27.04.2005

Darfur: Täter und Mittäter

Viele Menschen sterben auf der Flucht. Mehr als 90 Prozent der in einem Auffanglager im Tschad von einem Untersuchungsteam der Gesellschaft für bedrohte Völker interviewten Flüchtlinge berichteten, sie hätte mit ansehen müssen, wie andere Menschen auf der Flucht zu Tode gekommen seien. Die meisten Flüchtlinge berichten Schreckliches aus ihren Heimatdörfern. Die Janjaweed-Milizionäre und Soldaten überfallen die Dörfer oft in den frühen Morgenstunden, rauben Vieh und Ernte, vergiften die Brunnen, um die Zivilbevölkerung aus ihren Dörfern zu vertreiben. Männer und Kinder werden erschossen, Frauen vergewaltigt. 93 Prozent der Befragten berichteten, dass die Angriffe gemeinsam von Milizionären und sudanesischen Soldaten ausgeführt werden. Oft werden sie eingeleitet von Bombardements der sudanesischen Luftwaffe, erklärten 80 Prozent der Befragten. So ist das sudanesische Regime für den Terror der Milizen verantwortlich, die es selbst bewaffnete. Das Regime macht sich in Darfur des Völkermordes schuldig, da sie systematisch die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstören lässt, um diese ethnischen Gruppen zu vernichten.

Sogar in Flüchtlingslagern am Rande der größeren Städte Darfurs sind die Vertriebenen vor ihren Häschern nicht sicher. Zu Hunderten werden Mädchen und Frauen beim Brennholzsuchen vergewaltigt. Denn ihre Peiniger waren von den sudanesischen Behörden durch einen bloßen Uniformwechsel zu Polizisten gemacht und mit der Bewachung der Camps betraut worden.

Immer schwieriger wird auch die Lage der Zivilbevölkerung, die bislang nicht vor dem Milizen-Terror floh. So sind 200.000 Menschen von jeder Versorgung mit Hilfsgütern abgeschnitten, warnten Hilfsorganisationen im November 2004. Da die Sicherheitslage immer schwieriger wird, müssen internationale Helfer immer häufiger ihre Arbeit einstellen.

Monatelang haben die sudanesischen Behörden mit immer neuen Tricks und Schikanen die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen behindert und damit das Leben zehntausender Menschen gefährdet. Statt internationale Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, tun die sudanesischen Behörden alles, um eine wirksame Versorgung der Bevölkerung zu verhindern. Sudans Staatspräsident Omar Hassan al Bashir bezeichnete denn auch jüngst die internationalen Hilfsorganisationen als den "tatsächlichen Feind" des Sudan.

Leere Versprechungen Khartums

Monatelang hat die internationale Staatengemeinschaft weitgehend untätig dem Genozid zugeschaut. Zwar protestierten Weltsicherheitsrat und Europäische Union gegen die schweren Menschenrechtsverletzungen und appellierten höflich an alle Konfliktparteien, die Zivilbevölkerung zu schonen und nach einer politischen Lösung der Krise zu suchen. Auch leistet man großzügig humanitäre Hilfe, doch vor wirkungsvollem Druck auf die sudanesische Führung schreckt man bislang zurück. Wider besseres Wissen ließ man sich von leeren Versprechungen Khartums blenden. Geschickt bemüht sich die sudanesische Führung, mit ständig neuen Zusicherungen Zeit zu gewinnen und vor Ort in Darfur Fakten zu schaffen. Den vielen Worten folgen keine Taten, so dass wir bis heute vergeblich auf die vor einem Jahr versprochene Entwaffnung der Janjaweed-Milizen warten.

