11.01.2006

DRINGEND: Abschiebung nach Grosny verhindern!

Offener Brief an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Ihre Regierung will morgen erneut einen tschetschenischen Flüchtling abschieben, der nach seiner Ablehnung 2001 keine andere Möglichkeit sah, als in die Heimat zurückzukehren, dort verhaftet und misshandelt wurde und dann noch einmal flüchtete.

 

In Tschetschenien sind 180 000 Menschen durch die Hand der russischen Armee und Luftwaffe sowie von Spezialeinheiten ums Leben gekommen. Menschenrechtsexperten bezeichnen das gemäß der Konvention der Vereinten Nationen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords als Genozid.

 

Die Politik der Regierung Schröder/Fischer zeichnete sich dadurch aus, dass sie nicht den geringsten Anlauf nahm, um diese kontinuierliche Menschenjagd zu kritisieren. Vielmehr entsandte die vergangene Bundesregierung sogar eine Delegation des Bundesnachrichtendienstes in die völlig zerstörte tschetschenische Hauptstadt Grosny, als in deren Kellern nach dem Bombardement unzählige Tote lagen. So wurde die bekannte "Achse Moskau-Berlin-Paris" etabliert, die sich heute für den früheren Bundeskanzler bezahlt macht.

 

Ihre Flüchtlingspolitik in Sachen Tschetschenien, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, hat aus diesem deutschen Fehlverhalten keinerlei Konsequenzen gezogen. Der empfindsamere Teil Ihrer Wählerschaft, der auch in unserer Menschenrechtsorganisation präsent ist, ist sehr traurig darüber, auch über die Härte und Umbarmherzigkeit Ihres Innenministers, die immer wieder ganze Menschengruppen im Lande Niedersachsen empören - nicht zuletzt in Einzelfällen, Es wäre doch nach den deutschen Erfahrungen, Verbrechen und Leiden zwischen 1933 und 1950 selbstverständlich, mit Opfern von Völkermordverbrechen anders umzugehen. Sie und Ihr Innenminister werden morgen wieder riskieren, was dem am 16. November 2005 nach Moskau aus Sachsen abgeschobenen 21-jährigen Herrn Jusuf Aliev, geb. 18.02.1983, widerfuhr: Wochenlang erhielten weder Eltern noch Flüchtlingshelfer ein Lebenszeichen von ihm. Jetzt ist klar: direkt am Moskauer Flughafen wurde er in der Kontrolle verhaftet. Er sitzt nun in Grosny, im Bezirk Staropromyslowski im Gefängnis. In den tschetschenischen Haftanstalten wird systematisch gefoltert, was Herrn Schünemann bekannt sein müsste. Die Männer, die die Haft überleben, kommen in der Regel als Invaliden, für immer geschädigt, wenn sie Glück haben, irgendwann frei - häufig gegen Lösegeld. Zumeist verschwinden sie für Jahre, die Täter werden nicht bestraft.

 

Die russische Menschenrechtlerin Svetlana Gannuschkina, Mitarbeiterin der berühmten Organisation "Memorial", versucht bei seiner Befreiung mitzuhelfen. Die Familie muss ihn freikaufen, weil in vielen Fällen die verhafteten oder entführten tschetschenischen Knaben und Männer die Haft nicht überleben.

 

Wir bitten Sie deshalb dringend, die Abschiebung in letzter Minute zu stoppen und Herrn Murat Nakajew (zuständige Ausländerbehörde Salzgitter, der im Moment in der Abschiebehaft in Hamburg-Fuhlsbüttel festgehalten wird) eine Duldung zu erteilen.

 

Mit freundlichem Gruß, Ihr

Tilman Zülch

 

PS: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich diesen Appell als

offenen Brief aussende.