22.11.2007

Entsendung von BND-Team nach Tschetschenien erinnert an Hitler-Stalin-Pakt!

OFFENER BRIEF an Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer


"...nicht einmal Völkermord war für sich allein ein zureichender Grund, um die westdeut¬sche Linke für den Kampf eines unterdrückten, fernen Volkes zu mobilisieren. Wen küm¬mert in der Neuen Linken schon Biafra, wen die Ausrottung der südamerikanischen In¬dianer oder gar der jahrzehntelange Kampf der Kurden im Irak? Wer fragt nach dem Schicksal der nichtrussischen Völker im asiatischen Teil der Sowjetunion, wer nach den Vorgängen in Tibet? Wohl kaum einer. Statt dessen solidarisierte man sich eher mit jenen antiimperialistischen Kämpfen, wo man selbst etwas davon hatte." (Joschka Fischer in: "Von grüner Kraft und Herrlichkeit, rororo Aktuell, Reinbek 1984, S.14)

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

sehr geehrter Herr Minister,

nach dem Muster von Coventry und Dresden wurde Grosny dem Erdboden gleichgemacht. Niemand kennt die genaue Zahl der Toten, die in Kellern und Ruinen der tschetschenischen Hauptstadt liegen. Russland hat zum dritten Mal Völkermord an den Tschetschenen begangen: 1944, 1994/1996, 1999/2000. In¬ternationalen Menschenrechtsorganisationen liegen ausreichende Informationen vor, nach denen eine Verletzung der UN-Konvention zur Verhütung und Bestra¬fung des Völkermordes vorliegt. Auch Elena Bonner und Sergej Kowaljow be¬zeichnen diese Verbrechen als Völkermord, der tschechische Präsident Vaclav Havel nannte den russischen Krieg gegen Tschetschenien "die Liquidierung ei¬nes kleines Volkes".

Am 29. Februar 2000 hatte Wladimir Putin den jüngsten Tschetschenienkrieg und damit ja auch den Genozid für beendet erklärt. Am selben Tag verkündete Deutschlands Verteidigungsminister Rudolf Scharping den Abschluss von 33 gemeinsamen deutsch-russischen Militärprojekten, darunter die Ausbildung rus¬sischer Offiziere an der Bundeswehr-Hochschule in Hamburg.

Jetzt müssen wir zur Kenntnis nehmen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Minister, dass Sie noch einen Schritt weitergegangen sind. Sie ha¬ben ein dreiköpfiges Team unter Leitung von BND-Chef Dr. August Hanning in die völlig zerstörte tschetschenische Stadt Gudermes gesandt. Nicht etwa um nachzuholen, was internationalen Menschenrechtlern wie der UN-Beauftragten Mary Robinson von Putin versagt wird, nämlich den Bomben- und Mordterror gegen ein ganzes Volk zu untersuchen und die Schuldigen zu benennen. Nein, Ihre Geheimdienstler sollen mit den Mördern der tschetschenischen Frauen, Kin¬der und Männer, die vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal gehören, Informationen über Terrorismus austauschen!

Das ist offene Parteinahme für Genozid, nachdem Sie bereits monatelang Sank¬tionen gegen Russland und dessen Ausschluss aus dem Europarat abgelehnt und die Kriegsverbrechen nur halbherzig kritisiert hatten.

Der russische Geheimdienst FSB, der nahtlos an seine Vorgänger KGB und NKWD anknüpft, wird inzwischen von durchaus kompetenten Stellen in Russland beschuldigt, die Terroranschläge in Moskau im August 1999, auf die sich der jüngste Tschetschenienfeldzug berief, selbst begangen zu haben. So wecken Sie von Berlin aus mit der Präsenz des BND im niedergeschlagenen, zerstörten und entvölkerten Tschetschenien schlimme Assoziationen an einen anderen dunklen Teil der deutschen Vergangenheit: An den Hitler-Stalin-Pakt und die gemeinsame Niederwerfung osteuropäischer Völker. Dazu gehört auch die enge Zusammen¬arbeit von NKWD und Gestapo.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Minister, das macht Ihre Reden in Sachen Vergangenheitsbewältigung unglaubwürdig.

Mit freundlichem Gruß

 

Tilman Zülch, Bundesvorsitzender