13.11.2013

Editorial "bedrohte Völker - pogrom" 276, 2/2013

Sandy Naake, Redakteurin der GfbV-Zeitschrift, Foto: Privat

Aus bedrohte völker_pogrom 276, 2/2013

Liebe Leserinnen und Leser,

Jahrtausende lang zogen Handelskarawanen beladen mit farbenfrohen, feinen Stoffen, aromatischen Gewürzen oder funkelnden Edelsteinen die Seidenstraße entlang – vom äußersten Osten Chinas bis an die südtürkische Mittelmeerküste. Im Schatten der ältesten Handelsstraße der Welt lauerten jedoch im frühen 13. Jahrhundert bewaffnete Reiternomaden des Dschingis Khan, um Kaufleute zu überfallen. Die wilden mongolischen Reiter versetzten binnen weniger Jahre einen ganzen Kontinent in Angst und Schrecken.

Nomaden von heute haben wenig gemeinsam mit den kriegerischen Reitervölkern, die längst der Vergangenheit angehören. Mit Sack und Pack, Kind und Kegel, Schaf und Esel ziehen sie über die Steppen Zentralasiens, durch die Wüsten des Nahen Ostens oder lassen ihre Tiere in der afrikanischen Savanne grasen – immer auf der Suche nach einem Ort, der Wasser sowie Nahrung für Mensch und Tier spendet.

Das Nomadendasein ist meist ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur, doch scheint es im Zeitalter von Globalisierung und Technik keine Zukunft mehr zu haben. Junge Menschen suchen ihr Glück in der Stadt: Das Leben ihrer Eltern ist ihnen zu hart. Auch werfen manche Regierungen wie China und Äthiopien Nomaden vor, nicht nachhaltig zu wirtschaften und ganze Landstriche überweiden und veröden zu lassen. Das sind jedoch nur plumpe Rechtfertigungen, um umherziehende Hirtenvölker zu vertreiben und sie sesshaft zu machen. In Wahrheit haben Staaten, Wirtschaft und Industrie die ausgedehnten Flächen im Visier, um sie gewinnorientiert zu nutzen.

Chinesische Unternehmen beuten die Innere Mongolei aus, fördern dort Seltene Erden und Kohle. Hirten, die sich wehren, werden brutal zusammengeschlagen, inhaftiert oder sogar getötet. In Tansania müssen die Maasai von Weideflächen weichen, weil die Regierung plant, Jagdtourismus im großen Stil für adlige und vermögende Großwildjäger zu etablieren. Und die Moken sind Thailands Regierung ein Dorn im Auge. Die Seenomaden werden gezwungen, sich niederzulassen, damit auf nahezu unberührten Inseln Hotels für Urlauber entstehen können.

Die positiven Folgen der nomadischen Lebensweise werden indes unter den Tisch gekehrt: Nomaden können mancherorts mit der Aufzucht und Schlachtung ihrer Tiere zu der Ernährungssicherheit ganzer Regionen beitragen. Zudem düngen tierische Hinterlassenschaften die Felder der Bauern.

Noch gibt es Nomaden, die über weite Ebenen ziehen – wie lange noch, steht in den Sternen. Drukpa Rinpoche, ein enger Vertrauter des Dalai Lama, schrieb in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Dies ist das Glück des Nomaden: Wer unterwegs ist, der verwurzelt sich bei jedem Schritt. Er hat seinen Platz immer dort, wo er sich gerade befindet. Er frischt die Liebe auf, indem er sich bewegt.“

Ihre Sandy Naake

Redakteurin von „bedrohte Völker – pogrom“

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