Blockade im Weltsicherheitsrat

Der Weltsicherheitsrat und die Europäische Union zaudern. Im höchsten Gremium der Vereinten Nationen blockieren vor allem Russland und China, aber auch muslimische Staaten wie Pakistan ein entschlossenes Vorgehen. Russland ist der wichtigste Waffenlieferant des Sudan. Nicht ganz ernst zu nehmen war der Einwurf des russischen Präsidenten Putin, der im Oktober versicherte, sein Land würde in Zukunft keine Waffen mehr an die Janjaweed liefern. Russland hatte auch bislang Waffen nur an die sudanesische Regierung verkauft, erst kürzlich kamen neue Hubschrauber aus russischer Produktion im Sudan an. Die sudanesische Armee verteilt die Waffen dann nach eigenem Belieben weiter. Da der Sudan aufgrund seiner Einnahmen aus der Erdölförderung über große Geldsummen verfügt, ist er bei Rüstungslieferanten ein gern gesehener Kunde. Trotzdem hätte ein Waffenembargo gegenüber dem Sudan nur sehr begrenzte Wirkung auf den Darfur-Konflikt, da die Janjaweed für ihren Terror nur über eine sehr geringe Bewaffnung verfügen müssen und auch veraltete Waffen genügen.

Chinas Öl-Durst tötet im Sudan

Noch strikterer Widerstand gegen Sanktionen und gegen eine humanitäre Intervention kommt von der Volksrepublik China. Grundsätzlich befürwortet China nur selten den Einsatz von Friedenstruppen, da es fürchtet, selbst einmal Ziel einer Intervention zu werden, sollten die Konflikte in Tibet und Ostturkestan/Xinjiang weiter eskalieren. In Sachen Sudan ist die Führung in Peking jedoch besonders zurückhaltend, da Chinas staatlicher Öl-Konzern China National Petroleum Corporation (CNPC) an der Ölförderung im Süden des Sudan massiv beteiligt sind. Mit 40 Prozent ist die CNPC der bedeutendste Anteilseigner am Ölkonsortium Greater Nile Petroleum Operating Company (GNPOC), das die zwei wichtigsten Ölfelder in der Provinz Western Upper Nile kontrolliert. Von Sommer 2005 an wird die CNPC darüber hinaus auch Öl im Melut-Becken östlich des Nils fördern. Chinesische Firmen bauen bereits an einer 1.392 Kilometer langen Pipeline vom Melut-Becken zum Verladehafen Port Sudan sowie an einem 215 Millionen US-Dollars teuren Umschlagterminal für Öl-Exporte in der Hafenstadt am Roten Meer.

Chinas Öl-Durst hat im Herbst 2004 weltweit zu einer Verknappung der Ölreserven sowie zu einer deutlichen Erhöhung der Rohstoffpreise geführt. Allein im Jahr 2004 dürfte Chinas Energiebedarf um 15 Prozent gewachsen sein: In den ersten sieben Monaten des Jahres 2004 stiegen die chinesischen Ölimporte gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent; der Sudan wird dabei zu einem immer wichtigeren Lieferanten. Schon heute stammen sechs Prozent der Ölimporte Chinas aus dem afrikanischen Staat. Dieser Anteil soll in den kommenden Jahren noch deutlich erhöht werden. So kündigte das sudanesische Energieministerium am 29. Februar 2004 an, die tägliche Fördermenge bis zum zweiten Halbjahr 2005 von 312.000 auf 500.000 Barrel Öl steigern zu wollen. Der Öl-Export ist der wichtigste Devisenbeschaffer des Sudan und bringt jährlich rund zwei Milliarden US-Dollars in die sudanesischen Staatskassen. Ein von den Vereinten Nationen verhängtes Öl-Embargo wäre daher recht effektiv, um den Druck auf die sudanesische Führung deutlich zu erhöhen. Es würde auch kaum die Lebensverhältnisse der sudanesischen Zivilbevölkerung beeinträchtigen, da die Einnahmen zu einem Großteil für die Finanzierung des Krieges aufgewendet werden. Doch angesichts der Öl-Interessen Chinas dürfte ein Öl-Embargo im Weltsicherheitsrat nicht durchzusetzen sein.

