13.05.2006

Die Deh Cho First Nation in den kanadischen Nord West Territorien und das Mackenzie Valley Gaspipeline Project

Yvonne Bangert

Göttingen
Die wichtigsten Fakten im Überblick

-> Worum geht es?

Das Mackenzie Gas Projekt (MGP) ist das größte jemals im Norden Kanadas geplante Industrialisierungsprojekt. Es umfasst die 1350 km lange Mackenzie Valley Gas Pipeline und eine kürzere Pipeline für Flüssiggas von Inuvik an der Beaufortsee nach Norman Wells sowie ein Pipelinenetz, das die drei Gasfelder Taglu, Parsons Lake und Niglingtak mit der Hauptpipeline verbindet. Das Finanzvolumen beträgt mindestens 7 Milliarden nach anderen Quellen bereits 7,5 Milliarden Kanadische Dollar. Das noch geschlossene Urwaldgebiet (borealer Wald) entlang des Mackenzie Flusses würde von dem Projekt zerschnitten werden. Gefährdete Tiere wie das Wald - Karibu oder der Grizzly Bär würden ihren Lebensraum verlieren. Die Pipeline soll grenzüberschreitend bis nach Nordalberta führen und vor allem die Gewinnung von Öl aus den reichen Ölsandvorkommen Albertas ermöglichen.

Pläne zum Bau einer Gaspipeline durch das Tal des Mackenzie, der sich von seinem Delta an der Beaufort See bis zum Großen Sklaven See im Süden der Nord West Territorien erstreckt entstanden bereits in den 1970er Jahren, als in der Beaufortsee bei Inuvik im Delta des Mackenzie Gasvorkommen entdeckt wurden. Eine Regierungskommission unter Richter Berger führte ein Jahr lang Anhörungen in den ganzen NWT durch und kam 1977 zu dem Ergebnis, dass für mindestens 10 Jahre ein Moratorium gelten sollte, denn die in der Dene Nation zusammengeschlossenen First Nations der Region lehnen das Projekt ab. Sie haben bereits Erfahrungen mit der Ölförderung in Norman Wells und deren negativem Einfluss auf ihr Sozialgefüge, so auch den Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen, gemacht.

Zur Dene Nation gehören auch die Deh Cho First Nations, ein Zusammenschluss von fünf kleineren Gruppen, die zusammen etwa 4.500 bis 4.800 Menschen ausmachen (DCFN). 1977 und 1978 reisten auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker Pan Indianische Delegationen durch Deutschland und das benachbarte Ausland. Georges Erasmus, heute Chefunterhändler der DCFN, und Herb Norwegian, deren Grand Chief, berichteten dabei über das Projekt und das beispielhaft demokratische Verfahren von Richter Berger.

Erst 2000, also nach mehr als 20 Jahren, wurden die Pipelinepläne dann tatsächlich wieder aufgenommen. Bis auf die Deh Cho First Nation unterzeichneten die Indigenen im Einzugsgebiet des Projektes so genannte "access and benefits agreements", mit dem Betreiberkonsortium, die im Gegenzug zum Gewähren des Wegerechts zum Beispiel Bildungs- und Sozialprogramme finanzieren.

-> Wer gehört zu den Projektträgern?

Producer Group der Ölkonzerne (Betreibergruppe)

Aboriginal Pipeline Group (APG)

Zusammenschluss der indigenen Projektbefürworter

Imperial Oil, besitzt und betreibt das Taglu Gasfeld, ist außerdem Bauherr und Betreiber der Haupt-Pipeline

Inuvialuit, Gwich’in; die hier in Kanada wo die für die so wichtigen Karibus nicht vom Pipelineverlauf

Conoco Philips; besitzt 75% am Parsons Lake Gasfeld und wird die dort benötigten Fördereinrichtungen bauen und betreiben

berührt werden, verhandlungsbereit sind, Sahtuwill

Shell Canada; besitzt das Niglingtak-Gasfeld und wird die dort notwendigen Fördereinrichtungen bauen und betreiben

