16.04.2010

Der Südsudan – Symbol für jahrzehntelang verleugneten Genozid

Vorwort zum Interview mit Philipp Tartisio

Zehntausende Südsudanesen flohen wie hier 1974-75 wegen des Bürgerkriegs immer wieder nach Äthiopien Foto Gordian Troeller

Aus bedrohte völker_pogrom 259, 2/2010

Vorwort zum Interview mit Philipp Tartisio

Der Südsudan – Symbol für jahrzehntelang verleugneten Genozid

Von Tilman Zülch

"Unsere Unabhängigkeit steht vor der Tür", stellt Philipp Tartisio, langjähriger ehrenamtlicher Südsudan-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker im folgenden Interview voran. Er umreißt die Situation in seiner Heimat ein Dreivierteljahr vor dem entscheidenden Plebiszit über die Zukunft des Südsudan. Bei den gesamtsudanesischen Wahlen im April 2010 wählten im Südsudan 93 Prozent der Bevölkerung die ehemalige Widerstandsbewegung SPLM, die für die Unabhängigkeit des Sudan ist. Nur fünf Prozent konnte der sudanesische Staatschef und gesuchte Kriegsverbrecher Al-Bashir, verantwortlich für die Völkermorde im Südsudan, in den Nuba-Bergen und in Darfur, hier für seine Partei mobilisieren.

Die Fremdherrschaft arabischer Regimes in Khartum über den Südsudan begann 1955. Damals lieferte die britische Kolonialmacht den Süden dem arabischen und muslimischen Norden aus. Ein Jahr zuvor hatte die sudanesische Armee Aufstände der Plantagenarbeiter im Süden niedergeschlagen. Der gewaltsame Anschluss wurde vollzogen. Bis 2005 dauerte die Politik der religiösen, "rassischen" und sozialen Diskriminierung sowie der ökonomischen Ausbeutung an. Verfolgung und Völkermord führten zu Widerstand und Krieg. Mindestens vier Millionen Menschen starben.

Der Südsudan ist Symbol für jahrzehntelang unbeachteten, verdrängten, verleugneten Genozid. Viele Jahre unterstützten europäische oder US-Regierungen die wechselnden sudanesischen Regimes. Waren diese linksorientiert, kam die Militärhilfe aus Moskau, aber auch aus Ost-Berlin, waren sie "rechts", aus Washington, London oder Bonn.

Während wir in Deutschland täglich Vergangenheitsbewältigung in Sachen NS-Verbrechen leisten, fallen Untaten in der Dritten und Vierten Welt unter den Tisch, bei uns und anderswo. Auch die deutsche Linke hat hier versagt. Sie engagierte sich für die Opfer von Rassismus oder Massenmord in Vietnam, Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Zimbabwe oder Südafrika. Genozide in Biafra, Südsudan, Westpapua, Kurdistan-Irak und später im kroatischen Slawonien und Bosnien-Herzegowina blieben unbeachtet, wurden verdrängt oder gar gerechtfertigt.

Nach dem Prinzip "Auf keinem Auge blind" wurde unsere Menschenrechtsorganisation nicht zuletzt für jene gegründet, "von denen keiner spricht". So beschafften wir Anfang der 1970er Jahre Stipendien für südsudanesische Abiturienten, die als Flüchtlinge Uganda oder Kenia erreichten. Wir luden drei eindrucksvolle Persönlichkeiten der südsudanesischen Widerstandsbewegung in die Bundesrepublik ein, vermittelten Kontakte zu Politikern, zu Hilfs- und Entwicklungswerken, vornehmlich der Kirchen. Diese halfen beispielhaft, wie auch in anderen Vertreibungs- und Genozidregionen.

Der Südsudan ist heute nach einem halben Jahrhundert Völkermord und Krieg mit unzähligen Notsituationen und Entwicklungsrückständen konfrontiert. Man mag von perfekter Demokratie, von Zivilgesellschaft und unbestechlicher Administration träumen. Doch bis dahin ist ein langer Weg. Staatliche Unabhängigkeit ist das allerletzte Mittel zur Lösung ethnischer Konflikte. Wir haben in solchen Fällen oft für Autonomie plädiert und Widerstands- und nationale Bewegungen beraten. Aber nach allem, was den Völkern des Südsudan widerfahren ist, ist Unabhängigkeit die einzig gerechte Lösung. Dass sie möglich wird, ist dem südsudanesischen Widerstand und der internationalen Gemeinschaft zu verdanken. Unter ihrer Aufsicht wurden hier Regierung, Parlament, Armee und zunehmend Infrastrukturen geschaffen. Das alles darf nicht umsonst gewesen sein. Wir müssen jetzt in erster Linie diese Entwicklung bis zur Volksabstimmung im März 2011 unterstützen und gleichzeitig Zeichen in Richtung Demokratisierung, Pressefreiheit und Ausgleich zwischen den vielen kleineren und größeren Völkern des Südsudan setzen.

 

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