02.08.2012

Ein wegweisender Präzedenzfall für alle indigenen Völker Lateinamerikas

“Kichwa von Sarayaku vs. Ecuador“

Der Besuch der Delegation des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte (IDH) bei den Kichwa von Sarayaku in der Region Pastaza/Ecuador gilt schon jetzt als historisch. Der Präsident des Gerichtshofes und Vertreter verschiedener Institutionen kamen nach Sarayaku, um sich anlässlich des Verfahrens “Kichwa von Sarayaku vs. Ecuador“ vor dem IDH einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Die Kichwa fordern Entschädigung für widerrechtliche Vergabe von Ölkonzessionen in ihrem Territorium. Ein Urteil wurde mittlerweile gefällt und ist zugunsten der Kläger ausgegangen. Diese Entscheidung könnte dank seiner Signalwirkung eine massive Aufwertung der Forderungen aller indigenen Völker Lateinamerikas gegenüber ihren Regierungen bedeuten.

Der Fall der Kiwcha von Sarayaku vor dem IDH

Am 27. Dezember 2003 reichte die Assoziation der Kichwa von Sarayaku eine Petition bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) ein, um eine Entschädigung für die Konzessionsvergabe Ecuadors an das argentinische Unternehmen Companía General de Combustibles ( CGC ) ohne vorherige Konsultation zu verlangen. Durch dessen seismische Aktivitäten entstanden massive Schäden im Sarayaku-Gebiet.

Am 26. Juli 1996 hatte der Staat der CGC genehmigt, mit Vorbereitungen zur Erschließung von Ölquellen in einem als Block 23 bekannten Gebiet zu beginnen. Block 23 liegt zu 65 Prozent im angestammten Territorium der Kichwa von Sarayaku. In der Zeit von Oktober 2002 bis Februar 2003 umfassten die Aktivitäten von CGC 37.700 Hektar (29 Prozent) ihres Territoriums. Dadurch wurde eine gefährliche Situation für die indigene Bevölkerung geschaffen. Seitdem kann sie ihre traditionelle Lebensweise nicht mehr ungestört ausüben. Ihre Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Territoriums sind bis zum heutigen Tage stark eingeschränkt. Zudem werfen die Kichwa dem Staat vor, dass es mit der Anwesenheit der Armee und den CGC-Mitarbeitern zu willkürlichen Festnahmen und Eingriffen in ihre Integrität kam. Die militärische Präsenz war Folge des im Jahre 2001 geschlossenen „Military Security Cooperation Agreement“. Der ecuadorianische Staat verpflichtete sich durch die Übereinkunft, Ölfirmen, deren Betriebe und Mitarbeiter zu schützen.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission appellierte im Namen der Kichwa an den IDH, den ecuadorianischen Staat international für die Missachtung von Menschenrechten, die in der Amerikanischen Konvention der Menschenrechte verbindlich kodifiziert sind, zur Verantwortung zu ziehen. In der Begründung berief sie sich insbesondere auf das Recht auf Leben und Respekt vor demselben sowie das Recht auf eine humane Behandlung im Sinne der Achtung der physischen, mentalen und moralischen Integrität. Am 26. April 2010 wurde die Klage vor dem IDH eingereicht. Der Ortstermin stellte den bisherigen Höhepunkt des Verfahrens dar.

Der Besuch der Delegation in Sarayaku

Die Delegation aus Richtern und Anwälten, darunter auch der Präsident des Gerichtes sowie Repräsentanten der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, wollte die Situation und die Erfahrungen der Kläger an Ort und Stelle erleben. Von staatlicher Seite waren u.a. die Justizministerin des Landes und ihr Staatssekretär, Dr. Alexis Mera, anwesend.

