08.06.2006

Die Gesellschaft für bedrohte Völker kämpft um das Leben von 560 Roma-Flüchtlingen auf vergiftetem Boden im Kosovo

KLEINE FOTOZUSAMMENSTELLUNG

TEIL 1

Seit 1999 mussten 560 Angehörige der Roma und Aschkali - unter ihnen 218 Kinder unter 10 Jahren – in den Flüchtlingslagern Cesmin Lug/Cesminluke, Zitkovac/Zhitkoc und Kablare in Nord-Mitrovica (Kosovo) ausharren. Sie waren im selben Jahr im Zuge des Kosovo-Krieges von Albanern aus ihren Häusern im Süden von Mitrovica vertrieben worden. Die Lager befinden sich im Gebiet einer Bleischmelzanlage, die von der "Trepca Mines Company" betreiben wurde, bis die Vereinten Nationen im Jahr 2000 deren Schließung durchsetzen konnten.

Im Gebiet um die Lager gibt es immer noch hohe Konzentrationen von Blei und anderen Schwermetallen im Boden und in der Luft, so dass alle Lagerbewohner seit sieben Jahren einer sehr hohen Schadstoffbelastung ausgesetzt sind und inzwischen an Bleivergiftung leiden. Bei Erwachsenen kann eine hohe Bleibelastung zu hohem Blutdruck und einer verminderten Funktion der Nieren und des zentralen Nervensystems führen. Die Gesundheit von Schwangeren und Kindern ist besonders gefährdet. Viele Kinder leiden an Symptomen einer Bleivergiftung, einschließlich Krämpfen und Komazuständen. Bereits niedrige Konzentrationen werden mit verminderter Intelligenz, Wachstumsstörung und Hörschwäche in Verbindung gebracht. Das Wachstum und die Entwicklung dieser Kinder liegen weit unter dem Altersdurchschnitt.

TEIL 2

Ende Oktober 2005 entsandten wir einen europaweit ausgewiesenen Spezialisten für Schwermetallvergiftung, den Umweltmediziner Dr. Klaus-Dietrich Runow (Bad Emstal), zusammen mit einer "Fact Finding-Mission" der GfbV in den Kosovo. Dr. Runow entnahm Blutproben und 66 Haarproben von den Flüchtlingen in den bleiverseuchten Lagern. Die Ergebnisse waren erschreckend! Die Bleiwerte der Flüchtlinge überstiegen bei allen Proben den Grenzwert mindestens um das 200-Fache, bei mehreren Kindern waren sie auf das 1200-Fache erhöht. Dazu kommen bei vielen Proben extrem hohe Cadmium- und Arsenwerte.

Die Folgen für die vergifteten Menschen sind katastrophal: Die Bewohner der bleiverseuchten Lager werden irreversible Schädigungen des Nerven- und Immunsystems sowie Störungen des Knochenwachstums und der Blutbildung davontragen. Kinder zeigen schon jetzt beunruhigende Symptome von Bleivergiftung wie Gedächtnisverlust, Koordinationsschwierigkeiten und komatöse Zustände.

TEIL 3

Die Ergebnisse unserer "Fact-Finding.Mission" wurden auf einer GfbV-Pressekonferenz publik gemacht. Unmittelbar danach erklärte sich die Stiftung "Ein Herz für Kinder" der BILD-Zeitung dazu bereit, der Familie von Denis Mustafa eine Behandlung in Deutschland zu finanzieren. Auch wurde auf Initiative der GfbV sowohl in der BILD-Zeitung als auch im ZDF-Magazin Mona Lisa mehrmals über die verzweifelte Situation in den Flüchtlingslagern auf der Gifthalde im Kosovo berichtet. Außerdem erschienen Beiträge in der Frankfurter Rundschau (FR), der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeine (HNA), der tageszeitung (taz), und einigen anderen Tageszeitung, Radiosendern sowie im hessischen TV-Nachrichtenmagazin Hessenschau.

TEIL 4

Die BILD-Aktion "Ein Herz für Kinder" und die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) haben es jetzt geschafft, zumindest einer Roma-Familie aus dem Flüchtlingslager Zitkovac zu helfen. Vom 24. April bis zum 6. Juni 2006 erhalten sieben schwer bleivergiftete Kinder mit ihrem Vater im Institut für Functional Medicine und Umweltmedizin in Bad Emstal medizinische Behandlung. Die Mutter der Familie und ihr Neugeborenes sind im letzten Jahr gestorben. Sehr wahrscheinlich war die hohe Bleibelastung eine der Hauptursachen für ihren Tod. Zwei Mitarbeiter unseres Kosovo-Teams, Paul Polansky und unsere Roma-Mitarbeiterin, Miradija Gidzic, stehen dem Vater Shaban Mustafa und seinen Kindern Serdjana (13), Semrana (14), Shkurtra (11), Suada (9), Zejnija (7), Denis (12) und Kasandra (4) rund um die Uhr zur Seite. Die Familie Mustafa soll im Bad Emstaler Institut entgiftet werden.

