17.06.2005

DER ACEH-KONFLIKT

Ein vergessener Krieg in Südostasien

Der indonesische Sicherheitsminister und heutige Staatspräsident Indonesiens Susilo Bambang Yudhoyono beschrieb im April 2001 ganz zutreffend die Gemütslage vieler Menschen in Aceh, als er sagte: "Unsere Brüder und Schwestern in Aceh wollen Respekt, Gerechtigkeit und Wohlstand." Bis heute wird ihnen dies in Indonesien verweigert.

Seit 1976 kämpft die Bewegung für ein freies Aceh (GAM) mit Waffengewalt für einen unabhängigen Staat Aceh. Schon im 19.Jahrhundert hatten sich die Acehnesen gegen ihre Einverleibung in das holländische Kolonialreich gewehrt. Doch auch nach der Unabhängigkeit Indonesiens im Jahr 1945 wurde Aceh die versprochene Autonomie verweigert. Nach Beginn der Militärdiktatur unter Präsident Suharto im Jahr 1965 nahm die Repression weiter zu. Die Probleme in Aceh eskalierten, als 1971 der Ölkonzern Mobil in Zusammenarbeit mit dem Staatskonzern Pertamina mit der Erschließung von Erdgasvorkommen begann. Die Erdgasförderung bescherte der Zentralregierung Milliarden-Einnahmen, doch Aceh profitierte nicht davon. Als die ökologischen Folgen der Förderung immer schwerwiegender wurden, gründeten Acehnesen 1976 die Freiheitsbewegung GAM.

Der Krieg eskalierte erst in den 90er Jahren, nachdem das indonesische Militär massiv auf Überfälle der GAM gegen Polizei- und Militärposten reagierte. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung erklärte die indonesische Regierung Aceh zum Kriegsgebiet und ordnete einen brutalen Antiguerilla-Krieg an. Mehr als 2.000 Zivilisten wurden dabei allein zwischen 1989 und 1993 getötet. Mehr als 500 Menschen verschwanden spurlos im Gewahrsam der Militärs. Jahre später wurden unzählige Massengräber gefunden, in denen Zivilisten verscharrt worden waren. Zehntausende Acehnesen wurden willkürlich verhaftet und gefoltert. Vergewaltigungen waren in den Verhörzentren weit verbreitet. Nahezu jede Familie in Aceh hatte Tote, Verschwundene oder Gefolterte zu beklagen.

Angesichts der Repression von Armee und Bereitschaftspolizei konnte die GAM auf immer mehr Unterstützung aus der Zivilbevölkerung zählen, obwohl auch die Freiheitsbewegung immer wieder die Menschenrechte verletzte. So nahmen rund 500.000 der vier Millionen Bewohner Acehs an Massenprotesten der GAM in der Provinzhauptstadt Banda Aceh im November 1999 teil.

Aber die Armee setzte auch nach dem Sturz von Diktator Suharto im Jahr 1998 ihre brutale Antiguerilla-Kriegführung in Aceh fort. Menschenrechtler, Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden von Soldaten systematisch eingeschüchtert und oft auch Opfer von Übergriffen. Besonders großes Entsetzen löste die Ermordung des international bekannten Menschenrechtlers Jafar Siddiq Hamzah im Jahr 2000 aus. Sein verwesender Leichnam, der Spuren von Folter und Verstümmelungen aufwies, wurde in der Nähe der Stadt Medan gefunden. Tausende Soldaten wurden von Indonesien in die Unruheprovinz entsandt, um die Erdgas- und Erdölförderung zu sichern. Militärs erhielten im Gegenzug für ihre Sicherheitsdienste Millionen Dollar von Energiekonzernen. Zwar entschuldigten sich die demokratisch gewählte Regierungen Indonesiens nach dem Sturz des Diktators für die begangenen Verbrechen, doch auf eine juristische Aufarbeitung und angemessene Bestrafung der Verantwortlichen warten die Angehörigen der Opfer bis heute.

Mindestens 12.000 Menschen starben seit 1976 in dem Konflikt. Die meisten Toten waren Zivilisten. Bis heute sind Zivilpersonen am meisten gefährdet: Von der indonesischen Armee werden sie pauschal der Unterstützung der GAM beschuldigt, die Freiheitsbewegung verdächtigt sie, mit Soldaten zusammen zu arbeiten. Für das Militär ist die Zivilbevölkerung so suspekt, dass kürzlich sogar vorgeschlagen wurde, rund 200.000 Zivilisten aus ihren Dörfern zwangsweise umzusiedeln und in Lagern zu konzentrieren.