 

Exxon Mobile (Esso), ist Besitzer der restlichen 25% des Gasfeldes Parsons Lake

.Die Producer Group wird außer der Hauptpipeline noch weitere Projekte errichten: Ein Netz von Pipelines, die das Gas von den Gasfeldern zusammenführt und in die Hauptpipeline einspeist, ein Gasaufbereitungswerk in Inuvik zur Herstellung von Flüssiggas und eine Pipeline für Flüssiggas von Inuvik nach Norman Wells. Die APG kann bis zu einem Drittel der Aktienanteile an der Mackenzie Valley Gaspipeline erwerben

-> Wozu das Ganze?

Ein wichtiger Zweck der Mackenzie Valley Pipeline ist es, die Energie für die Aufbereitung von Ölsand zu liefern. Im Norden Albertas lagern enorme Ölsandvorkommen, zum großen Teil unter Land, das die Lubicon Cree als traditionelles Territorium für sich beanspruchen. Um das Öl aus dem Ölsand zu gewinnen, muss heißer Wasserdampf in den Boden gepresst werden, was eine enorme Energie benötigt. Diese Ölsandvorkommen gelten als größte Ölreserve weltweit und werden auf eine Stufe mit den Ölvorräten in Saudi Arabien. Gestellt.

-> Unterstützen alle Indigenen das Projekt?

Die indigenen Anrainer sind über das Projekt geteilter Meinung, manche sehen es als Chance für Jobs und Karriere; andere fürchten Lärm, Dreck, soziale Folgen wie etwa Drogen und Alkohol, irreparable Schäden an Mutter Erde. Es herrscht große Sorge um die Sicherheit der Pipelines, da der Klimawandel den Permafrostboden auftaut und als Untergrund für die Röhren instabil werden lässt. Zudem gibt es bereits jetzt Schätzungen, dass die Gasfelder zu klein sind, um das Projekt angesichts der enormen Kosten von 7 – 7,5 Milliarden kanadischen Dollar rentabel zu machen; daher liegt die Vermutung nahe, dass es zu weiteren Explorationen und noch mehr Förderprojekten kommen dürfte.

Die Deh Cho First Nations haben daher keine Vereinbarung unterzeichnet, sondern verhandeln weiter; über ihr Land führen etwa 40 % des Streckenverlaufs der 1350 km langen Mackenzie Valley Pipeline. Daher ist ihr Votum für das Betreiberkonsortium enorm wichtig, denn ein so großer Teil der Pipeline kann nicht einfach auf eine andere Trasse verlegt werden.

Die Deh Cho First Nations sind die einzigen betroffenen Indigenen, die direkt entlang der Pipelinetrasse leben; daher sind sie stärker als andere dem Risiko der negativen Einflüsse etwa der Siedlungen der Ölarbeiter, der Straßen und sonstiger Infrastruktur ausgesetzt und verhandeln besonders hart. Obwohl sie noch keinerlei Nutzungsrechte an ihrem Land abgetreten hatten, ließ der Staat Planungsarbeiten zu. Dagegen wehrten sich die Deh Cho mit offiziellen Eingaben, klagten vor Gerichten in Yellowknife und Vancouver und lösten damit Nachforderungen anderer First Nations aus, die bereits mit den Betreiberunternehmen handelseinig geworden waren. Letztere drohten daraufhin im April 2005 mit dem Ausstieg aus dem Projekt.

Siedlungszentrum der Deh Cho First Nations (nach unterschiedlichen Quellen 4.500 bis 4.800 Menschen) ist Fort Simpson mit etwa 2.500 Einwohnern, 2/3 von ihnen sind Indigene. Der Ort liegt nur ca. 16 km von der geplanten Trasse entfernt. Ihren Namen haben sie nach dem Fluss gewählt, Deh Cho, großer Fluss, ist ihr Name für den Mackenzie.

