30.04.2005

Diskriminierung der Tamilen auf Sri Lanka

56. Sitzung der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Genf 2000

Item 10

MÜNDLICHE STELLUNGNAHME

Die Gesellschaft für bedrohte Völker ist besorgt über die Verletzung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Tamilen in Sri Lanka, die sich auf die anhaltende Politik der aufeinander folgenden Regierungen zurückführen lässt und letztlich zum Ausbrechen bewaffneter Konflikte geführt hat. Wer immer ein Interesse an der Beendigung dieses Krieges in Sri Lanka hat, der bislang 55.000 Tote, 800.000 intern Vertriebene und hunderttausende Exilierte unter den Tamilen forderte, darf diese Ursachen nicht außer Acht lassen, und darf sich nicht darauf beschränken, die offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen, Zensur, Straflosigkeit und einen quasi ununterbrochenen Ausnahmezustand zu beklagen.

 

Sri Lanka ist ein Vielvölkerstaat: Dort leben Singalesen, Tamilen, Moors (Muslime), Malaien und Burgher (Nachkommen von Portugiesen und Niederländern), die drei verschiedene Sprachen benutzen (Singalesisch, Tamil und Englisch) und vier unterschiedliche Religionen pflegen (Buddhismus, Hinduismus, Islam, Christentum). Die aufeinander folgenden Regierungen Sri Lankas haben diese kulturelle und ethnische Vielfalt im Prozess der Nationwerdung und der Entwicklung des Staatswesens jedoch nicht berücksichtigt, sondern sie haben in der täglichen Praxis und im Verfassungsrecht die Mehrheitsgesellschaft bevorzugt und den anderen Gemeinschaften die Gleichberechtigung vorenthalten.

 

Mit der Macht der Wahlergebnisse im Rücken, hat sich die Bevölkerungsmehrheit von 70 Prozent buddhistischen Singalesen zur Nation erklärt, sich das Staatswesen angeeignet und für die eigenen Zwecke ausgenutzt. Seit der Staatsgründung 1948 wurden die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Tamilen durch die Regierungspolitik systematisch verletzt: durch Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte gegenüber den Indischen Tamilen, durch die staatlich geförderte Kolonisierung des Nordostens durch singalesische Siedler, die häufig durch eine gewaltsame Vertreibung von Tamilen begleitet wurde, und durch eine diskriminierende Sprach-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, die nur einem Zweck diente: der Singalisierung des Staates.

 

Heute bilden Singalesen 90 Prozent des Beamtenapparates und 99 Prozent der Angehörigen des Sicherheitsapparates. Diese "positive Diskriminierung" der Singalesen scheint sich derzeit in eine dauerhafte Ausgrenzung der Tamilen zu verfestigen - wegen nachgewiesener Unwissenheit. Wie anders als durch die endgültige Ausschaltung der vormals herausragenden Wettbewerbsfähigkeit der Tamilen bei gleichzeitiger Förderung und Stabilisierung der singalesischen Dominanz bis weit in die nächste Generation ließe sich erklären, dass es unter singalesischen Lehrern des mittleren Bildungsbereiches einen Überschuss von 14.000, bei den tamilischen Lehrern auf dieser Ebene aber einen Mangel von 10.000 Arbeitskräften gibt, dass den meisten tamilischen Grundschulen die einfachste Grundausstattung fehlt (allein bei den Vanni besteht Bedarf an mehr als 120.000 Tischen und Stühlen), dass in den Tamilengebieten 70 Schüler auf einen Lehrer kommen, überall sonst im Land dieses Verhältnis jedoch nur 22 Schüler pro Lehrer beträgt? Das Ergebnis dieser maßlosen Verletzung von Grundrechten wird bereits deutlich: In den Aufnahmeprüfungen für den staatlichen Verwaltungsapparat sind seit Beginn der 90er Jahre höchstens noch zwei Tamilen pro Jahr erfolgreich.

