22.12.2008

Die palästinensischen Flüchtlinge im Irak

Exodus ohne Ende

Ein Menschenrechtsreport der Gesellschaft für bedrohte Völker

Als Samir Khaled Issa al Jayyab am 22. Februar 2006 seinen Sohn von der Schule im Viertel Al Baladiyat (Bagdad) abholen will, kommt er niemals dort an: Seine Leiche liegt drei Tage später in einer Leichenhalle – mit deutlichen Anzeichen schwerer Gewalteinwirkungen am ganzen Körper. Am 16. Mai 2006 verlässt Sabah Abdel-Qader Abdel-Khaledq, ein 30-jähriger Schmied, sein Haus in Bagdad, um auf einem nahe gelegen Markt essen zu gehen. Zwei Tage später identifizieren Familienangehörige seine Leiche: Neben einem Kopfschuss sind an seinem Körper Spuren von Folter zu erkennen. Der 35-jährigeTaxifahrer Aysser Badi Hussain, Vater zweier Kinder, wird am 29. November desselben Jahres mitsamt seinem Taxi im Distrikt Al Mansour von bewaffneten Männern entführt. Auch seine Leiche wird wenige Tage später von Verwandten identifiziert werden müssen – auch sie weist deutliche Spuren von Gewalteinwirkung auf1.

Entführungen und Morde sind im Irak zurzeit alltägliche Ereignisse, die in den meisten Nachrichten höchstens noch als Randnotizen erscheinen. Was haben also die drei erläuterten Fälle und viele weitere, gut dokumentierter Berichte über Entführungen, Morde, Vertreibungen, Erpressungen, Enteignungen, Bedrohungen etc. gemeinsam? – Alle Opfer sind Palästinenser.

Durch die Invasion der USA und der mit ihr verbündeten Länder in den Irak 2003 sind die dortigen Palästinenser zu einer häufigen Zielscheibe geworden. Seit dem Einmarsch sind mindestens 320 Palästinenser im Irak grausam getötet worden, andere Quellen gehen sogar von über 500 Opfern aus2. Die ständige Bedrohung führt dazu, dass mehr und mehr Palästinenser aus dem Irak flüchten oder es zumindest versuchen. Nach Angaben des UNHCR leben heute weniger als 15.0003 der ehemals 40.000 irakischen Palästinenser im Irak (inoffizielle Zahlen sprechen sogar von ehemals 90.000 irakischen Palästinensern4), der Großteil von ihnen befindet somit sich noch auf der Flucht oder ist bereits geflüchtet. Neben den Palästinensern sind auch andere religiöse und ethnische Minderheiten im Irak in ihrer Existenz bedroht, darunter etwa christliche Assyrer-Chaldäer-Aramäer, Yeziden, Mandäer, Turkmenen und Shabak. Bei ihnen sind die Gründe für ihre Verfolgung und Vertreibung jedoch anders gelagert, als bei den irakischen Palästinensern.

In dieser Arbeit soll zunächst ein Überblick über die Entstehung der palästinensischen Minderheit im Irak und ihr Verhältnis zum irakischen Staat, insbesondere jedoch zu Saddam Hussein, gegeben werden. In der historischen Entwicklung der irakischen Palästinensergemeinschaft liegen bereits die Ursachen für deren gegenwärtige Verfolgung. Im weiteren Verlauf sollen die Entwicklungen seit dem Ende der Saddam Diktatur und die Positionen einzelner Akteure (Regierung, Besatzungsmächte, Nachbarländer) zu dieser Minorität beleuchtet werden. Abschließend sollen Forderungen an die beteiligten Akteure für eine schnelle Lösung der palästinensischen Notlage im Irak formuliert werden.

Untenstehend können Sie den Report downloaden