26.01.2007

Die Situation der indigenen Bevölkerung in Brasilien

HINTERGRUND

Foto: H. Kupiainen

 

Die Gewalt in den Gebieten mit indigener Bevölkerung in Brasilien war auch im Jahre 2006 enorm groß. Nach einer vorläufigen Bilanz des Indianermissionsrates CIMI kamen mindestens 40 Ureinwohner gewaltsam ums Leben, 20 von ihnen allein im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.

Dieser Bundesstaat ist seit langem Brennpunkt der Gewalt gegen die indianische Bevölkerung. Hauptursache sind die ungeklärten Landrechte. Nirgendwo sonst in Brasilien verfügen die Indigenen über so wenig Land.

Die Guarani Kaiowá:

Am Schlimmsten ist die Situation der 37.000 Guaraní Kaiowá. In 64 ihrer 87 Territorien hat der Prozess zur offiziellen Anerkennung ihres Landes (Demarkierung) noch nicht einmal begonnen.

Die Mehrheit aller brasilianischen Kaiowá leben heute in ihnen offiziell zuerkannten Territorien im Süden des Bundesstaates Mato Grosso do Sul, von denen acht staatliche Indianer-Reservate sind. Die Länder, über die die Kaiowá bereits verfügen gehören zu den kleinsten, ärmsten und am dichtesten besiedelten indigenen Gebieten Brasiliens. Sie sind von Unterernährung, Krankheit, Schmutz, Gewalt und Alkoholismus geprägt. In den letzten Jahren stieg die Kindersterblichkeit aufgrund des zunehmenden Hungers stark an.

Ein besonders besorgniserregendes Phänomen sind auch die zunehmenden Selbsttötungen der Guaraní: Seit den späten 1980er Jahren begingen immer mehr junge Indigene Selbstmord. Die Gründe für die Verzweiflung der Jugendlichen sind vielfältig und teilweise eng mit ihrer traditionellen Kultur verbunden. Es gehört zum Beispiel zum Weltbild der Guaraní, dass sie von ihren Ahnen den Auftrag erhielten, nach einem "Land ohne Bosheit" zu suchen, um dort zu leben. Da sie dieses Land in diesem Leben nicht finden können, entscheiden sich immer mehr von ihnen, ihr Glück in einem anderen Leben zu suchen. So wurden allein zwischen Januar 2001 und Juli 2003 von der staatlichen Gesundheitsbehörde 132 Guarani-Suizide gezählt.

Besorgnis erregend ist auch die enorme Zunahme von Gewalttaten, die Angehörige indigener Völker innerhalb der eigenen Gruppe begehen. In Mato Grosso do Sul waren sie für 10 der bislang bekannten 20 Kapitalverbrechen in diesem Bundesstaat verantwortlich. Mangel an Land und eine entsprechend unsichere Lebensgrundlage haben Not und Elend, aber auch Verzweiflung und Ausweglosigkeit zur Folge. Werden die Spannungen innerhalb der Gemeinschaft zu groß, so fand CIMI bei seinen Untersuchungen heraus, dann entladen sie sich in Kämpfen, im Missbrauch von Alkohol und Drogen und auch in Fällen von Mord innerhalb der Gemeinschaften.

Die brasilianische Regierung muss endlich handeln!

Aus Sicht der Gesellschaft für bedrohte Völker ist es vorrangig, dass die Regierung Lula da Silva zügig und konsequent die Landrechte aller 235 indigenen Völker Brasiliens absichert und die betroffenen Gebiete vor dem illegalen Eindringen von Holzunternehmen, Viehzüchtern oder Soja-Pflanzern schützt. Die Regierung muss die dramatische Situation in den Ureinwohnergebieten endlich ernst nehmen und ihren Verpflichtungen aus der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nachkommen, die sie im Juli 2002 ratifiziert hat:

volle Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Durchsetzung des Rechts auf Gestaltung der eigenen Zukunft, kulturelle Identität und gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen, Land und Ressourcen, Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen, Ausbildung und Zugang zu den Kommunikationsmitteln, Beteiligung bei der Findung von Entscheidungen, die diese Völker betreffen sowie Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz.