03.02.2007

Ecuador: "Wir werden uns nie einschüchtern lassen"

Für eine Entwicklung ohne Öl: Interview mit Patricia und Eriberto Gualinga.

Patricia und Eriberto Gualinga in Ihrem Heimatdorf in Ecuador. Foto: S. Schreier

aus: bedrohte völker_pogrom 236, 2/2006
Die Geschwister Patricia (34) und Eriberto Gualinga (28) kommen aus der Quechua-Gemeinde Sarayacu inmitten des Amazonasgebietes der Provinz Pastaza (Ecuador). Entschieden leisten sie Widerstand gegen das Eindringen transnationaler Ölkonzerne in ihr Gebiet. Umkämpft ist der so genannte Block 23, für den die Regierung Konzessionen verkauft hat, obwohl das Land den Quechua gehört. Während ihrer Reise im Herbst 2005 haben Eriberto und Patricia Gualinga bei zahlreichen Schulbesuchen, Abendveranstaltungen und Vorführungen von Eribertos Film "Ich verteidige den Regenwald" (2005) den Widerstand Sarayacus geschildert. Im November besuchten sie die GfbV in Göttingen. Dort unterhielt sich die Ethnologin Kerstin Veigt mit ihnen.

bedrohte Völker: Mit welchen Problemen ist die Gemeinde von Sarayacu derzeit konfrontiert?

Patricia Gualinga: Wir müssen unsere Rechte als indigenes Volk und unsere Menschenrechte gegen die Bedrohung unseres Regenwaldgebietes durch transnationale Ölkonzerne verteidigen. Unser Recht auf unser Territorium wird nicht respektiert, obwohl es in der Verfassung festgeschrieben ist. Das hat zu einer Reihe von Auseinandersetzungen geführt. Der Staat ist dafür verantwortlich, dass die Ölfirmen mit Gewalt in unser Gebiet eindringen konnten. Die Regierung hat – die Verfassung und internationale Verträge brechend – dem argentinischen Konzern CGC die Konzession für den Block 23 verkauft, der in unserem Gebiet liegt. Um diesem Konzern den Rücken zu decken, drang im Frühjahr 2003 die ecuadorianische Armee in Sarayacu ein. Dies ging mit Morddrohungen, gewaltsamen Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen einher. Wir haben uns gewehrt und konnten den Militärs Waffen entwenden. So mussten sie unserer Forderung nachkommen, unsere misshandelten Gefangenen freizugeben und sich zurückzuziehen. Mit unserer Homepage und den Medien, denen wir unsere Berichte, Photo- und Filmaufnahmen schickten, haben wir die Menschenrechtsverletzungen im In- und Ausland öffentlich gemacht. Derzeit führen wir eine große Kampagne durch, um die Weltöffentlichkeit über die Geschehnisse in Sarayacu und die drohende Zerstörung des Amazonasgebiets zu informieren. Gleichzeitig läuft ein Prozess vor dem Gerichtshof der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Auf diesem Weg werden wir beweisen, dass Sarayacus Rechte verletzt wurden.

bedrohte Völker: Wie hat Euer Widerstand begonnen?

Eriberto Gualinga: Das ist bereits einige Jahre her. Die ersten Konfrontationen mit dem Konzern "Petroecuador" haben uns bewusst gemacht: Wenn Firmen hier Ölvorkommen ausbeuten wollen, ist es für uns wichtig, offizielle Besitztitel für unser Land zu haben. Deshalb hat Sarayacu 1992 einen Marsch in die Hauptstadt Quito organisiert, an dem sich indigene Gemeinden aus verschiedenen Teilen des Amazonasgebiets beteiligt haben. Wir sind zu Fuß die etwa 500 Kilometer nach Quito gegangen und dort zwei Monate lang geblieben, um weiter zu protestieren. Damit konnten wir erreichen, dass unser Gebiet offiziell als unser Besitz anerkannt wurde.

bedrohte Völker: Steht die ganze Gemeinde hinter dem Widerstand gegen die Ölförderung?

