01.08.2006

Ein Überblick

Die Kurden

Die Kurden zählen zu den indoeuropäischen Völkern. Mit 30-35 Millionen Menschen sind sie weltweit das größte Volk ohne eigenen Staat. Ihr Siedlungsgebiet wurde nach dem 1. Weltkrieg zwischen den neu entstandenen Staaten Syrien, Irak, Türkische Republik und Iran aufgeteilt. Eine kurdische Streuminderheit lebt in der ehemaligen Sowjetunion.

 

Das alte Siedlungsgebiet

Die unwegsame Gebirgsgegend ihres Siedlungsgebietes bildete seit jeher eine natürliche Grenze zwischen dem Osmanischen und dem Persischen Reich, die schlecht kontrollierbar ist. Daher blieben die regionalen kurdischen Herrscher lange Zeit weitgehend unabhängig. Offene Grenzen ermöglichten ihnen den ungehinderten Übertritt von einem Reich ins andere. Die kurdische Bevölkerung empfand sich bis ins 20. Jahrhundert vor allem als Angehörige bestimmter Stämme. Zweites identitätsstiftendes Element war die Zugehörigkeit zum Islam vorwiegend sunnitischer Prägung. Ein Gesamtkurdisches Nationalgefühl entwickelte sich erst im 20. Jahrhundert unter dem Einfluss europäischer Ideen und als Reaktion auf die Zentralisierungs- und Assimilierungsbestrebungen der jeweiligen Staaten.

Als nach dem Ersten Weltkrieg das Territorium des Osmanischen Reiches aufgeteilt wurde, stimmte nur ein Teil der Kurden mit der Forderung nach einem kurdischen Staat überein, andere Stammesführer sahen ihre Machtinteressen durch die Loyalität zu den neu entstandenen Nationalstaaten garantiert. Die innerkurdische Zerrissenheit verhinderte einen gemeinsamen Kampf um einen eigenen Staat oder zumindest eine Autonomie für die kurdisch besiedelte Region. So kam es zu verschiedenen Zeiten in den einzelnen Staaten immer wieder zu Aufständen, während derer die jeweils kämpfenden Kurden sich in den meisten Fällen von einem der Nachbarstaaten unterstützen ließen, selbst wenn diese ihrerseits die innerhalb ihrer eigenen Grenzen lebenden Kurden unterdrückten.

 

Kurden in der Türkei

1923 schlossen die Türkei als unabhängige Republik und die Alliierten des Ersten Weltkriegs den Vertrag von Lausanne. Ursprünglich durch den Vertrag von Sevres (1920) anerkannte Minderheiten, so auch die Kurden, wurden nicht mehr berücksichtigt. Fortan existierten in der Türkei offiziell nur noch die religiösen Minderheiten der Juden, Armenier und griechisch-orthodoxen Christen. Die Kurden wurden entsprechend des islamischen Nationenbegriffs mit allen anderen zwar gleichfalls islamischen aber ethnisch und kulturell verschiedenen Gruppen wie Tscherkessen oder Lasen als türkischer Staatsangehöriger der türkischen Nation eingegliedert. Alle Moslems, die einen türkischen Pass besitzen und damit türkische Staatsbürger sind, gelten automatisch als Türken. Kulturelle oder ethnische Unterschiede werden geleugnet. Diese Bezeichnung kennzeichnet zugleich die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk bei - zumindest theoretischer - Garantie der Gleichberechtigung aller Bürger.

Diese starre Haltung aller bisheriger Regierungen in der Türkei hat zu einem starken Assimilationsdruck und zu heftigen Aufständen geführt. Die Worte Kurde und Kurdistan wurden aus allen Schulbüchern, Lexika und Landkarten getilgt oder gelten nur noch für die Kurden in den Nachbarstaaten. Die öffentliche Verwendung der Sprache ist verboten, ebenso sind dies kurdische Kulturvereine und politische Parteien. Kurdische Schulen wurden nicht zugelassen. Kurdische Zeitungen, Zeitschriften und Bücher werden immer wieder beschlagnahmt oder verboten, Verlage geschlossen. Kurdische Familien- und Ortsnamen wurden turkifiziert. 1934 wurde ein Gesetz erlassen, das die Zwangsumsiedlung solcher Bevölkerungsgruppen, die nicht mit der nationalen Kultur verbunden sind, rechtfertigt.

