01.06.2005

Deutsche Hermes-Bürgschaft für Großstaudamm in Indien

Mit einem besonderen Gastgeschenk wartete Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, als er am 29. Oktober 2001 zu einem Besuch in Indien eintraf. Um Indiens wachsender Kritik an der Unterstützung des Erzrivalen Pakistan in der globalen Antiterror-Koalition zu begegnen, hatte sich der Kanzler höchstpersönlich für die Gewährung einer von Siemens beantragten Hermes-Bürgschaft für den Tehri-Staudamm eingesetzt. Dabei ist das Projekt gemessen an den selbstgestellten Ansprüche der rot-grünen Regierung an ökologische und soziale Standards für die Vergabe von Hermesbürgschaften keineswegs förderungswürdig. Indiens Regierung sieht sich durch die Bürgschaft bestärkt, nun auch den Bau weiterer Staudämme am Narmada-Fluss voranzutreiben, für den Hunderttausende Adivasi-Ureinwohner vertrieben werden.

Vor 25 Jahren wurde bereits mit der Planung des Tehri-Staudammes, der vor allem der Energiegewinnung durch Wasserkraft dienen soll, begonnen. Inzwischen ist die Staumauer im Tal des Bhagirathi-Flusses im indischen Himalaja zur Hälfte fertiggestellt. Mit 260 Metern Höhe soll es der fünfthöchste Staudamm der Erde werden. Für das gigantische Projekt müssen rund 100.000 Menschen umgesiedelt werden. In wenigen Tagen soll die Stadt Tehri geflutet werden, die mit ihren alten Gebäuden kulturhistorisch bedeutend ist. Zehntausend Bewohner Tehris harren trotz der unmittelbar bevorstehenden Flutung noch immer in ihren Häusern aus, da die Behörden ihnen keine neuen Wohnungen zugewiesen haben. Mit der Stadt werden auch 27.000 Hektar fruchtbares Ackerland und 107 Dörfer in den Fluten versinken. Den Menschen, die ihre Häuser nicht freiwillig verlassen wollen, droht die Zwangsumsiedlung. Verbittert kritisieren viele von ihnen, dass die von den Behörden versprochene finanzielle Entschädigung im korrupten Verwaltungsapparat versickert.

Fast täglich protestieren die von der Zwangsräumung bedrohten Dorfbewohner friedlich gegen das Megaprojekt. Ende März 2001 besetzten sie den Bauplatz und wurden durch Polizeikräfte geräumt. Mehr als 80 Demonstranten wurden verhaftet. Auch die Wiederbesetzung des Geländes am 24. April wurde mit brutaler Polizeigewalt beendet. Weitere 50 Demonstranten wurden festgenommen, ein Versammlungsverbot für Gruppen mit mehr als vier Personen wurde verhängt.

Proteste hagelte es nicht nur von den Umsiedlern. Schon 1996 begann der bekannte indische Menschenrechtler Sunderlal Bahuguna mit einem unbefristeten Hungerstreik. Um den Träger des Alternativen Nobelpreises und Weggefährten Mahatma Gandhis nach 74 Tagen zur Aufgabe des Fastens zu bewegen, sagte die Regierung damals eine umfassende Überprüfung des Projekts zu, – und trieb es weiterhin rücksichtslos voran.

Der Staudamm-Bau verstößt nicht nur gegen grundlegende Menschenrechte, weil Bewohner der Flussregion willkürlich vertrieben werden. Auch die Sicherheit des Dammes und sein wirtschaftlicher Nutzen werden von Kritikern bezweifelt. So wird das Projekt in einer Erdbebenregion errichtet. Kritiker rechnen damit, dass die Staumauer einem Erdbeben der Stärke 8 auf der Richter-Skala, das in dieser Region nicht selten ist, nicht standhalten wird.

Ein Bruch der Staumauer könnte den Tod von bis zu zehn Millionen Menschen verursachen. Bei allen Berechnungen wurde zudem von zu hohen Niederschlagswerten ausgegangen und die katastrophalen Folgen von Sedimentablagerungen in dem Staubecken wurden unterschätzt. Trotz dieser menschenrechtlichen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bedenken wird der Bau des Tehri-Staudammes mit Hermes-Bürgschaften von der deutschen Bundesregierung abgesichert. Dabei hatte die rot-grüne Bundesregierung bei ihrer Machtübernahme eine Reform der massiv kritisierten Hermes-Bürgschaften angekündigt. Doch das Ergebnis des Reformprozesses ist kläglich.