23.04.2005

Die Wodaabe in Niger

Die etwa 100.000 Wodaabe in Niger gehören der Völkerfamilie der Fulbe an, zu der in Westafrika mehr als neun Millionen Menschen zählen. Während ein Teil der Fulbe seßhaft wurde und schon vor der Kolonialzeit Staaten gründete, haben die Wodaabe an ihrer Lebensweise als Rindernomaden festgehalten. In das Gebiet des heutigen Staates Niger zogen sie vermutlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit einem Bevölkerungsanteil von weniger als zwei Prozent stellen sie hier eine gefährdete Minderheit dar.

Wegen ihrer nomadischen Lebensweise sind sie zahlreichen Konflikten ausgesetzt. Durch die Ausweitung der seßhaften Landwirtschaft in der halbtrockenen Sahel-Zone wurden sie in den letzten Jahrzehnten immer weiter nach Norden, in die südlichen Ausläufer der Sahara, abgedrängt. Dort gerieten sie 1992 zwischen die Fronten des Bürgerkrieges zwischen den Tuareg, einem anderen Nomadenvolk, und der Regierung Nigers. Auch nach dem Friedensabkommen vom April 1995 hat sich die Region nicht beruhigt.

 

"Die Rinder sind unser Leben"

Der Lebensrhythmus der Wodaabe orientiert sich ganz an den Bedürfnissen ihrer langhörnigen Zebu-Rinder, deren Zucht und Pflege sehr arbeitsintensiv sind. Nur ungern verkaufen sie ein Tier, geschlachtet wird nur selten. Die Menschen ernähren sich von der Milch und einer zusätzlich gesammelten Pflanzenkost. Die Wodaabe haben keine hierarchisch gegliederte Sozialstruktur. Das Volk gliedert sich in mehrere Stämme, die sich wiederum in Verwandtschaftsgruppen untergliedern. Die entscheidende Einheit für die Viehwirtschaft ist die Großfamilie. Die Erbfolge liegt bei den Männern, die mehrere Frauen haben können. Die Frauen genießen jedoch weitgehende Rechte und Freiheiten, können sich auch Liebhaber halten. Die Familienältesten besitzen allein durch ihre Lebenserfahrung etwas Autorität.

 

{bild1}"Als Vögel der Wildnis", wie sich die Wodaabe selbst sehen, sind sie für den Staat nicht leicht integrierbar. Steuern lassen sich bei ihnen nur schwer eintreiben. Die jungen Männer leisten keinen Militärdienst. Die wenigsten Kinder werden auf die entlegenen öffentlichen Schulen geschickt. Auch die Islamisierung der Wodaabe blieb in vieler Hinsicht nur oberflächlich. Bekannt geworden sind die Wodaabe vor allem durch ihre Feste. Anmutig herausgeputzt, tanzen die jungen Männer stundenlang vor den unverheirateten Frauen, werfen ihnen verführerische Blicke und Lockrufe zu. Kein Wunder also, daß die nigrische Regierung die Wodaabe u. a. deshalb seßhaft machen möchte, um dieses farbenfrohe Element ihrer Kultur touristisch auszubeuten.

 

In Richtung Wüste getrieben

Wie alle Nomaden der Sahel-Zone führen die Wodaabe drei Arten von Wanderbewegungen durch. Sie ändern ihre Weide- und Siedlungsplätze innerhalb eines bestimmten Umkreises um eine Wasserstelle herum. Im Wechsel der Jahreszeiten folgen sie den Niederschlagsgebieten von Norden nach Süden und umgekehrt. Die dritte Art der Wanderung ist die Flucht vor Naturkatastrophen wie der Rinderpest und den mehrjährigen Dürreperioden, die den Sahel zuletzt 1981-1985 heimsuchten, Flucht aber auch vor der Gewaltanwendung durch Menschen.

Das Zusammenleben der Wodaabe-Hirten mit den seßhaften Bauern vom Volk der Haussa stellte immer einen Balanceakt dar. Durch Bevölkerungszuwachs bei den Haussa hat sich der Ackerbau weiter nach Norden ausgedehnt. Weideland wurde von den Behörden zu Ackerland umdeklariert. Indem die Wodaabe weiter in Richtung Sahara abgedrängt wurden, stießen sie auf die Kamelnomaden der Tuareg. Wenn sie deren Brunnen nutzen wollen, müssen sie Gebühren entrichten und geraten in Abhängigkeit.

 

Zwischen den Fronten des Bürgerkriegs

1992 brach zwischen Rebellenorganisationen der Tuareg und der Regierung von Niger ein bewaffneter Konflikt aus. Ein Teil der Wodaabe verhielt sich neutral, einzelne Gruppen schlossen sich den Aufständischen an. Im April 1995 haben die beiden Bürgerkriegsparteien ein Friedensabkommen unterzeichnet. Dieses sieht eine Föderalisierung des Landes vor, durch die sich die Tuareg im Norden weitgehend selbst verwalten könnten.

Die Umsetzung dieses Abkommens kommt jedoch nur schleppend voran. Niger ist ein von Korruption und Militärherrschaft gezeichneter Staat, der ökonomisch völlig von westlichen Industriestaaten, vor allem Frankreich und den USA, abhängt. Diese sind vor allem an den Uranvorkommen und dem Erdöl im Norden des Landes interessiert. Deshalb hat sich die Lage dort bis heute nicht entspannt. Marodierende Soldaten, arabische Milizen, die von der Regierung gegen die Tuareg mobilisiert wurden, und Banditen machen die Gegend unsicher. Fast täglich werden Nomaden ihres Viehs beraubt, Frauen vergewaltigt, schutzlose Menschen ermordet.

 

Wie den Wodaabe helfen?

{bild2} Von vielen Entwicklungsorganisationen, die in der Sahel-Zone aktiv sind, werden die Nomaden benachteiligt. Wodaabe kritisieren, daß Nahrungsmittelhilfen zur Überbrückung der Trockenzeit ausschließlich an Ackerbauern vergeben wurden. Man hat von ihnen verlangt, ihre Rinderherden zu verringern und seßhaft zu werden. Viele Wodaabe wären zu einer teilweisen Änderung ihrer Lebensweise bereit. Sie erwarten aber, daß ihre Erfahrungen im Umgang mit Krisen ernst genommen werden. So verweisen sie z.B. darauf, daß das Umherziehen mit den Rindern Überweidung verhindert.

 

{bild3} Unterstützung brauchen die Wodaabe bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber dem Staat und beim Selbstschutz vor Willkür und Gewalt. Besonders fördernswert sind Projekte, die zum Ausgleich zwischen Wodaabe und Tuareg beitragen. An Entscheidungen über den Abbau von Ressourcen in ihrem Gebiet wollen die Nomaden beteiligt werden. Sie fordern die Anerkennung ihrer Rechte als "indigenes Volk" im Sinne der UNO.

Fotos: Bert Becker, Redaktion: Dr. Andreas Selmeci