03.02.2007

Der "Hoffnungsträger der Armen" lässt die Ureinwohner Brasiliens im Stich.

Brasiliens Präsident Lula da Silva im Amt bestätigt

aus: bedrohte völker_pogrom 239, 5/2006
Mit einer Stichwahl wurde Brasiliens Präsident Lula da Silva am 1. Oktober 2006 im Amt bestätigt, das er vor vier Jahren als "Hoffnungsträger für die Armen" zum ersten Mal angetreten hatte. Dabei hat sich die Situation der Indianer in Brasilien, der Ärmsten unter den Armen, keineswegs verbessert. Für sie hat die Hoffnung getrogen. Zwar wurde im März 2006 eine Nationale Kommission für Ureinwohnerpolitik gegründet, doch bislang ist sie ein Papiertiger geblieben. Auch belegt ein Bericht des Indianermissionsrates CIMI, einer der wichtigsten Menschenrechtsorganisation in Brasilien für die Unterstützung der indigenen Völker und Partnerorganisation der GfbV, dass Landkonflikte in Brasilien seit 2003 wieder zunehmen. CIMI hat vielfach durch eigene Teams und die die Auswertung weiterer Quellen die Situation der mehr als 730.000 Angehörigen von 235 indigenen Völkern Brasiliens untersucht. Zwar gab es in Lulas erster Amtszeit auch Erfolge. So wurde den Macuxi, Wapixana, Ingarikó, Taurepang und Patamona nach 30 langen Jahren endlich der Landtitel über ihr gut 1,6 Millionen Hektar großes Gebiet Raposa Serra do Sol im Bundesstaat Roraima zuerkannt. Insgesamt aber verläuft der Prozess der Anerkennung indianischer Landansprüche, offiziell Demarkation genannt, viel zu schleppend. Die in enger Symbiose mit der Natur lebenden Ureinwohner sind auf gesicherte und ausreichend große Landflächen angewiesen, wenn sie ihre traditionelle Lebensweise in die Zukunft hinüberretten wollen. Doch immer wieder neue Einsprüche von Großgrundbesitzern gegen die Demarkierung von Land, das sie widerrechtlich für Eukalyptus-, Soja- oder Zuckerrohrplantagen nutzen, verzögern immer wieder den Rechtsweg. Dringend notwendig ist daher Rechtssicherheit für die Indigenen und die Gewissheit, dass ihre einmal errungenen Landrechte nicht durch den Einspruch eines Unternehmens, das indianisches Land kommerziell nutzen will, einfach infrage gestellt werden können.

Dramatisch bleibt die Situation im Bundesstaat Mato Grosso do Sul. Nirgendwo sonst in Brasilien verfügen die Indigenen über so wenig Land. Am Schlimmsten ist die Situation der 37.000 Guaraní-Kaiowá. In 64 ihrer 87 Territorien hat der Prozess zur offiziellen Anerkennung ihres Landes noch nicht einmal begonnen. Viele ihrer jungen Leute geben die Suche nach einem Stück Land, das ihnen lebenswerte Lebensbedigungen bieten könnte, auf und wählen stattdessen den Freitod. 68 waren es in den vergangenen drei Jahren. Besorgnis erregend bleibt auch die Lage der Yanomami im Bundesstaat Roraima. 20 Prozent ihrer Kinder haben Untergewicht und leiden an Krankheiten, die von Goldsuchern eingeschleppt wurden. Ihre Nahrungsversorgung wird immer schwieriger. Fischfang ist kaum noch möglich, denn die Flüsse wurden durch die Goldgräber mit Quecksilber verseucht. Dramatisch ist auch die Situation der etwa 60 in freiwilliger Isolation lebenden indianischen Völker, die dem CIMI bekannt sind. Sie versuchen, den Kontakt zu Außenstehenden bewusst zu meiden, doch auch ihr Land ist vor Holzhändlern und Großgrundbesitzern nicht sicher. 17 dieser Völker drohen nach Einschätzung von CIMI auszusterben.

Schlagzeilen auch in Deutschland macht der Konflikt zwischen den Tupinikim und Guarani im Bundesstaat Espirito Santo nördlich von Rio de Janeiro an der Küste Brasiliens und dem Unternehmen Aracruz Celulose. 1967 erkannte die Behörde für indianische Angelegenheiten Brasiliens FUNAI den Indianern 18.070 Hektar Land zu, von denen Aracruz Celulose ca. 11.000 Hektar besetzt hält. Das Unternehmen baut dort Eukalyptus-Monokulturen für die Herstellung von Zellstoff an. Eukalyptus ist besonders beliebt, weil seine Fasern sehr weiches Papier ergeben, ein großer Wettbewerbsvorteil bei Taschentüchern oder Toilettenpapier. Hauptabnehmer von Aracruz sind die Konzerne Kimberly-Clark und Procter and Gamble (P&G), die ihre Produkte auch in Deutschland verkaufen. Vier Expertenkommissionen der FUNAI haben in den vergangenen zehn Jahren bestätigt, dass die Tupinikim und Guarani seit altersher auf diesem Gebiet leben. Studien der FUNAI beweisen, dass das physische und kulturelle Überleben der Indianer von der ungestörten Nutzung dieses Landes abhängt. Aracruz hat bei der FUNAI trotzdem Protest gegen die Demarkierung des Gebiets eingelegt. Die Behörde blieb bei ihrer für die Indianer positiven Einschätzung und leitete ihr Gutachten inzwischen an den Justizminister weiter, der jedoch bis Mitte November noch keine Entscheidung bekannt gegeben hatte. "Aracruz versucht zurzeit, die lokale Bevölkerung gegen die Indianer aufzuhetzen", schildert Geertje van der Pas, Europasprecherin des CIMI, die explosive Situation. "In einer Plakatierungsaktion und Anzeigenserie werden sie als Pseudo-Indianer, Barbaren, Kriminelle und Diebe beschimpft. Informationsblätter, die in der Stadt Aracruz verteilt werden, verkünden zum Beispiel die Parole: Aracruz brachte den Fortschritt, FUNAI die Indianer. Genug von diesen Indianern, die unsere Arbeiter bedrohen." Vor kurzem erst haben sogar die Gewerkschaften gegen die Indigenen mobil gemacht.

Doudou Diène, UN-Sonderberichterstatter zu Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenangst und jeder Form der Diskriminierung, beschrieb die Situation in Brasilien nach einer Recherchereise im Oktober 2005 folgendermaßen: "Ein Dialog zwischen Indigenen und Regierung findet nicht statt und das Verhältnis zur staatlichen Indianerbehörde FUNAI ist angespannt. Der Präsident der FUNAI behauptet, dass das Treuhandverhältnis noch immer existiert und bricht damit geltendes Recht, er äußert sich diskriminierend gegen die Indianer, entscheidet selbst, wer Indianer ist und wer nicht und verletzt damit die Konvention 169 zu Indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der International Labour Organisation, und er leistet den Indigenen nicht die erforderliche Unterstützung." Brasilien hat die Konvention 169 der ILO im Juli 2002 ratifiziert.

Der CIMI-Bericht ist in der brasilianischen Originalfassung "Violência contra os Povos Indígenas no Brasil" veröffentlicht (www.cimi.org.br). Auf der Homepage der GfbV (www.gfbv.de) sind eine Zusammenfassung in deutscher und englischer Fassung sowie weitere Informationen zu den indigenen Völkern Brasiliens zu finden.