Der Präsident des IDH, der Peruaner Diego García-Sayán , bezeichnete den Besuch als „einmalig und geschichtsträchtig“. Er sei „im gegenseitigen Respekt der Parteien und in einer konstruktiven Herangehensweise, die die Möglichkeit eines Kompromisses miteinschließt, durchgeführt worden.“

In der „Casa de la Asemblea del Pueblo Kichwa de Sarayaku“ wurde die Delegation von dem Präsidenten der Kichwa, José Gualinga, und weiteren Autoritäten der Gemeinschaft empfangen. Sie berichteten der Delegation über ihre Erfahrungen mit dem Ölkonsortium. Darüber hinaus wurde den Besuchern ein generationsübergreifender Einblick in die Lebensweise und Weltanschauung der Kichwas gewährt.

Staatssekretär Dr. Alexis Mera erkannte während der Unterredung die Verantwortung des Staates für die Gewalt und die entstandenen Schäden an. Er zeigte sich gegenüber einer Kompromissfindung sowie Reparationszahlungen offen. José Gualinga wertete das Schuldeingeständnis des Staates und das in Aussicht stellen von Reparationszahlungen als „Triumph der Würde, Wahrheit und Gerechtigkeit, der den jahrelang geführten Kampf belohnt. Dadurch werde ihnen ermöglicht, ihre Forderungen und Positionen bezüglich ihrer Weltanschauung und ihrer Verbundenheit zum Wald verwirklichen zu können.“

Auswirkungen auf die Menschenrechtslage in Lateinamerika

„Neue Winde wehen durch Ecuador und Lateinamerika“, sagte der Präsident des IDH, Richter Diego García-Sayán, nach seinem Besuch in Sarayaku gegenüber der Presse. „Winde der Demokratie…Die Menschen haben verschiedene Überzeugungen, die Völker Amerikas wollen Demokratie und eine regelmäßige Partizipation. Diese neuen Winde ermöglichen, dass sich die Menschen an den Interamerikanischen Gerichtshof wenden können, wenn sie denken, dass ihre Rechte verletzt worden sind. Das wäre vor 20 oder 30 Jahren in unserem Amerika nicht möglich gewesen.“

Nach dieser Aussage drängt sich der Eindruck auf, dass der Gerichtshof ein positives Urteil für die Kichwa fällen wird – die Schaffung eines Präzedenzfalles für sie und alle anderen Indigenen Völkerdes Kontinents könnte sie in ihren Kämpfen gegen die vielfältigen Bedrohungen ihrer Lebensgrundlagen bestärken, zum Durchhalten motivieren und sie ermutigen, das lateinamerikanische Menschenrechtssystem tatsächlich zu nutzen. Es ist durch die Organisation Amerikanischer Staaten ( OAS ) umfassend strukturiert. Die zwei maßgeblichen Institutionen für Menschenrechte, die Interamerikanische Kommission und der Interamerikanische Gerichtshof, bilden ein in sich geschlossenes System, das von jedem Individuum angerufen werden kann. Die Kommission bearbeitet Petitionen und verfasst Klagen für den IDH, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben. Fast alle lateinamerikanischen Staaten haben sich seiner Jurisdiktion unterworfen und sind an seine Urteile gebunden.

Der wahrscheinliche Ausgang des Verfahrens gibt Anlass zur Hoffnung, dass es zum einen die notwendigen Institutionen in Lateinamerika gibt, die die Einhaltung der Amerikanischen Konvention der Menschenrechte souverän überwachen können.

Zum anderen weist die Einschätzung des Gerichtspräsidenten, dass ein neuer Wind wehen wird darauf hin, dass die Ausdauer der Indigenen Völker im Kampf für mehr Rechte nicht umsonst ist. Es bleibt zu hoffen, dass Richter Diego García-Sayán mit seiner Aussage auch in der Zukunft Recht behält.

Aktualisiert:

Der Menschenrechtsgerichthof der Organisation Amerikanischer Staaten hat den Staat Ecuador zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil er ohne Konsultation und Zustimmung der Kichwa die Ölsuche auf ihrem Land erlaubt hatte. Das Urteil gilt schon jetzt als Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Konflikte. Ecuador hat das Urteil akzeptiert. Dieser Erfolg ist eine große Ermutigung für die Kichwa. Wie Sie deren Arbeit auch in Zukunft unterstützen können, erfahren Sie bei Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker (indigene@gfbv.de).