Patricia Gualinga: Ja! Wir sind geschlossen dagegen. Am Anfang war es schwierig, denn wir wussten nicht, mit welcher Strategie die Ölfirma gegen uns vorgehen würde. Dann erkannten wir, dass sie versuchte, einzelne Persönlichkeiten der Gemeinde zu bestechen und uns zu spalten. Im Jahr 2000 hat uns die argentinische Ölfirma CGC schließlich 60.000 Dollar angeboten und gesagt, davon könnten wir Schulen und eine Sozialstation bauen. Sarayacu hat abgelehnt. Unsere Position ist klar: Wir wollen die Ölfirmen hier nicht!

bedrohte Völker: Warum dieses entschlossene "Nein"?

Eriberto Gualinga: Wir wollen eine Entwicklung ohne Öl. Wenn die Ölfirmen kommen, wird das Öl eines Tages versiegen. Für sie fällt viel Geld ab, doch auch dieses Geld wird eines Tages zu Ende gehen. Bis dahin ist das Amazonasgebiet zerstört. Wir aber leben im Amazonasgebiet und brauchen den Regenwald zum Leben. Wovon sollen wir dann noch leben? In meinem Film sagt eine Frau: "Wenn alles zu Ende ist, bleiben wir als Bettler übrig."

bedrohte Völker: Für welche Zukunft kämpft denn die Gemeinde von Sarayacu?

Patricia Gualinga: Unser Ziel ist ein Leben mit Würde und eine Lebensweise, die unserer Weltanschauung entspricht. Früher hat man uns indigene Völker "entdeckt". Nur weil man uns für "anders" hält, haben wir viel Geringschätzung zu spüren bekommen, als seien wir weniger wert als die ecuadorianische Mehrheitsgesellschaft. Für die Konzerne und den Staat bedeutet "Entwicklung" Bau von Straßen, Elektrizität, Trinkwasser und Schulen. Sie wollen Sarayacu in eine Stadt verwandeln. Wir aber wollen keine Straßen. Wir wollen verhindern, dass Holzkonzerne und Siedler hier eindringen.

Von Bedeutung ist für uns außerdem ein gutes Bildungssystem, in dem unsere eigenen Lehrerinnen und Lehrer traditionelle und andere Kenntnisse vermitteln. Es ist wichtig, dass wir selbstbwusst unser indigenes Wissen und unsere Werte zu schätzen wissen. Aber wir leben nicht auf einer Insel. Eine Isolation würde es allzu leicht machen, uns zu dominieren. Wir wollen lernen zu schreiben, zu lesen und mit Computern zu arbeiten. Wir wollen professionell sein, aber das Eigene behalten. Deshalb haben wir die Universität von Sarayacu ins Leben gerufen, in der wir selbst Lehrerinnen und Lehrer ausbilden.

bedrohte Völker: Ernährt ihr euch auf traditionelle Art? Wenn ja, sind die Umstände nicht widrig?

Patricia Gualinga: Wir ernähren uns vom Sammeln, Jagen und Fischen. Doch das Jagen und Fischen ist immer schwieriger und die Nahrungsversorgung ist unsicherer geworden. Das "Projekt der Erhaltung" soll daher Schutzzonen für Tiere schaffen, in denen sie sich ungestört vermehren können. Außerdem halten wir Tierarten, die sich schnell vermehren und von denen wir uns ernähren, während die Tiere im Wald Schonzeit haben. Auf den Feldern soll vielfältiger angebaut werden, damit die Familien besser ernährt werden können. So bleibt der Regenwald erhalten. Wir haben jetzt schon schwarze Affen und Tapire in der Nähe von Sarayacu gesehen, die vorher schwer zu finden waren.

Ein weiterer Punkt ist der Ökotourismus. Er gibt vielen Leuten zeitweise eine weitere Arbeitsmöglichkeit. In Sarayaquillu, einem der fünf Dörfer Sarayacus, haben wir ein Touristenhaus, wo die Besuche vorbereitet und die Gäste bekocht werden. Einige Frauen verwalten eine Solidaritätskasse, in die die Erlöse aus dem Tourismus fließen. Die 20.000 Dollar, die sie nun enthält, stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern Sarayacus in Notfällen zur Verfügung und können auch als landwirtschaftlicher Kredit entliehen werden. Auf diese Art kann uns niemand etwas vorschreiben, weil die Kreditangaben nicht an Forderungen von außen gebunden sind.

bedrohte Völker: Wie ist Sarayacu in die indigene Bewegung Ecuadors eingebunden?

