07.04.2010

Die Auswirkung der Han-chinesischen Migration

WRITTEN STATEMENT Tibet

Menschlicher Entwicklungsstand in der Volksrepublik China: Der Fall des Autonomen Gebiets Tibet

Die Analphabetenrate Tibets ist die höchste aller Provinzen der Volksrepublik China (VR China, People’s Republic of China, PRC). Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Program, UNDP) meldet Analphabetenraten von 45 Prozent für erwachsene Männer und 62 Prozent für erwachsene Frauen. Dieser Mangel an Alphabetisierung und Ausbildung hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen, da tibetische Produzenten, Bauern und Hirten derzeit weder die Bildung noch die aktuellen Marktinformationen oder das Kapital haben, um umfassend informiert zu sein, was sie in wirtschaftlichen Angelegenheiten benachteiligt. Die VR China behauptet, jedes Jahr Billionen Yuan in die tibetische Ausbildung investiert zu haben, doch dies führte nicht zu dem erfolgreichen Bildungssystem, das Tibeter benötigen, um als Volk zu wachsen und in einer modernen Wirtschaft, dominiert von Han-chinesischen Migranten, zu bestehen.

 

Arbeit und Beschäftigung

Der Arbeits- und Beschäftigungssituation in Tibet fehlt es nach wie vor an grundsätzlicher Fairness, was zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Vorteil für ethnisch Han-chinesische Migranten gegenüber Tibetern führt. Diese Ungerechtigkeit verstößt sowohl gegen internationale als auch gegen einzelstaatliche Vorschriften. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sieht ausdrücklich für jeden das Recht vor, unter gerechten und günstigen Bedingungen sowie geschützt vor Arbeitslosigkeit zu arbeiten und verfügt, dass alle Arbeiter den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit erhalten. Sowohl die Erklärung zum Anspruch auf Entwicklung als auch der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte unterstreichen die Bedeutung von Gleichstellung in Beschäftigung und Entlohnung. Ebenso enthält die Verfassung der PRC Bestimmungen, die mehr Respekt für die Gleichheit aller Arbeiter fordern. Trotz dieser Schutzmaßnahmen existieren zahlreiche Berichte über ungerechte Arbeitspraktiken und Diskriminierung gegen die lokale tibetische Belegschaft am Arbeitsplatz, was auf ein weit verbreitetes Versagen seitens der chinesischen Behörden, die gesetzlichen Verpflichtungen aufrecht zu erhalten, hinweist.

Es gibt zahlreiche Faktoren, die zu diesen Beschäftigungsproblemen beitragen, beispielsweise die zuvor beschriebenen Bildungsunterschiede und grundsätzliche ethnische Spannungen zwischen den hauptsächlich Han-chinesischen Managern und den tibetischen Arbeitskräften. Tibeter werden von der lokalen Wirtschaft systematisch ausgeschlossen, sowohl durch die Einstellungspraxis chinesischer Firmeneigner als auch durch die diskriminierenden Entschädigungsrichtlinien, die zu höheren Löhnen für ethnisch Han-chinesische Arbeiter gegenüber ähnlich ausgebildeten Tibetern führen. Der jüngste Zustrom ethnisch Han-chinesischer Wanderarbeiter in die Region hat diese bereits ernsthafte Benachteiligung verschlimmert.

 

Die Auswirkung der Han-chinesischen Migration

Es ist schwierig, verlässliche Informationen aus dem Inneren des Autonomen Gebiets Tibet (Tibet Autonomous Region, TAR) zu erhalten und das ethnische Verhältnis zwischen Tibetern und Han-Chinesen genau einzuschätzen. Die VR China behauptet nach wie vor, dass Tibeter nach wie vor 90 Prozent der regionalen Bevölkerung ausmachen. Die Volkszählung der VR China von 2000 zeigt zwar, dass Tibeter den Großteil der Bevölkerung stellen, aber internationale Untersuchungen haben die fehlerhafte Methode, mit der diese Zahl errechnet wurde, aufgedeckt.