Der Aceh-Konflikt – Ein vergessener Krieg in Südostasien

Auch unter den seit 1998 herrschenden demokratischen Regierungen Indonesiens hielt der Terror gegen die Zivilbevölkerung an. Im Januar 2001 wurde ein Massengrab mit 14 Leichen gefunden. Unter den Toten befand sich auch ein engagierter Umweltschützer des Zentrums für internationale Waldstudien in Bandung. Drei andere Biologen waren im September 1999 spurlos verschwunden. Umweltschützer und Biologen werden immer wieder Opfer von Übergriffen der Armee, weil sie die Zusammenarbeit der Soldaten mit der Holzmafia bei der Rodung der Wälder öffentlich kritisieren.

Ein im Dezember 2002 von der Europäischen Union, der USA und Japan vermittelter Waffenstillstand in Aceh brach im April 2003 zusammen, nachdem Indonesien die GAM entgegen den Waffenstillstandsbestimmungen ultimativ aufgefordert hatte, Indonesiens Souveränität über Aceh anzuerkennen. Die GAM weigerte sich. Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri verhängte daraufhin am

18. Mai 2003 das Kriegsrecht über die Provinz und ordnete die Entsendung von 40.000 Soldaten an, um die 5.000 GAM-Kämpfer zu vernichten. Danach wurden auch zahlreiche Menschenrechtler willkürlich verhaftet. Internationalen Menschenrechts-und Hilfsorganisationen sowie ausländischen Journalisten wurde die Einreise nach Aceh verweigert. Nur von den Militärs handverlesene indonesische Journalisten durften in die Provinz reisen und über die Intervention im Sinne der Armee berichten. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) deckte im Mai 2003 auf, dass beim Transport der Interventionstruppen nach Aceh vertragswidrig auch sieben Landungsschiffe der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR von der indonesischen Marine eingesetzt wurden, die 1991/92 von der Bundesrepublik Deutschland an Indonesien verkauft worden waren. Vergeblich hatten wir Bundeskanzler Gerhard Schröder vor seinem Indonesien-Besuch im Mai 2003 gebeten, den Einsatz der ehemaligen NVA-Schiffe in Aceh zu verhindern. Als Wochen später das Fernsehmagazin "Monitor" unsere Vorwürfe aufgriff, zeigte sich die Bundesregierung überrascht und ahnungslos.

Zwanzig Monate nach Beginn der Militärintervention ist die indonesische Armee heute weiter denn je zuvor von ihrem Ziel entfernt, die Freiheitsbewegung zu zerschlagen. Zwar kündigte der kürzlich neu

gewählte Staatspräsident Susilo Yudhoyono nach seinem Amtsantritt an, er werde sich besonders um Frieden in Aceh bemühen. Yudhoyono war bei der Vermittlung des Waffenstillstandes im Dezember 2002 hilfreich gewesen. Doch nach der Flutkatastrophe ignorierte die indonesische Armee die Friedensappelle des eigenen Staatspräsidenten und erklärte, trotz der Naturkatastrophe würde sie ihre militärischen Aktionen gegen die GAM fortsetzen. Für den neuen Staatspräsident sind die Flutkatastrophe und das Erdbeben in Aceh der erste große Test, um seine Durchsetzungskraft gegenüber der Armee unter Beweis zu stellen.

Die indonesische Armee hat kein Interesse an einem Frieden in Aceh, der vor allem von der kriegsmüden Bevölkerung der Provinz gefordert wird. Denn sie profitiert von ihrem Zugriff auf die rohstoffreiche Provinz: Systematisch bereichern sich Offiziere bei der Plünderung der Wälder, dem Handel mit Marihuana sowie bei der Sicherung der Erdöl- und Erdgasförderung. Der Aceh-Konflikt wird von der Armee auch benutzt, um den demokratischen Politikern und der Öffentlichkeit glauben zu machen, dass ohne den Einsatz der Streitkräfte die territoriale Integrität des Staates gefährdet sei und Indonesien auseinander brechen würde.

Jetzt, nach der Flutwelle, der schlimmsten Katastrophe in der Geschichte von Aceh, muss der Krieg in der Unruheprovinz sofort beendet werden. Ohne Frieden ist jeder Wiederaufbau zum Scheitern verurteilt. Diese Erfahrung machte auch Japan, das in den 90er Jahren den Wiederaufbau in Aceh gezielt gefördert hatte und nach der jüngsten Militärintervention eine katastrophale Bilanz seiner Bemühungen um eine Verbesserung der Lebensbedingungen in Aceh ziehen musste.

Redaktion: Inse Geismar, Layout: Eva Söhngen