15.07.2008

Die Konsequenzen einer Anklage des amtierenden sudanesischen Präsidenten wegen Völkermordes durch den Internationalen Strafgerichtshof.

Analyse:

Kurzzusammenfassung:

13.07.2008 -Der vorliegende Artikel argumentiert, dass eine Anklage des amtierenden sudanesischen Präsidenten wegen Völkermordes zu einer internationalen Stigmatisierung des Regimes in Khartum führen würde. Ohne die diplomatische und wirtschaftliche Unterstützung durch

Peking und Moskau, wäre es dem Sudan quasi unmöglich, das Morden in Darfur so fortzuführen. Die positive Dynamik einer Anklage Omar al-Bashirs wegen Völkermordes würde die möglichen Risiken für einen -bis dato nicht existierenden -Friedensprozess in Darfur aufwiegen.

Es wäre ein historisches Ereignis, wenn tatsächlich einträte, was die Washington Post in ihrer Ausgabe von Freitag, dem 11.07.2008, berichtete: Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Louis Moreno-Ocampo, soll Anklage gegen den amtierenden Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir, wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheben. Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Gerichtshofs in Den Haag, dass ein im Amt befindliches Staatsoberhaupt wegen schwerster Büche des humanitären Völkerrechts vor Gericht gestellt werden soll. Die Konsequenzen: Unabsehbar. Nur eins scheint fest zu stehen: Eine solche Entscheidung würde neue Dynamik in die bisher stagnierenden Friedensbemühungen im Darfur-Konflikt bringen.

Die Konsequenzen einer Anklage

Eine hitzige Diskussion ist entbrannt seit Ocampo am 5. Juni vor dem UNO Sicherheitsrat seinen jährlichen Bericht zur Lage in Darfur vorgetragen hat. Der Chefankläger machte hierin deutlich, dass der

gesamte sudanesische Staatsapparat in die Menschenrechtsverbrechen in Darfur involviert sei, und dass er die Verantwortlichen vor dem Weltgerichtshof zur Rechenschaft ziehen wolle. Seit dem diskutieren Diplomaten und Sudan-Experten über die Frage, ob Ocampo wirklich wagen wird, den Präsidenten des Sudan wegen seiner politische Verantwortung für die Verbrechen in Darfur anzuklagen. Gegen einen solchen Schritt haben sich im Vorfeld prominente Persönlichkeiten ausgesprochen, so z.B. Andrew Natsios, ehemaliger Sudan Sondergesandter des US-Präsidenten, und Alex De Waal, ein bekannter Sudanexperte der US-Universität Harvard. Ihr Argument: Eine Anklage Bashirs vor dem IStGH könnte alle Friedensbemühungen in Darfur zunichte machen und die Stabilität des Sudan gefährden. Anstatt symbolischer Anklagen sollten lieber alle Konfliktparteien an einen Tisch gebracht werden um das Leiden in Darfur schnellstmöglich zu beenden. Eine Anklage des sudanesischen Präsidenten in Den Haag? Eine Katastrophe für die Menschen in Darfur, so die Kritiker.

Überwiegen also die negativen Konsequenzen die positiven Rückwirkungen einer Anklage? Dies ist unwahrscheinlich. Richtig ist, dass eine Anklage von Präsident Bashir Risiken birgt. Genau so richtig ist aber auch, dass die positiven Anstöße einer Anklage die potenziellen negativen Konsequenzen aufwiegen könnten. Khartum hat in den letzten fünf Jahren weder Interesse an einer friedlichen Beilegung der Krise gehabt, noch die Verantwortlichen für Menschenrechtsverbrechen hinter Gitter gebracht. Vielmehr muss festgestellt werden, dass trotz aller Bemühungen der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen kein Friedensprozess in Darfur existiert, der durch eine Anklage Ocampos gefährdet werden könnte. Wichtiger jedoch ist, dass eine Anklage des IStGH dem Regime in Khartum seine überlebenswichtige internationale Unterstützung auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene entziehen würde.

