28.04.2005

Erdöl und Erdgas aus Ostturkestan und Tibet

"Go West" in China

"Go West" ist in China nicht etwa die Botschaft internationaler Tabak-Konzerne, sondern in allen staatlichen Medien der Leitspruch des Jahres. Ganzseitige Zeitungsberichte rufen zur Förderung der "industriell rückständigen" Provinzen im Westen des Landes auf und preisen die Verdienste der chinesischen Führung bei der "Entwicklung" dieser Regionen. Mit Konferenzen im In- und Ausland wird um ausländische Investoren für den Rohstoffabbau in Tibet, Ostturkestan und anderen Gebieten im Westen des Landes geworben. Chinas Energiebedarf wächst jährlich um 8 Prozent. Den industriell hochentwickelten Provinzen im Osten des Landes mangelt es denen es chronisch an Energieressourcen. Aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen will das Land seine Abhängigkeit von Öl- und Erdgas-Importen so weit wie möglich verringern. Nun sollen multinationale Öl-Konzerne dabei helfen, die umfangreichen Öl- und Erdgasreserven in Tibet und in der Region Xinjiang (Ostturkestan) zu erschließen.

Die größten Öl-Konzerne der Welt - British Petroleum (BP), Exxon (Esso) und Shell - drängen immer mehr auf den chinesischen Markt. Ungeachtet der Proteste zahlloser Tibet-Unterstützer erwarb BP im Jahr 2000 einen zwei-Prozent-Anteil an den chinesischen Energiekonzernen Sinopec und PetroChina. Mehr als zwei Milliarden Mark war BP diese Investition wert. Nichts wird gescheut, um auf dem vermeintlich lukrativen Energie-Markt in China Fuß zu fassen. Ende Juli 2001 erklärten BP, Esso und Shell offiziell ihr Interesse an einer Beteiligung am Bau einer Erdgaspipeline von Xinjiang nach Schanghai. Obwohl im ostturkestanischen Tarim-Becken die bislang größten Erdgasvorkommen Chinas entdeckt wurden, ist das Projekt auch bei westlichen Konzernen umstritten. Die 4.200 Kilometer lange Pipeline, mit deren Bau im Oktober 2001 begonnen wird, soll Milliarden kosten. Doch Wirtschaftsexperten bezweifeln die Rentabilität des Mega-Projekts, da niemand den Umfang der Gasreserven in Ostturkestan kennt. So zog sich BP nach einer umfangreichen Prüfung des Projekts am 7. September 2001 aus dem Bieterkreis zurück. Doch weiterhin ködert China die Konzerne mit exklusiven Konzessionen.

Sowohl Tibeter als auch die in Ostturkestan lebenden Uiguren protestieren gegen die zügellose Ausbeutung der Energievorkommen. Das "Go West"-Programm ist in ihren Augen nur eine geschickt inszenierte Kampagne zum Ausverkauf ihrer Heimat. Da in der strategisch bedeutsamen Ölindustrie vor allem Angehörige der chinesischen Mehrheitsbevölkerung der Han beschäftigt werden, rechnen Uiguren und Tibeter aufgrund der Ölförderung mit dem Zuzug weiterer Zehntausender Han-Chinesen. Schon heute beklagen Uiguren und Tibeter, aufgrund des staatlich geförderten Zuzugs zur Minderheit im eigenen Land zu werden.

Besonders dramatisch ist die Lage für die Uiguren. Mit brutaler Repression unterdrücken die chinesischen Sicherheitskräfte jedes Engagement der Uiguren für die Erhaltung ihrer Kultur und muslimischen Religion. Mehr als 30 Uiguren wurden im Rahmen der chinesischen "Schlag hart zu"-Kampagne allein zwischen April und August 2001 hingerichtet. Hunderte wurden zu Haftstrafen verurteilt. Traditionell unterhalten turksprachigen Uiguren Xinjiangs intensive Beziehungen zu ihren Landsleuten in Kasachstan, Kirgisien, Turkmenien und Russland. Mit dem Ausbau ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen zu den Nachbarstaaten versucht Peking, dem Widerstand der Uiguren in der Grenzregion jeden Rückhalt zu entziehen. Bereits werden uigurische Flüchtlinge von Kasachstan und Kirgisien zurück nach China geschickt. Kürzlich einigte man sich mit Russland auf den Bau einer Öl-Pipeline von Sibirien nach China. der russische Gazprom-Konzern will zudem die umstrittene Erdgaspipeline nach Schanghai bauen. Auch aus Kasachstan und Turkmenien bezieht China Öl.

Inzwischen haben Russland, China, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan eine gemeinsame Organisation zur Aufrechterhaltung der "Sicherheit" gegründet und unterstützen einander im Kampf gegen "islamische Separatisten und Terroristen". Öl und Erdgas haben bei dieser Zweck-Koalition Pate gestanden. Für die Uiguren ist der Energiereichtum Zentralasiens zum Fluch geworden. Eine Eskalation der Gewalt ist in der Region zu befürchten, da der uigurische Widerstand wahrscheinlich nicht tatenlos der Ausbeutung der Bodenschätze durch China zuschauen wird.