Seit 1979 werden regelmäßige Razzien des Militärs in den kurdischen Dörfern durchgeführt. Seit August 1984 führt die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), in der Bundesrepublik mittlerweile verboten, einen Guerillakrieg gegen militärische und zivile staatliche Einrichtungen, aber auch gegen Kurden, die der Zusammenarbeit mit dem Staat bezichtigt werden. Dieser Aufstand wird von der türkischen Regierung nicht mit politischen Mitteln unter Einbeziehung der politisch arbeitenden kurdischen Opposition geführt, sondern mit brutalem militärischen Einsatz, der keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Dem Bericht einer Untersuchungskommission des türkischen Parlamentes von 1998 zufolge wurden insgesamt 3.428 Dörfer zerstört und drei Millionen Kurden zu Flüchtlingen. Allein das kurdische Siedlungszentrum in der Türkei Diyarbakir nahm ca. eine Million Flüchtlinge auf. 5.500 Zivilisten wurden in diesem brutalen Krieg getötet, 17.000 verletzt. 2.200 von 5.000 Schulen und 740 von 850 Gesundheitsstationen wurden geschlossen. Hinzu kamen Maßnahmen des Staates wie Weideverbot, Verminung der Almwege. Die Politik im Staat wird faktisch vom Nationalen Sicherheitsrat diktiert, der zu einer Art Staat im Staat geworden ist.

Die Zivilbevölkerung ist dem Druck der auf Zusammenarbeit drängenden radikalen Guerilla und der mit Ausnahmerechten ausgestatteten türkischen Behörden und Militärs ausgesetzt. Sie steht zwischen den Fronten. Hunderte sitzen wegen Unterstützung der PKK oder wegen des bloßen Verdachts darauf im Gefängnis. Im Februar 1994 wurden gewählte kurdische Parlamentarier der DEP-Partei (Leyla Zana u.a.) inhaftiert, kurdische Parteimitglieder und Journalisten wurden und werden verfolgt, gefoltert oder von unbekannten Tätern ermordet. 1998 wurde auch die Führungsspitze ihrer Nachfolgepartei HADEP verhaftet sowie etliche ihrer Funktionäre.

Mit der Festnahme von Abdullah Öcalan am 15.02. 1998 und seiner Verschleppung in die Türkei war die PKK mit ihren Bemühungen endgültig gescheitert, sich zu einer legalen Vertreterin der "türkischen Kurden" zu entwickeln. Am 29. 06. 1999 verurteilte das türkische Staatssicherheitsgericht Abdullah Öcalan zum Tode. Unter dem Druck des Auslands und im eigenen Interesse setzte die Türkei die Todesstrafe aber aus. Das kooperative Verhalten des PKK-Führers mit dem türkischen Staatssicherheitsgericht kostet die PKK viele Anhänger. Dennoch bleibt sie die Stärkste, wenn nicht die einzige handlungsfähige kurdische Organisation in der Türkei.

Eine Auflösung der PKK, wie von manschen Analytikern erwartet wurde, kam nicht zustande. Ganz im Gegenteil, die PKK stabilisierte sich allmählich. Die mit der PKK konkurrierenden kurdischen Organisationen in der Türkei konnten sich nicht zu einer wirklichen Alternative entwickeln, die für die Kurden in der Türkei aber von großer Bedeutung wäre. Um ihre nationalen und demokratischen Rechte durchsetzen zu können, brauchen die Kurden in der Türkei eine gemeinsame demokratische Vertretung, die sowohl von der kurdischen Bevölkerung als auch von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert wird.

 

Im Dezember 1999 wurde die Türkei offiziell zum EU-Beitrittskandidat erklärt, im Oktober 2005 hat die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen. Alle kurdischen Organisationen treten für einen EU-Beitritt der Türkei ein. Die Kurden erhoffen für sich als Volksgruppe noch im Prozess der Beitrittsverhandlungen eine verbesserte rechtliche Stellung. Diese Hoffnungen haben aber keine Grundlage. Die EU verfügt in der Türkeipolitik weder über eine gemeinsame Haltung noch hat sie eine deutlich formulierte Kurdenpolitik.

