19.10.2010

Diskriminierung und Straflosigkeit in Guatemala

Verbrechen ohne Sühne

Maya, Xinka und Garífuna - Opfer des "Femizids" in Guatemala (Foto: flickr_antiguadaily)

Aus bedrohte völker_pogrom 261, 4/2010

Zwischen 2000 und 2009 wurden in Guatemala nach Angaben des nationalen Ombudsmannes für Menschenrechte 4.867 Frauen ermordet. Die Zahl der Fälle pro Jahr hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht. Auch im ersten Halbjahr 2010 war ein Anstieg von 16 Prozent mehr Frauenmorden im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Da indigene Völker wie die Maya, Xinka und Garífuna rund 60 Prozent der Bevölkerung in dem zentralamerikanischen Staat ausmachen und vielfach wie "Bürger zweiter Klasse" behandelt werden, sind indigene Frauen besonders von diesem "Femizid" betroffen.

Das Phänomen des Femizids

Die Toten erzählen grausame Geschichten. Sie bezeugen die brachiale Brutalität der Mörder - abgeschnittene Gliedmaßen, herausgerissene Fingernägel, verstümmelte Gesichter. Ein Femizid unterscheidet sich von der häuslichen Gewalt an Frauen vor allem darin, dass Opfer und Täter sich nicht kennen. Mit den Gesetzen zur Verhütung, Bestrafung und Sanktionierung von familiärer Gewalt (1996), zur Würdigung und Förderung von Frauen (1999) und gegen Femizid und andere Formen von Gewalt gegen Frauen (2008) wollte Guatemala den Frauen im Land rechtlichen Schutz zur Seite stellen. Doch angesichts der weiterhin drastisch steigenden Mordraten hat sich dieser als wirkungslos erwiesen. Im Jahr 2000 wurden 213 Frauen ermordet, 2009 waren es 708.

Bürgerkrieg beendet, Menschenrechtslage kaum verbessert

Die Ursachen des Femizids reichen bis in den Bürgerkrieg Guatemalas (1960-1996) zurück. Die indigene Bevölkerung litt besonders unter den massiven Gewaltverbrechen. 80 Prozent der Todesopfer waren Ureinwohner. Blutiger Höhepunkt waren die unter Staatschef Efraín Ríos Mont angeordneten gezielten Massaker. Während seiner 17-monatigen Diktatur 1982/83 fielen rund 100.000 Frauen, Kinder und andere unbewaffnete Angehörige der Maya-Völker seiner brutalen Anti-Guerilla-Kriegsführung zum Opfer. Mit seiner Politik der verbrannten Erde ließ er 626 Dörfer zerstören, rund 1,5 Millionen indianische Bauern wurden aus ihrer Heimat vertrieben.

Die Vergewaltigung und Ermordung von Frauen war ein entscheidender Teil der Genozidverbrechen im 36 Jahre währenden Bürgerkrieg. Die sexuellen Gewaltverbrechen richteten sich insbesondere gegen Maya-Frauen. Ihnen fällt es auch nach Ende des Krieges besonders schwer, sich dagegen zu wehren. Denn bis heute bestimmen Diskriminierung und der gesellschaftliche Ausschluss ihren Alltag. Sie leben extrem marginalisiert und sind oft sehr verarmt. Viele von ihnen sind Analphabetinnen, sodass rechtliche Schritte für sie allzu oft eine unüberwindliche Hürde sind. Hinzukommt, dass die Frau in der guatemaltekischen Gesellschaft weiterhin wesentlich weniger wertgeschätzt wird als ein Mann.

Juristische Verfahren im Sinne einer Aufarbeitung der Kriegsverbrechen hat es seit 1996 kaum gegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Bevölkerung das Vertrauen in Justiz oder Rechtssicherheit verloren hat. Die Straflosigkeit, die bei 98 Prozent liegt, entwickelte sich seither zur traurigen Tradition des Landes: Sie führte zu einem dramatischen Anstieg der Gewaltverbrechen und Kriminalität.

Unter Präsident Oscar Berger (2004 bis 2008) hatte die Regierung in Zusammenarbeit mit den UN zwar die "Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala" (CICIG) gegründet, um organisierte Verbrechen in unterwanderten staatlichen Einrichtungen aufzudecken und strafrechtliche Untersuchungen und Strafverfolgungsverfahren zu intensivieren. So wollte man das Vertrauen der Bürger in die Justiz gewinnen. Doch die Regierung unterstützte die Arbeit der Kommission kaum, boykottierte sie teilweise sogar.

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