Aus der Geschichte lernen: Was Milosevic und Bashir gemeinsam haben

Schon einmal wurde ein amtierender Präsident wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Sein Name: Slobodan Milosevic. Während die NATO 1999 Bombenangriffe auf Serbien wegen Menschenrechtsverbrechen im Kosovo flog, klagte die Chefanklägerin des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Carla Del Ponte, den serbischen Präsidenten wegen seiner Verbrechen im Bosnienkrieg an. Auch damals erklärten zahlreiche Diplomaten und Experten, dass Milosevic in Folge dessen keinem Waffenstillstand mehr zustimmen würde. Was habe er auch zu gewinnen außer einem Platz hinter Gittern, so die These. Das Gegenteil der pessimistischen Prognosen geschah: Russland reduzierte seine internationale Unterstützung der "serbisch-slawischen Brüder" in Belgrad, um nicht als Protegé eines Kriegsverbrechers zu gelten. Der schwindende Rückhalt aus Moskau zwang Milosevic letztlich klein beizugeben. Die Anklage des amtierenden serbischen Präsidenten führte also letztlich zu einer internationalen Stigmatisierung seiner Person, seiner Politik und seines Regimes. Ohne den Schutz des mächtigen Protektors aus Russland war eine Weiterführung seiner Politik von Mord und Vertreibung nicht mehr möglich.

Auch das Regime Omar al-Bashirs ist auf die internationale Rückendeckung Chinas und Russlands angewiesen. Eine Anklage des sudanesischen Präsidenten wegen Völkermordes würde es beiden Ländern erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, ihre bisherige Politik des Beschützens und Wegschauens weiterzuführen. Vor allem die Volksrepublik China würde im Vorfeld der olympischen Sommerspiele in erhebliche Erklärungsnöte geraten, die Unterstützung des Regimes in Khartum in ihrer derzeitigen Form aufrechtzuerhalten. Auch der neue russische Präsident Medvedev würde nur ungern als jemand dargestellt, der einem Völkermörder im fernen Sudan den Rücken stützt. Die Quintessenz: Der Druck auf das sudanesische Regime wird gerade von Seiten seiner engsten Verbündeten zunehmen, für welche Präsident Bashir zu einem gigantischen Imageproblem zu werden droht. Aber auch Deutschland und die Europäische Union werden sich nicht länger hinter wohlfeilen Appellen verstecken können, sondern ernsthafte Schritte ergreifen müssen. Noch im Juni 2008 lehnten die EU-Außenminister (nach Intervention Frankreichs und Spaniens) eine Verhängung von Sanktionen gegen die sudanesische Regierung ab. Nach einer Anklage durch den IStGH könnte ihnen nun möglicherweise nichts anderes übrig bleiben, wenn sie den Weltgerichtshof in Den Haag nicht vollkommen unglaubwürdig machen wollen. Eine Fortsetzung der bisherigen EU-Politik des "Handel ja, Handeln nein" würde undenkbar. Für das Regime Omar al-Bashirs, das über alle Maßen abhängig ist von internationaler diplomatischer, wirtschaftlicher und finanzieller Hilfe, könnte eine Anklage aus Den Haag bittere Konsequenzen haben, die nur durch Kooperation auf anderen Feldern abgemildert werden könnten.

Anklage wäre ein historischer Akt Wie in der Vergangenheit wird das sudanesische Regime keinen Kuhhandel scheuen, um seinen Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen. Tatsächlich hätte das Regime in Khartum einiges anzubieten, um die internationale Gemeinschaft fürs Erste zu besänftigen: Eine ungehinderte Dislozierung der UNAMID-Friedenstruppe in Darfur, eine Einstellung der Angriffe auf Zivilisten, oder auch ernsthafte Friedensverhandlungen in Darfur. Dennoch: Die politischen Verantwortlichen für die Verbrechen in Darfur werden früher oder später vor Gericht gestellt werden. Diesen sogenannten "Charles Taylor"Effekt fürchten Bashir und seine Komplizen zu Recht. Es besteht die realistische Möglichkeit, dass der als machtlos titulierte Internationale Strafgerichtshof zur Lösung einer der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer heutigen Zeit beitragen könnte, indem er zum Kristallisationspunkt der Ächtung des sudanesischen Regimes und seines amtierenden Präsidenten wird. Eine Anklage Bashirs könnte aus diesem Grund als historischer Akt in die Geschichte eingehen. Robert Schütte ist Sudan-Experte und Präsident der deutschen Menschenrechtsorganisation Genocide Alert.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an 0173/5129542 oder robert.schuette@genocide-alert.de ; www.genocide-alert.de