24.01.2013

Ein Leben für den Freiheitskampf

China/Ostturkestan:

Aus bedrohte völker_pogrom 273, 5/2012

Seit Jahrzehnten setzt sich der Uigure Erkin Alptekin in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für bedrohte Völker, Amnesty International und anderen Organisationen friedlich für die Selbstbestimmung seiner uigurischen Landsleute in China ein. Die Münchner Journalistin Melanie Nunner hat ihn in Bayern besucht, um Einzelheiten aus seinem bewegenden Leben zu erfahren.

Würdevoll sitzt Erkin Alptekin im Lehnstuhl seines Büros. Hinter dem 73 Jahre alten Menschenrechtler hängen Fotos an der Wand. Eines zeigt ihn Arm in Arm mit dem Dalai Lama, auf dem daneben ist er mit Mahatma Gandhi, der „großen Seele“, zu sehen. „Das größte Vorbild meines Vaters“, sagt Erkin Alptekin. Isa Yusuf Alptekin war ein uigurischer Freiheitskämpfer und von 1946 bis zur Ausrufung der kommunistischen Republik China 1949 Premierminister Ostturkestans . Dann musste er mit seiner achtköpfigen Familie und 60 Gefährten vor den chinesischen Kommunisten über den Himalaya in Richtung Kaschmir nach Indien fliehen.

Melanie Nunner: Sie waren 1949 zehn Jahre alt. Erinnern Sie sich an die Flucht vor den Besatzern?

Erkin Alptekin: Die tagelangen Gewaltmärsche bei eisiger Kälte in schneebedeckter Höhe, in der Sauerstoff so knapp ist, dass man kaum noch atmen kann, den armbreiten Trampelpfad, gesäumt von steilen Felswänden auf der einen Seite und der tiefen Schlucht auf der anderen, in die ich so manches unserer Pferde stürzen sah – wie könnte ich das vergessen!

Melanie Nunner: Kamen auch Menschen um?

Erkin Alptekin: Meine kleine Schwester hat die klirrende Kälte nicht überlebt. Angesichts dessen waren die abgefrorenen Zehen meines Bruders noch das kleinere Übel. Auch erinnere ich mich an eine Greisin, die immer schwächer wurde, bis sie kaum noch gehen konnte. Als wir bei Anbruch der Dunkelheit dem chinesischen Grenzposten immer näher kamen, war sie im dichten Nebel verschwunden. So setzten wir den unsicheren Marsch ohne sie durch die Gebirgskämme fort.

Melanie Nunner: Hatten Sie Angst, gestellt oder angegriffen zu werden?

Erkin Alptekin: Für diesen Fall hatte uns ein nationalchinesischer Freund und mutiger Regimegegner, Oberst Tang Zhingren, mit Waffen und Munition versorgt. Gott sei Dank kamen wir in Indien an, ohne Gebrauch von ihnen machen zu müssen.

Melanie Nunner: Wie ging es weiter?

Erkin Alptekin: Es begann eine Odyssee durch viele Länder. Mein Vater wurde in Istanbul sesshaft. Doch meine Brüder und mich zog es in die weite Welt. So landete ich nach einigen Jahren Aufenthalt in den USA 1971 als Journalist in München bei „Radio Liberty“/„Radio Freies Europa“.

Melanie Nunner: Mit welchem Ziel gründeten Sie 1991 die „Unrepresented Nations and Peoples Organization“ (UNPO), die „Organisation der nicht-repräsentierten Nationen und Völker“?

Erkin Alptekin: Um all jenen Völkern und Nationen, die Gewalt und Terrorismus erleiden müssen und nicht in der UNO vertreten sind, eine Stimme in der Politik zu geben. Gleiches gilt für die „Ostturkestanische Union in Europa“ und den „Weltkongress der Uiguren“. Jahrhunderte lang lebten entlang der Seidenstraße Schamanen, Buddhisten, Christen und Muslime in Frieden und Eintracht. Niemand wurde wegen seiner Rasse, Hautfarbe oder seines Glaubens diskriminiert.

Melanie Nunner: Und heute?

Erkin Alptekin: Heute kämpfen die Uiguren gegen politische Unterdrückung, kulturelle Assimilierung und wirtschaftliche Ausbeutung. Sie kämpfen gegen erzwungene Geburtenkontrollen durch Zwangsabtreibung, Rassendiskriminierung und ökologische Zerstörung. Dichte Wälder werden gerodet, um Häuser für die chinesischen Neusiedler zu bauen, während tausende Uiguren obdachlos sind und zusehends verarmen. So verlieren sie allmählich ihre kulturelle Identität und werden zur Minderheit im eigenen, naturgegeben reichen Land.

Melanie Nunner: Menschenrechtler sprechen von Folter und Hinrichtung.

Erkin Alptekin: Folter ist ein gängiges Mittel, um uns physisch und mental zu brechen. Die Todesstrafe wird inzwischen als flächendeckende Lösung im Sinn einer ethnischen Säuberung praktiziert. Dennoch ist die Mehrheit meiner Landsleute entschlossen, ihr Ziel der Selbstbestimmung auf friedliche Weise zu erlangen. Aus unserer Geschichte haben wir gelernt, dass bewaffneter Widerstand unsere Selbstzerstörung bedeutet und den chinesischen Kommunisten einen Vorwand zum Abschlachten meiner Landsleute liefern würde.

Melanie Nunner: Was erhoffen sich die Uiguren?

Erkin Alptekin: Wir wollen Selbstbestimmung und die Entschärfung der Situation Ostturkestans zugunsten Region übergreifender, fruchtbarer Beziehungen. Doch ist die Voraussetzung, um größeren Konflikten in Zentralasien vorzubeugen, die Achtung der Menschenrechte. Die Invasoren müssen einsehen, dass menschliche Wesen nicht auf immer unterdrückt werden können. Sie müssen begreifen, dass der Wunsch, in Würde zu leben, nicht rücksichtslos zum Schweigen gebracht werden kann. Wenn jemals wirklich Frieden herrschen soll, müssen wir dieses Verantwortungsbewusstsein JETZT entwickeln.

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