aufhebung des Visumzwangs für alle Staatsbürger Bosnien Herzegowinas.

- Wiedervereinigung Bosniens und Beendigung der vielfach praktizierten Apartheid, der

systematischen Trennung der orthodoxen, muslimischen und katholischen

Gemeinschaften in Bosnien und Herzegowina

- Gleichberechtigung aller religiösen Gemeinschaften und Minderheiten in allen Teilen

Bosnien-Herzegowinas

- Aufstellung eines Marshall-Planes für den Wiederaufbau Bosnien-Herzegowinas.

 

Gezeichnt:

Tilman Zülch

Präsident der GfbV-International

Kornelia Rainer-Schröder

Vorstandsmitglied der GfbV-Österreich

Der Unterzeichner ist neben Tadeusz Mazowiecky und dem US-Kongressabgeordneten Chris Smith, der sich für die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien engagiert hatte, einer der drei Preisträger des "Srebrenica Award against Genocide" der Mütterbewegungen der Stadt. Außerdem erhielt er die "Silberne Lilie" des bosnischen Staatspräsidiums und den Preis "Sloboda" des bosnischen Antikriegs-Zentrums.

 

Anhang zum Genozid in Bosnien Herzegowina 1992-1995

1. Errichtung von über 100 Konzentrations-, Internierungs- und Vergewaltigungslagern mit über 200.000 zivilen Häftlingen

2. Ermordung von vielen tausend Häftlingen in Konzentrationslagern wie Omarska, Manjaca, Keraterm, Trnopolje, Luka Brcko, Sušica und Foca

3. Systematische Verhaftung und Ermordung von Angehörigen der akademischen und politischen Eliten.

4. Flucht und Vertreibung von etwa 2,2 Millionen Bosniern und ihre Zerstreuung über vier

Erdteile

5. Viele tausend, von keiner Institution gezählte und nicht in die Statistiken eingegangene Todesopfer unter Kindern, Alten, Kranken und Verwundeten während Flucht und Vertreibung und deren Folgen

6. Einkesselung, Aushungerung, Beschießung und teilweise Liquidierung von 500.000 Bosniern in so genannten UN-Schutzzonen bis zu vier Jahren (Tuzla, Goražde, Srebrenica, Žepa und Bihac).

7. Fast vierjähriges Bombardement der sechsten so genannten UN-Schutzzone Sarajevo mit etwa 11.000 Toten, darunter 1.500 Kinder.

8. Massaker und Massenerschießungen in zahlreichen Gemeinden und Städten Nord-, West- und Ostbosniens (Posavina, Raum Prijedor und Podrinje).

9. Planmäßige Zerstörung hunderter Dörfer und Stadtteile.

10. Vollständige Zerstörung der materiellen islamischen und weitgehend auch der katholischen Kultur, darunter 1 189 Moscheen und Medresen und bis zu 500 katholische Kirchen und Gemeindehäuser sowie 38 orthodoxe Kirchen.

11. Suche nach immer noch etwa 15.000 Vermissten und deren notwendige Exhumierung und Identifizierung.

12. Geiselnahme und Missbrauch von 284 UN-Soldaten als menschliche Schutzschilde

13. Vergewaltigung von mehr als 20.000 bosnisch-muslimischen Frauen in- und außerhalb der Vergewaltigungslager

14. Ermordung von 8 372 Bosniaken in der Stadt Srebrenica – Männer und Jungen, unter ihnen auch 560 Frauen - und deren Verscharrung in Massengräbern

15. Vernichtung von etwa 150.000 Menschen durch "ethnische Säuberungen" oder deren Folgen

 

Bei "Download des Dokuments" können Sie die Erklärung als pdf herunterladen.

Hier gelangen Sie zur bosnien oder englischen Version der GfbV-Erklärung zur Säule und Mauer der Schande.