Grand Chief der Deh Cho First Nation ist seit 2001 Herb Norwegian (53), der 1978 auf Einladung der GfbV an der 2. Panindianischen Delegation teilnahm, so wie Georges Erasmus, Chefunterhändler der Deh Cho, unser Gast bei der Pan Indianischen Delegation ein Jahr zuvor gewesen ist. Norwegian macht seine Zustimmung zum Projekt von den Verhandlungen abhängig, die er mit der Bundesregierung in Ottawa um den historischen Landanspruch der Deh Cho führt.

-> Welche Vorstellungen haben die Deh Cho First Nations?

Die Deh Cho First Nations streben eine umfassende Autonomie an. Sie wollen zum Beispiel ein eigenes Wahlrecht für alle Einwohner Deh Chos, wobei Zugezogene einen Mindestaufenthalt von fünf Jahren nachweisen müssen. Sie streben eine eigene Steuerhoheit an und das Recht, selbst über sämtliche Entwicklungsmaßnahmen zu entscheiden, eine eigene Polizei und eine eigene Gerichtsbarkeit aufzubauen; außerdem beanspruchen sie das Besitzrecht auf alle unter der Erdoberfläche lagernden Bodenschätze innerhalb des ca. 210.000 qkm (81.000 Quadratmeilen) großen Gebietes, auf das sie Anspruch erheben.

Arctic Indigenous Youth Alliance AIYA ist sehr skeptisch gegenüber dem Projekt. Sie fürchtet um die eigene Zukunft und die ihrer Nachkommen; wenn das Mackenzie Valley Projekt erst einmal durch die gesteigerte Siedlungsdichte, Lärm und Dreck das Leben als Jäger und Trapper unmöglich gemacht haben wird. Michael Francis aus Fort McPherson: "Ich möchte einmal mit meinen Kindern hinaus ins freie Land gehen und ihnen unsere Traditionen beibringen können, wie meine Großeltern das mit mir gemacht haben. Öl kann man nicht essen. Gas kann man nicht essen. Geld kann man nicht essen." AIYA ist 2002 entstanden als eine gemeinnützige Jugendorganisation in den NWT, die im Rahmen der Nachhaltigkeit auf Grundlage des traditionellen Wissens und der überlieferten Verhaltensweisen der Dene und Inuvialuit sowie angeleitet von den Elders Zukunftsperspektiven für die NWT erarbeiten und umsetzen will. Kein Geld der Welt, so AYLA, könne ihre und alle künftigen Generationen für den Verlust des Landes und der eigenen Kultur entschädigen. Das Gasprojekt werde die ohnehin schon existierenden Auswirkungen von Klimawandel und Globalisierung verschärfen.

Ebenfalls kritisch zu dem Projekt stehen die etwa 2500 Dene Tha in Nordalberta, deren Land ebenfalls über eine Strecke von 100 km von dem Trassenverlauf berührt wird. Sie sind in die Verhandlungen überhaupt nicht eingebunden. Sie haben jetzt einen Stopp der Anhörungen gefordert, bis ein Weg gefunden ist, auch sie daran zu beteiligen, obwohl sie nicht in den NWT leben. Dagegen hat sich allerdings die Energiebehörde von Alberta bereits verwahrt.

-> Wie ist der Status Quo der Auseinandersetzungen?

Derzeit (Stand März 2006) laufen zwei Verfahren der Deh Cho First Nation:

Eine Eingabe beim Minister für indianische Angelegenheiten Jim Prentice, da das Department of Indian Affairs DIA 27 Genehmigungen zur Rohstoffexploration vergeben hat, ohne die Zustimmung der betroffenen Gemeinden einzuholen und dadurch gegen einen Vertrag zwischen DIA und DCFN verstoßen hat.