Selbst wenn die Zahlen der Volkszählung von 2000 richtig wären, spiegelt die bloße Statistik nicht die gegenwärtige komplexen Folgen der Migration von Han-Chinesen in der tibetischen Wirtschaft wider. Die Wanderarbeiter arbeiten zwar nur zeitlich befristet, aber sie erreichen Tibet stetig und in gleich bleibender Anzahl, wodurch sie einen ständigen Ersatz für diejenigen Migranten, die eventuell nach Ostchina zurückkehren, sicherstellen. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass die in Tibet lebenden Migranten eingestellt werden und dies wahrscheinlich in Stellungen, die andernfalls mit tibetischen Angestellten gefüllt worden wären.

Die Auswirkungen der Rassendiskriminierung von Tibetern werden durch den nachteiligen Einfluss des unterdurchschnittlichen Bildungssystems verschlimmert. Unangemessene Ausbildung führt generell zu geringeren Beschäftigungsmöglichkeiten, da es für viele Tibeter schwierig ist, die Fähigkeiten zu erwerben, die notwendig sind, um auf einem Arbeitsmarkt, der von vorneherein Han-Chinesen bevorzugt, zu bestehen. Tibeter, die lediglich zu einer unzureichenden Ausbildung Zugang hatten, sprechen seltener fließend Chinesisch und haben höchstwahrscheinlich weniger Wissen und Verständnis für die chinesische Arbeitskultur sowie die Verbindungen zur Regierung oder zu Unternehmensnetzwerken in China.

Hinsichtlich der Arbeitslosigkeit brüstet sich die VR China damit, dass ihre Anstrengungen eine bemerkenswert niedrige Arbeitslosenrate bewirkt hätten. Sie behauptet, die chinesische Verwaltung in Tibet habe Maßnahmen ergriffen, um Arbeitslosen in verschiedenen Regionen Jobs zu verschaffen und dadurch die steigende Arbeitslosigkeit zu vermindern, indem sie finanzielle Unterstützung bietet und selbstständige, unabhängige Unternehmer ermutigt.

 

Tourismus

Der Aufschwung in der Tourismusbranche während der vergangenen Jahre erhöhte die Anzahl der Han-Chinesen in der TAR weiter. 2005 kündigte die VR China ihren

auf 15 Jahre angelegten "Masterplan für Tourismus in Tibet" an. Sie behauptet, dass der resultierende Anstieg an Touristen eine wichtige Rolle gespielt habe, um Beschäftigung sowie Steuereinnahmen zu steigern und den Lebensstandard von sowohl städtischen als auch ländlichen Anwohnern zu verbessern. Die meisten Tibeter ziehen jedoch nur selten konkreten Nutzen aus den touristischen Dollars.

Die Diskriminierung am Arbeitsplatz, der Tibeter gegenüberstehen, wenn sie sich für Stellen in anderen Bereichen der Wirtschaft bewerben, ist auch in der Tourismusindustrie anzutreffen, wodurch Tibeter häufig von den gestiegenen Tourismus-Einnahmen ausgeschlossen sind.

 

Umsiedlung und Aussiedlung

Der Zustrom von ethnisch Han-chinesischen Arbeitern, Touristen und von chinesischem Militärpersonal hat die Zahl der Tibeter, die derzeit ausgesiedelt werden, vergrößert. Umsiedlungsprogramme sind kaum mehr als bewusst geplante Richtlinien, die unter dem Vorwand, "Stabilität" in der Region sicherzustellen, darauf abzielen, traditionelle tibetische Lebensweisen zu entwurzeln und zu stören. Die VR China ist dafür bekannt, ihrer Bevölkerung ernsthaften Schaden zuzufügen, indem sie viele Menschen im Namen des "Fortschritts" verdrängt; die Umsiedlungsmaßnahmen hatten katastrophale Folgen für Tibeter.

Diese Umsiedlungen erfolgen ohne Entschädigung und ohne die Zustimmung der Betroffenen und verstoßen somit gegen internationale Normen, denn das Wohnrecht wird sowohl durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch durch die Erklärung zum Recht auf Entwicklung geschützt. Weiterhin sichert der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung zu. Erzwungene Umsiedlungen sind eine offensichtliche Verletzung dieser grundsätzlichen Menschenrechte. Oft müssen diejenigen, die durch Umsiedlungsprogramme aus ihrer Heimat vertrieben werden, die Kosten selbst tragen, trotz gegensätzlicher Behauptungen der VR China, sie stelle Ausgesiedelten Unterstützung zur Verfügung.

