03.02.2007

Die Sprache Jesu

Aramäisch

aus: bedrohte völker_pogrom 236, 2/2006
Der aramäische Sprachraum umfasste im ersten Jahrtausend vor Christus den gesamten Vorderen Orient. Das Aramäische gehört mit dem Hebräischen und dem Nordarabischen zum westsemitischen Zweig der semitischen Sprachfamilie. Aramäisch war die Amtssprache der spätassyrischen und persischen Könige. Es entwickelte sich in zwei Hauptdialekten, dem Altostaramäisch (Mesopotamien) und dem Altwestaramäisch (syro-palästinensischer Raum), die sich ihrerseits in mehrere Unterdialekte gliederten.

Aramäisch war die Verkehrssprache der damaligen Welt bis es, nach dem Zerfall der Großreiche der Assyrer, Chaldäer und Perser durch das Vordringen der griechischen Kultur ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. nach und nach seine Bedeutung verlor. Westaramäisch verschwand allmählich ganz, Ostaramäisch entwickelte sich in den ersten christlichen Jahrhunderten zu einer syro-aramäischen Hochsprache, die als Kirchen- und Gelehrtensprache überlebt hat. Auch entstanden zwei Alphabete, das kursive Serto und das ostsyrische (nestorianisch-assyrische) Alphabet.

Parallel dazu bildeten sich aramäische Volksidiome heraus, aus denen sich die bis heute von den Assyrern gesprochenen neuaramäischen Dialekte entwickelten. Eine Schriftsprache für diese Dialekte wurde erst im 19. Jahrhundert von amerikanischen Missionaren als "neusyrische Schriftsprache" auf der Grundlage des Stadtdialektes von Urmia gebildet und mit dem ostsyrischen Alphabet geschrieben. Diese Schriftsprache ist nur einem Teil der heute zur Assyrerbewegung gehörenden Christen zugänglich. Die neuaramäischen Dialekte selbst wurden von westlichen Orientalisten gemäß ihrer geografischen Verbreitung eingeteilt in das Jüdisch-Neuaramäisch und das christliche Neuaramäisch bzw. Neusyrische, das seinerseits in drei Untergruppen gegliedert wurde. Dies waren das in Urmia (Persien) und Hakkari (Türkei) gesprochene Ostneusyrisch (Aturaya), das in der Mosulebene und im Bohtangebiet verwendete Zentralneusyrisch (Surat) sowie das im Tur Abdin gebräuchliche Westneusyrisch (Turoyo). Der Tur Abdin liegt in der Türkei östlich von Mardin.

Jeder dieser Dialektzweige wiederum zerfiel in eine Vielzahl von Dialekten. Nahezu jeder Ort hatte eine eigene Mundart. Die Vernichtungs- und Vertreibungswellen des beginnenden 20. Jahrhunderts und die Stadtflucht der verbliebenen aramäischsprachigen Bevölkerung ließen die Sprachenklaven verschwinden und die Dialekte zu einer einheitlichen Umgangssprache verschmelzen.

Umstritten ist die Benennung dieser Sprache. Die moderne assyrische Nationalbewegung bezeichnet ihre neuaramäische Schrift- und Umgangssprache als Assyrisch. Sprachhistorisch wird vielfach auch der Begriff Syrisch benutzt, der aber durch die heutige Existenz des Staates Syrien Verwirrung schafft.

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Gabriele Yonan, Ein vergessener Holocaust, die Vernichtung der christlichen Assyrer in der Türkei. pogrom Reihe bedrohte Völker, Göttingen, 2. Aufl. 2006;

dies.: Assyrer heute, Kultur, Sprache, Nationalbewegung der aramäisch sprechenden Christen im Nahen Osten; reihe pogrom, Göttingen 1978.