18.12.2009

Ein Gespräch mit Kalid Wale, Präsident der Vereinigung der Shabak im Irak.

Die Shabak – eine Unbekannte Minderheit am Rande Kurdistan

Berlin

Ein Vertreter der irakischen Minderheit der Shabak, Kalid Wale, besuchte am 15.12. das Berliner Büro der GfbV und stellte die aktuelle Situation der Shabak folgendermaßen dar:

"Die Shabak in den Provinzen Niniveh (Mosul) sitzen zwischen allen Stühlen. Zwar ist die Zentralregierung in Bagdad für uns zuständig, wir werden von dort aber nicht vor den Angriffen von Al Quaida und anderen Extremisten geschützt. Wären nicht die kurdischen Peschmerga, dann würden noch viel mehr von uns sterben müssen. Offiziell aber gehören wir natürlich nicht zu Kurdistan, so dass von dort auch nicht allzu viel Hilfe geleistet wird oder werden kann.

Allein 1.000 Shabak wurden seit 2003 ermordet. Der Alltag in unseren Dörfern und Städten ist trist und gefährlich. Die Wasserversorgung funktioniert häufig schlecht. Strom gibt es höchstens vier bis fünf Stunden am Tag und die Gesundheitsversorgung ist auch sehr mangelhaft. Die Straßen sind kaputt und die Häuser renovierungsbedürftig. Wir brauchen dringend Unterstützung. Auch materielle oder humanitäre Hilfe ist sehr nötig.

Sie kennen doch die Situation der Christen im Irak. Wir sind in einer ganz ähnlichen Lage, weil wir als kleine Minderheit allen ausgeliefert sind. Zum Glück fühlen sich die Kurden aus dem Nordirak in gewisser Weise für uns mitverantwortlich und versuchen uns zu schützen, sonst ginge es uns noch schlechter.

Unsere einzige Hoffnung ist der Artikel 140 der irakischen Verfassung. Er besagt, dass die Minderheiten im Rahmen eines Referendums selbst über ihre Zukunft bestimmen dürfen. Leider setzt sich niemand für diesen Artikel ein. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich nach Deutschland gekommen bin. Ich möchte für diese Bestimmung werben. Ein Referendum unter den Shabak in den Provinzen Niniveh würde wahrscheinlich ergeben, dass sie an die autonome Region Kurdistan im Nordirak angeschlossen werden wollen. Dort ist die Sicherheitslage wesentlich besser als im übrigen Irak auch die wirtschaftliche Situation ist entspannter.

Die Amerikaner interessieren sich nicht für uns. Sie haben mehr oder weniger genug damit zu tun, sich selbst zu schützen. Von dieser Seite können wir also keine Hilfe erwarten. Ich hoffe daher, dass die EU und besonders Deutschland sich für uns engagieren.

Zum Hintergrund:

Die Shabak sind eine ethnisch-religiöse Minderheit von rund 60.000 – 100.000 Personen, die hauptsächlich in der Provinz Niniveh östlich von Mosul beheimatet ist. Über 70 Prozent der Shabak sind schiitischen Glaubens, bei den Übrigen handelt es sich um Sunniten.

In der Region um Mosul sind auch noch andere irakische Minderheiten ansässig, wie muslimische sowie yezidische Kurden und Christen (Assyrer-Chaldäer-Aramäer). Die meisten von ihnen befürworten ebenfalls den Anschluss an das friedlichere und sicherere Irakisch-Kurdistan. Sie fordern ein Referendum der Bevölkerung über den Anschluss, wie es im Artikel 140 der irakischen Verfassung vorgesehen ist. Die irakische Regierung verwehrt dieses Referendum allerdings bislang.

Die Minderheiten in Niniveh werden immer wieder von arabisch-islamischer Terroristen attackiert, die eine Spaltung des Irak befürchten und den Anschluss der Region an Kurdistan mit Hilfe von Gewalttaten verhindern wollen. Der GfbV sind namentlich 675 Shabak bekannt, die seit 2003 durch Terrorangriffe getötet wurden. Zuletzt starben bei einem Anschlag in dem Dorf Khaznan im August 2009 mindestens 36 Menschen.

Seit dem Einmarsch der US-Truppen im Jahr 2003 und dem Ende des Regimes Saddam Hussein hat sich die Situation der Minderheiten im Irak eher verschlechtert als verbessert. Angehöriger einer irakischen Minderheit, wie zum Beispiel der Christen (Chaldäer-Assyrer-Aramäer), Turkmenen, kurdischen Yeziden, Shabak, oder Mandäer zu sein, bedeutet, täglich der Gefahr von Überfällen, Verfolgung, Vergewaltigung und Mord ausgesetzt zu sein.

Das Interview wurde von Sarah Reinke, Leiterin des Berliner GfbV-Büros geführt.