Eine Klage vor dem Umweltprüfungsamt wegen Streit um Wegerecht. Das Amt hatte ursprünglich zur Vorsaussetzung gemacht, dass der Betreiber Imperial Oil mit allen 5 Deh Cho Gemeinden Wegerechtsvereinbarungen schließen muss, in denen festgelegt ist, in welcher Weise Land, das für den Zugang zur Pipeline oder den entsprechenden Infrastruktureinrichtungen benötigt wird ,genutzt werden darf. Nach Rücksprache mit dem Department of Indian Affairs DIA hatte das Amt diese Forderung im Januar 2006 zurückgezogen und festgestellt, dass Imperial Oil nicht verpflichtet sei, mit den Deh Cho First Nations-Gemeinden über die sozio-kulturellen Folgen des Pipelineprojektes zu verhandeln bzw. über deren Minimierung und Entschädigungsleistungen. Dagegen reichten die Deh Cho vor dem Obersten Gericht der NWT in Yellowknife am 6.. März 2006 Klage ein, die am 13. März auch zugelassen wurde. Dies war bereits ihre 2. erfolgreiche Klage. Schon im Herbst 2005 waren sie erfolgreich gewesen mit einer Klage gegen die Bundesregierung in Ottawa, weil diese die Indianer nicht ausreichend in die Umweltprüfung einbezogen hatte

-> Wie funktioniert das Anhörungsverfahren?

Es gibt zwei Ausschüsse (Panels):

Der 1. Ausschuss widmet sich den ingenieurtechnischen und wirtschaftlichen Aspekten des Projektes und geht der Frage nach, ob überhaupt (technisch) und wenn ja zu welchen Kosten das Projekt realisierbar wäre; zuständig ist das National Energy Board

Der 2. Ausschuss befasst sich mit Umweltbelangen und sozialen Fragen sowie den Folgen des Projektes für die Menschen und das Wild; dies ist das Joint Review Panel

-> Was ist das Joint Review Panel?

Das Joint Review Panel ist ein Sachverständigengremium mit 7 Mitgliedern, das im August 2004 vom damaligen Umweltminister Kanadas in Abstimmung mit den Betreiberfirmen und der Aboriginal Pipeline Group berufen wurde; es führt die Anhörungen zu den sozialen und den Umweltfolgen durch, indem es in den ganzen NWT Gemeindeversammlungen besucht. Es beendet seine Arbeit nach der bisherigen Planung Ende 2006 und erstellt dann einen Bericht mit Empfehlungen.

Auch das National Energy Board wird Bericht und Empfehlungen abgeben; Auf dieser Basis muss dann die Regierung in Ottawa über das weitere Schicksal des Projekts entscheiden.

-> Ist es wirklich nur ein Projekt?

Nein, eigentlich sind es 5:

- Die Mackenzie Valley Pipeline

- Die Förderanlagen in den drei Gasfeldern Taglu, Parsons Lake und Niglingtak

- Pipeline-Zubringersysteme

- Die Gasverarbeitungsanlage Inuvik

- Die Flüssiggas-Pipeline von Inuvik nach Norman Wells

-> Wer kann an den Anhörungen teilnehmen?

Jeder kann teilnehmen als Zuhörer oder Streithelfer (Intervener); letzterer kann aktiv Eingaben einreichen; Anhörungen finden im Rahmen von Gemeindversammlungen statt; der "Intervener" hat Zugang zu den Dokumenten und nimmt am Informationsaustausch teil; er kann 15 Minuten oder während einer Anhörung auf Antrag auch 30 Minuten seinen Standpunkt vortragen.

-> Was geschieht nach Ende der Hearings?

Das National Energy Board und das Joint Review Panel werden sich zurückziehen, um ihre Empfehlungen zu formulieren und Berichte zu schreiben als Entscheidungsvorlage für die Regierung in Ottawa. Nach dem derzeitigen Zeitplan ist im Laufe des Jahres 2007 mit dieser Entscheidung zu rechnen und ab 2011 mit der Inbetriebnahme der Pipeline.