 

Kurden im Iran

Auch im Iran müssen die Kurden, die zur iranischen Sprachgruppe gehören, um ihre kulturelle Autonomie kämpfen, auch dort gelten sie "nur" als Iraner. Obwohl der kulturelle und sprachliche Unterschied im Iran nicht so gegensätzlich ist wie zwischen dem türkischen (Turksprache) und arabischen (semitische Sprachgruppe) Kulturkreis, resultiert der Konflikt auch in diesem Land nicht nur aus dem Unabhängigkeitsstreben der Kurden gegen den staatlichen Zentralismus und die Unterdrückung der kurdischen Sprache.

 

Die Republik Mahabad

Die einzige autonome Republik der Kurden, die mit Unterstützung der Sowjetunion in den 40er Jahren im kurdisch-iranischen Mahabad ausgerufen worden war, wird bis heute in allen Teilen Kurdistans als Modell kurdischer Selbstverwaltung idealisiert. Sie nahm bereits nach einem Jahr (1947) ein gewaltsames Ende, nachdem sie durch den Abzug der sowjetischen Truppen aus Azerbeidjan ihre Schutzmacht verloren hatte. In der Folgezeit gab es immer wieder regionale Aufstände, gefolgt von Deportationen und der Vernichtung ganzer Stämme.

Ajatollah Khomeini machte den Kurden vor dem Sturz des Schahregimes große Versprechungen. Trotz des gemeinsamen Kampfes für einen neuen Iran hat sich die Lage der Kurden nach 1979 aber nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, das jetzige Regime geht viel härter gegen die Kurden vor. Hunderte von Kurden wurden ohne ein Gerichtsverfahren hingerichtet. Viele Dörfer und Städte in iranisch Kurdistan wurden mit schweren Waffen angegriffen. Anfang der achtziger Jahre sind bei Angriffen der iranischen Armee und bei militärischen Auseinandersetzungen mehrere zehntausend Kurden getötet worden.

Während des Irak-Iran Krieges 1980–1988 verschärfte das Regime die Verfolgung der kurdischen Zivilbevölkerung durch Einsatz der berüchtigten Einheiten der Pasdaran (Revolutionsgarde).

Bei der Verfolgung der Kurden spielt eine Rolle auch der Umstand, dass die Mehrzahl der Kurden im Iran nicht Schiiten sind, wie die Mullahs in Teheran, sondern zum sunnitischen Zweig des Islam gehören. Die Mullahs nützen die Unterschiede in der Konfession, um die Politik der "Iraninsierung" der kurdischen Gebiete Irans noch stärker zu betreiben.

Ende der 80er und Anfang 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, nach dem Ende des Iran-Irak Krieges entstand durch das autonome Kurdistan eine neue regionale Situation. Die kurdische Nationalbewegung im Iran gab den bewaffneten Kampf weitgehend auf und konzentrierte sich auf die zivilen Formen des Widerstandes und auf die Mobilisierung der internationalen Öffentlichkeit für die Belange der Kurden. Das Mullahregime verfolgte indessen die Kurden auch im Ausland. So verübten iranische Geheimdienste mehrere Attentate in Europa. 1989 wurde der Generalsekretär der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP-Iran), Dr. A. Ghassemlou, in Wien ermordet und 1992 fiel auch sein Nachfolger Dr. S. Scharafkandi einem Anschlag in Berlin zum Opfer.

Heute erhoffen sich die Kurden im Iran mehr denn je, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf das Regime in Teheran erhöht, nicht nur wegen des Atomwaffenprogramms, sondern auch um die Verfolgung der Kurden und anderer Volksgruppen und Religionsgemeinschaften zu beenden.

 

Kurden in Syrien

Die Kurden bilden mit schätzungsweise 2 Millionen Angehörigen etwa 12 Prozent der Bevölkerung Syriens. Während sie bis Ende der 50er Jahre kulturelle Freiheiten genossen, begann um 1962 mit dem Erstarken der panarabischen Ideologie und 1963 mit der Machtübernahme der panarabischen Baath-Partei, die eine ethnische und kulturelle Eigenständigkeit von Minderheiten leugnet, eine restriktive Kurdenpolitik. Sie fand ihren Ausdruck in einer Sondervolkszählung, bei der schon 1962 fast 150.000 Kurden zu Ausländern erklärt und damit aller Bürgerrechte beraubt wurden. Die Zahl der ausgebürgerten Kurden liegt heute (Juli 2006) bei etwa 300.000. Sie können keinen Pass beantragen, ihre Kinder nicht registrieren und einschulen lassen, nicht legal heiraten, bekommen keine Anstellung im Staatsdienst etc.