Patricia Gualinga: Sarayacu ist in der OPIP, der Organisation indigener Völker der Provinz Pastaza, aktiv. Damit gehören wir auch der amazonasgebietweiten Dachorganisation CONFENAIE und der CONAIE, der nationalen Dachorganisation indigener Organisationen an. Unser Widerstand hat lokal begonnen und wurde regional, national und international. Wir werden unterstützt durch die indigene Bewegung und haben sie in unserem Rücken.

bedrohte Völker: Viele wundern sich, dass Sarayacu trotz aller Bestechungs- und Einschüchterungsversuche, trotz des Drucks durch Militarisierung, Menschenrechtsverletzungen und Morddrohungen so entschlossen bleibt.

Eriberto Gualinga: Wir werden uns nie einschüchtern lassen. Die Kraft dafür kommt wesentlich von den Älteren. Es gibt eine Weissagung, wonach irgendwann etwas Schlimmes passieren wird, wodurch Sarayacu verschwinden könnte. Die Menschen in Sarayacu haben lange gedacht, dies würde vielleicht ein Wirbelsturm oder ein Erdbeben sein. Jetzt ist klar, dass es die Ölfirmen sind, die alles zu zerstören drohen.

bedrohte Völker: Warum ist es Euch wichtig, die Situation Sarayacus in Deutschland bekannt zu machen?

Patricia Gualinga: Als die neue Pipeline OCP zwischen Amazonasgebiet und Küste errichtet wurde, war die starke Finanzierung der Westdeutschen Landesbank ausschlaggebend. Um diese Pipeline jetzt auszunutzen, soll das gesamte Öl aus dem Amazonasgebiet herausgeholt werden. Die Fertigstellung der Pipeline hat dazu geführt, dass man mit aller Macht versucht, an die Ressourcen in unseren Gebieten zu kommen. Wir leiden unter den Folgen. Deshalb finde ich, dass sich die Menschen in Deutschland dafür interessieren sollten, was die Entscheidungen ihres Landes nach sich ziehen. Wir sitzen auf strategischen Ressourcen und die Invasion aus Ölkonzernen, Regierung und Militärs richtet ihre Augen auf unsere Völker, um uns auszulöschen.

Das Interview führte Kerstin Veigt

Projekt "Lebensgrenze"

Um ihr Gebiet, das mit 200.000 Hektar etwa so groß wie das Saarland ist, kenntlich zu machen, will Sarayacu blühende Bäumen wie Obst- und Medizinbäume pflanzen. So wird sichtbar deutlich: "Keine Ölförderung! Hier wollen wir weiter leben! Respektiert uns und zerstört nicht unseren Lebensraum!" Weltweit sucht Sarayacu Paten, die die Bäume spenden und ihre Geschichte weiter verfolgen. Somit zeigt die lebende Grenze aus Bäumen auch symbolisch, dass Menschen aus der ganzen Welt Sarayacu bei der Erhaltung seines Regenwaldgebietes und seiner Völker unterstützen.

Spenden: Postbank Hamburg, Kontonr. 7400201, BLZ 20010020, Betreff: "Sarayacu"

"Ich verteidige den Regenwald"

In seinem 20-minütigen Dokumentarfilm "Ich verteidige den Regenwald" ("Soy Defensor de la Selva") hat Eriberto Gualinga Kamera und Regie selbst in die Hand genommen, um die Auseinandersetzungen seines Ortes Sarayacu mit Ölarbeitern und Militärs aufzuzeigen. Seine Nähe zu den gefilmten Personen und ihrem Kampf ist deutlich zu spüren. Der Film wurde mit dem bolivianischen ANACONDA-Filmpreis ausgezeichnet.

Bestellungen der deutschsprachigen Version des Films

als DVD; Kosten: 17 Euro, davon gehen 12 Euro in ein Projekt in Sarayacu) bei der GfbV in Göttingen:  |>