 

Im Zuge mehrerer Verfassungsreformen wurden die vormaligen Minimalstandards für den Schutz der Tamilen aufgehoben. Die gegenwärtigen Vorschläge der Regierung für neuerliche Reformen der Verfassung wurden allerdings selbst von Mitgliedern dieser Kommission als Modell für die Lösung ethnischer Konflikte gepriesen. Dabei sind sie weit davon entfernt, den Minderheiten Nutzen zu bringen, sondern verfestigen den Einheitsstaat, indem sie durch die Flagge und die Religion die Bevölkerungsmehrheit als alleinigen Repräsentanten der Nation bestätigen. Statt die Vielsprachigkeit anzuerkennen, wird Tamil als Muttersprache auf lokaler Ebene zurückgestuft. Die Dezentralisierung der Macht entpuppt sich als Einrichtung von örtlichen Räten auf Provinzebene. Die Beschränkung dieser letztgenannten Institution auf die Provinzen im Norden und Osten, die von den Tamilen als ihre Heimat betrachtet werden, zielt darauf ab, die territoriale Basis der Tamilen so weit wie möglich einzuschränken. Diese Regelung ist weder eine wirkliche Dezentralisierung, noch ein Friedensangebot, sondern eine Aufforderung zu einer verfassungsrechtlich legitimierten Unterwerfung.

 

Die Tamilen waren zunächst bestrebt, der anhaltenden, systematischen Verletzung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte friedlich entgegenzutreten. Versprechung verschiedener Premierminister wurden jedoch gebrochen und es kam zu immer blutigeren Pogromen gegen die Tamilen, einige mit offiziellem stillschweigendem Einverständnis. Da sie alle friedlichen Mittel ausgeschöpft hatten und um ihre Existenz als Volk fürchteten, griffen die Tamilen daher nach dem Pogrom von 1983 schließlich zu den Waffen.

Der einstige UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali sagte für die nächsten Jahrzehnte eine Verdoppelung der Mitgliedsstaaten der UN voraus. Eine solche Entwicklung ist nur möglich durch das Auseinanderbrechen bestehender Staaten. Die Internationale Gemeinschaft hat das Recht auf Selbstbestimmung auf solche Völker beschränkt, die gegen einen "Salzwasser-Kolonialismus" kämpfen müssen. Indem sie zugleich die Souveränität und territoriale Integrität bestehender Staaten als gegeben annimmt, hat sie jedoch repressiven Regierungen einen Freibrief gegenüber Minderheitenvölkern ausgestellt. Dieser innere Kolonialismus, nicht die ethnischen Kriege, die er verursacht, ist die größte Gefahr für die Einheit und territoriale Integrität von Staaten. Die Forderung nach Respektierung der Menschenrechte im Allgemeinen und der Minderheitenrechte im Besonderen ist kein Heilmittel gegen staatlich geförderte Diskriminierung, denn diese Rechte beziehen sich auf das Individuum und nicht auf Gruppen. Sri Lanka ist ein Beispiel dafür, dass diese Verletzung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Rechte, diese institutionalisierte Verweigerung einer kollektiven Identität, die Unterdrückten letztendlich zu den Waffen greifen lässt, um sich zu verteidigen, und notfalls auch zu Gunsten einer Selbstbestimmung außerhalb des gegeneben Staates.

Schlussfolgerungen der Gesellschaft für bedrohte Völker:

 

  • Wie lange will die UN Menschenrechtskommission sich noch darauf beschränken, den Berichten ihrer eigenen Sonderberichterstatter und der NGOs über massive Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka zuzuhören, wie sie dies seit mehr als einem Dutzend Jahren tut, ohne etwas gegen deren Ursachen zu unternehmen?
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  • Würde es der Vorbeugung solcher Verbrechen nicht dienlicher sein, wenn sich die Kommission darum bemühen würde, dass eine wirkliche Dezentralisierung und Gruppenrechte Bestandteil der neuen Verfassung werden?
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  • Wenn diese Kommission die Menschenrechte weiterentwickeln, einen Beitrag zur Vermeidung interner Kriege leisten und die Gefahr des Zerfalls von Staaten mindern will, dann wird sie den Inhalt und die Anwendbarkeit des Rechts auf Selbstbestimmung überdenken müssen. Ein stärkeres Augenmerk auf staatlich geförderte verletzung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten als mögliche Konfliktursache und die Übernahme der Gesichtspunkte diskriminierter Minderheiten wäre ein Fortschritt in diesen Bemühungen.
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