2006 wurden Tibets Probleme mit unfreiwilligen Umsiedlungen zusätzlich verschlimmert, als die VR China im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 eine massive fünfjährige Umsiedlungskampagne ins Leben rief, um eine strenge Kontrolle der tibetischen Bevölkerung zu garantieren. Unaufrichtigerweise tituliert mit der Bezeichnung "Komfortables Wohnprogramm" ("Comfortable Housing Program”) führte die Maßnahme dazu, dass in den letzten Jahren fast eine Millionen Tibeter entwurzelt und ohne Entschädigung umgesiedelt wurden. Die von dem Programm Betroffenen haben nur sehr wenige Möglichkeiten, sich ihrem Schicksal zu widersetzen. Widerstand wird als Bedrohung der nationalen Sicherheit dargestellt.

Nach einer Umsiedlung ist es für Tibeter oft schwer, ihren Lebensunterhalt zu sichern, denn die früher nomadischen Hirtenfamilien sind oft gezwungen, ihr Vieh aufzugeben und sich in dauerhaften Wohnungen niederzulassen.

Umsiedlungsprogramme, die auf die Auslöschung tibetischer Kultur abzielen, stellen eine klare Verletzung der Menschenrechte dar. Auch wenn das letztendliche Ziel dieser Maßnahmen nicht die Auslöschung tibetischer Kultur ist, bleibt die Tatsache bestehen, dass diese Programme oft ohne Zustimmung der Betroffenen erfolgen und keine Entschädigungen gezahlt werden. Aus diesem Grund stellen die Umsiedlungsprogramme der VR China eine ernsthafte und anhaltende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte auf Wohnen und die Selbstbestimmung von Tibetern dar.

 

Gesundheitswesen

Tibeter - vor allem diejenigen, die auf dem Land oder in Armut leben - erhalten nicht die medizinische Versorgung, zu der sie sowohl gemäß internationalen Konventionen als auch innerstaatlichem Recht berechtigt sind. Der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte erkennt das Recht eines jeden auf den bestmöglichen Gesundheitszustand an - ein Recht, das "der Schaffung von Voraussetzungen, die alle medizinischen Leistungen und ärztliche Behandlung im Krankheitsfall sicherstellen", bedarf. Implizit im Erreichen solcher Zustände ist die Forderung, dass "Vertragsstaaten… das Recht eines jeden zu sozialer Sicherheit, einschließlich Sozialversicherung, anerkennen." In ihrer Verfassung sichert die VR China zu, dass der Staat medizinische und gesundheitliche Angebote entwickelt, die durch materiellen Beistand seitens des Staates der Gesellschaft zugänglich gemacht werden, wenn die Bürger der VR China alt, krank oder arbeitsunfähig sind. Trotz dieser Verfügungen existiert für die meisten Tibeter schlichtweg keine erschwingliche medizinische Versorgung.

Dieser Mangel an erschwinglicher medizinischer Versorgung ist besonders außerhalb der wichtigsten Städte Tibets problematisch. Untragbar hohe Kosten entmutigen die Landbevölkerung, medizinische Betreuung in bestehenden Krankenhäusern und Kliniken aufzusuchen. Die meisten wenden sich zuerst an traditionelle tibetische Ärzte, bevor sie die finanzielle Last, die mit Krankenhäusern verbunden ist, auf sich nehmen. Zusätzlich sind Landbewohner durch den Mangel an angemessenen medizinischen Leistungen außerhalb der Stadtzentren benachteiligt.

Die GfbV fordert vom UN-Menschenrechtsrat, die chinesische Regierung dazu zu bewegen:

  • die Alphabetisierungsquote in Tibet zu erhöhen.

  • ungerechte Arbeitspraktiken und Diskriminierung am Arbeitsplatz gegen ansässige tibetische Arbeitskräfte zu beenden.

  • die systematische Immigration ethnisch Han-Chinesen nach Tibet einzudämmen.

  • Um- und Aussiedlungsprogramme in Tibet zu beenden.

  • angemessene und zugängliche medizinische Versorgung außerhalb der Stadtzentren sicherzustellen.