Ebenfalls auf Beginn der 60er Jahre geht die Politik des Arabischen Gürtels zurück, die entlang der Grenze zur Türkei einen 15 km tief in syrisches Gebiet hineinreichenden Streifen Land schaffen wollte, aus dem die ansässigen Kurden aus- und regimetreue arabische Wehrbauern angesiedelt werden sollten. Präsident Assad erklärte das Projekt 1976 offiziell als beendet. Es wird jedoch heimlich fortgesetzt. Mittlerweile werden in Syrien kurdische Dorf-, Berg- und Flussnamen durch arabische ersetzt. Auch die Kurden, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, genießen keine autonomen kulturellen Rechte.

Anfang der 80er bis Ende der 90er Jahren des 20. Jahrhunderts führte auch die PKK ihre Operationen von Syrien aus. Dabei ging es jedoch nicht um eine wirkliche Unterstützung kurdischer Rechte, sondern wohl eher um das politische Kalkül Syriens gegenüber den Regierungen der Nachbarstaaten. Als im Herbst 1998 die Türkei Syrien mit Krieg drohte, wenn es seine Unterstützung für die PKK nicht einstellt, floh der PKK-Führer A. Öcalan ins Ausland. Syrien schloss die die PKK-Lager im Libanon und in Syrien und begann ihre Anhänger zu verfolgen.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak 2003 und mit der weiteren Befestigung des föderalen Status irakisch Kurdistan, bekamen die Kurden in Syrien mehr Mut.

Am 12. März 2004 löste ein Streit zwischen den Fans einer arabischen und kurdischen Mannschaft schwere Unruhen in den kurdischen Gebieten Syriens aus. Dabei griffen die Anhänger der arabischen Mannschaft unter Hochrufen für Saddam Hussein unter Einsatz von Messern und Schlagwaffen die Fans der kurdischen Mannschaft tätlich an. Binnen weniger Tage breiteten sich die Unruhen von Kamischli im Osten bis nach Afrin im äußersten Westen des Landes aus. Auch in den Großstädten, wie in Damaskus und Aleppo, kam es zu Volksprotesten. Über den wirklichen Auslöser dieses "Fußballstreites" kann nur spekuliert werden. Tatsache bleibt aber, dass dieser Aufstand kurdischerseits nicht organisiert war. Erst nach seinem des Aufstandes kam es zu koordinierten Protesten in verschieden Ortschaften. Die Folgen dieses Aufstandes waren für alle Seiten gravierend. Die Regierung musste zur Kenntnis nehmen, dass jegliche antikurdische Provokation das Regime viel kosten kann. Auch die Vielzahl von kurdischen Organisationen musste feststellen, dass sie mit ihren kläglichen politischen Strukturen weit hinter den Volksmassen zurück stehen. Sowohl die schwache syrische Opposition als auch das Ausland mussten ihrerseits eine dynamische und starke politische Bewegung der Kurden in Syrien vorfinden - Bei den Plänen für ein zukünftiges Syrien wird niemand an der kurdischen Nationalbewegung vorbeigehen können.

Nach 2004 sind auch die Exilkurden aus Syrien sehr aktiv in Erscheinung getreten. Es wird versucht, eine gemeinsame Plattform zu organisieren. Gespräche werden mit ausländischen Staaten, vor allem mit den USA, geführt.

Die Kurden in Syrien müssten aber die Lage in und Syrien genau beobachten, damit sie keine Überraschungen im politischen Geschäft erdulden. In Syrien ist keine schlagkräftige demokratische Opposition vorhanden, die eine Alternative zum Baathregime stellen könnte. Die arabischen Massen im Lande lassen sich sehr schnell mit panarabischen und panislamischen Slogans mobilisieren.