TEIL 5

Inzwischen wurden 47 der 128 Roma- und Aschkali-Familien von der UN-Verwaltung in das neue Lager Camp "Osterode" umgesiedelt. Doch auch diese ehemalige Kaserne der französischen KFOR ist kontaminiert. Ein Teil der Umgesiedelten wollte in die alten Behausungen zurückkehren, doch diese wurden in der Zwischenzeit von der UNMIK niedergewalzt.

Gleichzeitig sollen nach dem Willen der deutschen Innenminister viele aus dem Kosovo geflüchtete Roma, Aschkali und "Ägypter" in den Kosovo zurückkehren. Etwa 10 000, vor allem Aschkali und Kosovo-Ägypter, sollen dorthin abgeschoben werden. Bereits Anfang 2005 wurden die ersten Familien zurück ins Kosovo deportiert. Unter ihnen sind Kinder, die in Deutschland geboren wurden, der Sprache ihrer Eltern kaum mächtig sind und meist noch nie im Kosovo waren. Ihre Rückführung wird sie in die gleiche Lage wie die der Binnenflüchtlinge versetzen: von albanischen Behörden diskriminiert, ohne soziale Sicherung oder Versorgung, ohne Zugang zu Bildungseinrichtungen, in ständiger Angst vor Übergriffen von albanischen Extremisten. Auch der Familie Mustafa droht nach ihrer Behandlung in Bad Emstal dieses Schicksal.

SPONSOREN GESUCHT

Damit Familie Mustafa in Deutschland bleiben kann, müssen dringend Sponsoren gefunden werden, die bis Ende des Jahres für ihre Unterkunft und Verpflegung aufkommen könnten. Ihr Visum läuft am 7. Juni 2006 ab. Bis dahin muss alles geregelt sein, sonst dürfen die Kinder und ihr Vater nicht hier bleiben dürfen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich bereits an den Ministerpräsidenten und den Innenminister des Landes Hessen gewandt und sie um eine Verlängerung des Visums bis Ende des Jahres gebeten.

Bitte helfen Sie, damit die kranken Flüchtlimgskinder aus dem Kosovo

eine Zukunft haben!

Die Gesellschaft für bedrohte Völker kämpft weiter für die Rettung der Flüchtlingsfamilien, die eine Umsiedlung aus den Lagern Zitkovac und Cesmin Lug in das Lager "Osterode" ablehnen. Diese Familien müssen so schnell wie möglich in eine sicherere Region gebracht werden, wo mit einer Entgiftungsaktion durch kompetente Umweltmediziner begonnen werden kann.

Die GfbV fordert die internationale UNMIK-Verwaltung im Kosovo dringend dazu auf, dass die Umsiedlung der Roma und Aschkali an einen deutlich entfernten Ort eingeleitet wird. Es reicht nicht, die Blei belasteten Böden zu betonieren, denn der Kontakt mit dem giftigen Schwermetall kommt immer noch durch die Luft zustande. Therapie und Entgiftung sind an einem Ort dieser Belastung nicht möglich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird jetzt noch einmal Untersuchungen vor Ort durchführen. Die GfbV fordert die sofortige Veröffentlichung der Ergebnisse. Andernfalls müsste erneut ein Team internationaler Spezialisten Messungen in "Osterode" durchführen.

Die GfbV ist mit einem dreiköpfigen Team seit 1999 ständig im Kosovo vertreten. Detailliert haben wir die Vertreibung der Roma und Aschkali und die Zerstörung ihrer Häuser und Siedlungen durch nationalistische Albaner dokumentiert. Mit E-Mail- und Postkartenaktionen an den Kosovo-Sonderbeauftragten der UN, Sören Jessen-Petersen, mit offenen Briefen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowie an die verantwortlichen Ministerien und politischen Institutionen aller westlichen Staaten, mit Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten, Flugblattverteilaktionen an alle Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, Presseerklärungen und –konferenzen, bei Gesprächen mit Politikern und in Interviews, mit der Veröffentlichung von detaillierten Menschenrechtsreporten und Stellungnahmen sowie mit vielen anderen Menschenrechtsinitiativen engagiert sich die GfbV seit Jahren für die Evakuierung der verseuchten Flüchtlingslager. Die in der Kaserne "Osterode" stationierten französischen KFOR-Soldaten waren laut Aussagen eines Betroffenen nach Hause geschickt worden mit der Warnung, sie sollten in den nächsten Monaten keine Kinder zeugen. Die Flüchtlinge mussten jedoch bleiben - trotz der Warnungen auch von Medizinern. Im Oktober/November 2005 schließlich entsandte die GfbV ein Untersuchungsteam mit dem Umweltmediziner Dr. Runow in den Kosovo und konfrontierte die Verantwortlichen für die Lager mit seinen erschreckenden Untersuchungsergebnissen über die Schwermetallbelastung.

Für Nachfragen:

Jasna Causevic, GfbV Referentin für Südosteuropa: Tel. 0551 499 06 16

Dr. Klaus Dietrich-Runow, Umweltmediziner: Tel. 05624 80 61

Spendenkonto 5090 - Sparkasse Göttingen - BLZ 260 500 01

 

IMPRESSUM:

Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker

Erscheinungsdatum: Mai 2006

Texte: Eva Söhngen, Jasna Causevic

Redaktion: Inse Geismar

Fotos: Frank Witte/Marta Janowicz

Satz + Layout: Eva Söhngen