22.04.2005

Ein Verhaltenskodex für die Erdölindustrie

Betroffene wirklich beteiligen

Wenn ein transnationaler Konzern in einem bestimmten Gebiet Erdöl oder Erdgas explorieren oder fördern will, dann holt er sich von der jeweiligen Regierung die Bewilligung dafür. Es gibt kein Beispiel dafür, dass die lokale Bevölkerung nach ihrer grundsätzlichen Zustimmung – oder Ablehnung! – gefragt worden wäre. Vielmehr werden in fast jedem Fall traditionelle Rechte dieser Menschen auf ihre Lebensgrundlagen übergangen, ausgehebelt oder gar schwerwiegend verletzt. Doch lassen sich die negativen sozialen und ökologischen Folgen der Ölförderung nicht wenigstens minimieren? Wie sollen, wie können die Konzerne dafür in einen Dialog und in Verhandlungen mit den Betroffenen treten?

Unter der Federführung von Brot für die Welt sind die Hilfswerke der Kirchen in Europa zusammen mit internationalen Menschenrechts- und Umweltorganisationen allen diesen Fragen nachgegangen. Dabei herausgekommen ist ein Verhaltenskodex, der einen detaillierten Vorschlag für eine "gute Praxis" der Industrie macht. Das 53 Seiten starke Papier wurde im Herbst 2000 veröffentlicht und dann im November auf einem großen europäischen Workshop mit Vertretern und Vertreterinnen der Nichtregierungsorganisationen, der Erdölindustrie und internationalen Institutionen diskutiert. Sein vollständiger Titel lautet Deutsch: "Prinzipien für die Durchführung von Konzernaktivitäten in der Erdöl- und Erdgasindustrie unter besonderer Berücksichtigung von ökologisch und sozial sensiblen Gebieten" (Principles for the Conduct of Company Operations within the Oil and Gas Industry"; zu bestellen bei Brot für die Welt, Avocacy-Referat, Postfach 10 11 42, 70010 Stuttgart, 0711/2159 491, Fax 0711/2159 110, bfdwadvocacy@brot-fuer-die-welt.org)

Durch ihre Kontakte zu lokalen Organisationen in Lateinamerika und Afrika waren die beteiligten Organisationen immer wieder auf die Erdölproblematik gestoßen. Die Erfahrungen glichen einander:

  • in Nigeria, Ecuador oder im Sudan blieb das versprochene Geld für die zukunftsfähige Entwicklung der Öllförderregionen aus
  • die lokale Bevölkerung litt weiterhin unter Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen
  • die Betroffenen wurden schlecht, zu spät oder gar nicht befragt, von einer Mitwirkung oder Beteiligung gar nicht erst zu reden.

Zwar unterstützten Hilfswerke wie Brot für die Welt Menschen vor Ort u.a. finanziell, damit sie ihre Interessen besser wahrnehmen können. Menschenrechtsorganisationen konfrontierten Ölfirmen mit den negativen Folgen ihres Tuns, gaben ihren Opfern in der europäischen Öffentlichkeit eine Stimme. Doch wir wollten gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, unsere Unterstützung effektiver zu gestalten. Wir wollten unsere Kampagnen zu einzelnen Ländern durch ein Papier "unterfüttern", das Grundlage für eine längerfristige Auseinandersetzung mit der Industrie sein kann.

Die großen Themenblöcke, die in den "Prinzipien" aufgearbeitet werden, sind: Landrechte, Umweltstandards, Menschenrechte einschließlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, Sozialstandards und Arbeiterrechte, Berichterstattung, Anhörungen und Monitoring. In mühevoller Kleinarbeit haben wir in Deutschland alle Abschnitte des Papiers diskutiert und geschrieben. Als Basis diente ein Verhaltenskodex, den australische Nichtregierungsorganisationen für den Bergbau erstellt hatten. Der erste Entwurf ging dann an Partner in andere europäische Länder, Lateinamerika und Afrika mit der Bitte um Kommentare. Diese Kommentare wurden eingearbeitet. Das Ganze wurde dann vom Lehrstuhl für Völkerrecht der Universität Mannheim übergeprüft.

Von der Erdölindustrie wurden die Prinzipien als "zu ehrgeizig" abgelehnt. Kein Konzern könne sich zu so einem detaillierten und weitreichenden Verhaltenskodex verpflichten. Aber er wurde als Grundlage für weitere Gespräche akzeptiert. Und die Bereitschaft dazu wurde von allen Seiten signalisiert, so dass man zu wichtigen Themen wie der Beteiligung der lokalen Bevölkerung, der Förderung der Menschenrechte und des Umweltschutzes vielleicht doch in einen ernsthaften langfristigen Dialog eingetreten ist. Doch wir können und wollen nicht in Europa über die Köpfe der Betroffenen in Afrika und Lateinamerika hinweg verhandeln. Der Gesprächsprozess hier wird aber hoffentlich eine positive Wirkung auf Dialoge und Verhandlungen vor Ort haben.

Heidi Feldt ist als freischaffende Expertin für Entwicklungs- und Umweltfragen u.a. für Brot für die Welt tätig.