 

Kurden im Irak

Der Irak war der erste Staat mit einer beträchtlichen kurdischen Minderheit, der in einem Verfassungsdokument 1958 die nationalen Rechte der kurdischen Bevölkerung anerkannte: Dieser Nation gehören Araber und Kurden an, die Verfassung garantiert ihre nationalen Rechte im Rahmen des irakischen Gemeinwesens. Diese Rechte standen jedoch nur auf dem Papier. 1970 kam es mit den 1968 an die Macht gekommenen sozialistischen Baathisten zu einem Abkommen, das eine Autonomie nach einer Übergangszeit von vier Jahren vorsah. Umgesetzt wurde es nicht. Gegen die Kurden wurde eine Politik der Umsiedlung und Vertreibung, der Bombardements und Arabisierung durchgeführt, die Widerstandskämpfe und eine Massenflucht von Kurden in den Iran zur Folge hatte.

In den 80er Jahren wurde ein beispielloser Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden geführt. 1988 - während des 1.Golfkrieges - wurde die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas bombardiert. Mehr als 5000 Frauen und Kinder starben damals qualvoll an den Folgen des Giftgases. Tausende erduldeten unter dem Baathregime des Präsidenten Saddam Hussein Folter, Hunger, Gefangenschaft, Deportation und Massenbegräbnisse bei lebendigem Leibe. Insgesamt wurden 4500 Dörfer, rund 90 Prozent der ländlichen Region, völlig zerstört und dem Volk damit die materielle und kulturell-soziale Lebensgrundlage geraubt.

Nach der Befreiung durch die Alliierten des Golfkrieges wurde für Irakisch Kurdistan durch die UNO-Resolution 688 eine Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades eingerichtet. Sie soll die Menschen vor den Überfällen des irakischen Präsidenten Saddam Hussein schützen.

Im Mai 1992 konnten unter dem Schutz der Alliierten in Irakisch-Kurdistan die ersten freien Wahlen stattfinden. Die beiden großen Parteien, der Wahlsieger Demokratische Partei Kurdistans KDP und die Patriotische Union Kurdistans PUK, einigten sich auf ein Patt (50:50), die KDP trat außerdem Sitze an die Kommunisten, die Assyrer und die Ismalisten ab. Das kurdische Parlament entscheidet sich für eine föderale Lösung der Kurdenfrage im Irak, es wird ein irakisches Bundesland Kurdistan aufgerufen.

Gegenseitige Vorwürfe führten dann im Dezember 1993 zum Zerwürfnis zwischen KDP und PUK, auch die PKK meldete ihre Ansprüche in irakisch Kurdistan an. Nach einem Waffenstillstand (und auf Druck der USA) unterzeichneten die beiden Parteien 1998 einen Friedensvertrag.

Der föderale Status irakisch Kurdistan wurde nach dem Sturz S. Husseins 2003 gefestigt. KDP und PUK arbeiteten eng zusammen und stellten gemeinsam am 6. April 2005 den Posten des irakischen Staatspräsidenten, dieser Posten wird vom PUK-Generalsekretär Dschalal Talabani besetzt. In Kurdistan bildeten nun die beiden kurdischen Parteien ein gemeinsames Parlament und Kabinett. Zum ersten Mal in der Geschichte wählen die Kurden einen eignen Präsidenten. Dieser wird Masud Barzani, KDP-Präsident.

Eine Delegation der GfbV, unter Leitung von Tilman Zülch, konnte sich von der friedlichen und stabilen Entwicklung in irakisch Kurdistan Ende Mai – Anfang Juni dieses Jahres selbst überzeugen. Ein Garant für eine dauerhafte Stabilität Kurdistans bleibt die Einigkeit und Rechtstaatlichkeit. Die Rechte aller Bürger, unabhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, müssen gewährleistet sein. "Es gibt in Kurdistan keine Minderheiten, sondern nur zahlenmäßig kleine und große Völker". Dieser Leitspruch von M. Barzani, dem Präsidenten des Bundesstaates Kurdistans, muss überall seine Gültigkeit haben. Die internationale Staatengemeinschaft darf es nicht zulassen, dass das kurdische Experiment im Irak scheitert.

 

Von Jens Halve

Aktualisiert von Dr. Kamal Sido