Uneinige Europäer

Wieder einmal sind die Europäer in ihrer Außenpolitik uneins. Während Deutschland und Schweden für eine Verstärkung des Druckes auf die sudanesische Führung eintreten, plädieren Frankreich und Großbritannien für ein behutsames Vorgehen. Seit Monaten beschäftigen sich die europäischen Außenminister bei jeder ihrer Rats-Tagungen mit der Lage in Darfur, ohne bislang Sanktionen beschlossen zu haben. So bleibt es bei vieler warmer Luft und Äußerungen der Betroffenheit über die sich verschlechternde Lage in Darfur. Mit seinem im Oktober 2004 während einer Sudan-Reise verkündeten Fünf-Punkte-Plan verschaffte der britische Premierminister Tony Blair der sudanesischen Führung erneut einen Zeitaufschub bis Januar 2005, um seit Monaten gegebene Versprechungen zu verwirklichen. Mit immer neuen Ultimaten, die keine negativen Folgen für die sudanesische Führung mit sich bringen, verspielt die EU in der Sudan-Politik ihre Glaubwürdigkeit.

Zögerliche USA

Die US-Administration war zwar weltweit die erste Regierung, die die schweren Menschenrechtsverletzungen in Darfur als Völkermord brandmarkte. Auch waren es immer wieder US-Initiativen, die zu einer Debatte der Lage im Sudan im Weltsicherheitsrat führten. Doch trotz der geringen verbalen Zurückhaltung hat die US-Regierung bislang wenig Konkretes unternommen, um den Genozid zu stoppen. Angesichts des Krieges im Irak machten die Amerikaner auch deutlich, dass von ihnen kein militärisches Engagement in Darfur zu erwarten ist. Die USA leistet jedoch bei weitem die bedeutendste humanitäre Hilfe für Darfur und die sudanesischen Flüchtlinge im Tschad.

Auch im US-Wahlkampf war die Lage im Sudan Thema zahlreicher Debatten. Nicht nur die sehr konservative Anhängerschaft von US-Präsident George Bush interessiert sich traditionell sehr für die Lage der Christen im Sudan. Auch die schwarze Bevölkerungsgruppe fordert mehr Solidarität mit den Verfolgten und Vertriebenen im Westen des Landes. Doch ihre Appelle und Proteste für eine sofortige humanitäre Intervention in Darfur blieben bislang unbeantwortet.

Arabische Welt deckt Genozid

Viel Unterstützung erhält Khartum aus der arabischen Welt. So warnte die Arabische Liga am 9. August 2004 vor einer ausländischen Militäraktion in Darfur. Trotz der Eskalation der Gewalt in der Krisenregion und der leeren Versprechungen änderte die Arabische Liga nicht ihre Haltung. Als der Weltsicherheitsrat Mitte September eine äußerst moderate Resolution zur Darfur-Krise verabschiedete, in der angedroht wurde, möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Sanktionen zu verhängen, äußerten die arabischen Staaten ihre Bestürzung. Der Sprecher der Liga, Hussam Zaki, erklärte, "die Verhängung von Sanktionen wird nicht helfen, den Konflikt zu lösen oder die Konfliktparteien veranlassen, ihn zu beenden". Zu "überstürzt" sei die Resolution verabschiedet worden, kritisierte die Arabische Liga. Auch Jordaniens König Abdullah und Libyens Revolutionsführer Muamar Ghadafi lehnten Ende August 2004 jede ausländische Intervention im Sudan ab. Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak sicherte der sudanesischen Führung am 14. September 2004 seine volle Solidarität zu und zeigte sich zuversichtlich, dass Khartum es gelingen werde, "die Lage in der Region Darfur zu normalisieren". Der Jemen vermutete sogar ein anti-arabisches Komplott hinter dem Druck auf den Sudan.

Doch nicht nur Regierungen deckten den Genozid. So warf ein führender muslimischer Geistlicher in Ägypten, Scheich Yussef al-Qaradawi, westlichen Hilfsorganisationen sogar vor, in Darfur für den christlichen Glauben zu missionieren. Wieder einmal versagt die arabische Welt bei der Durchsetzung von menschenrechtlichen Mindeststandards in den eigenen Reihen.

Dabei vernichten in Darfur arabische Muslime ihre eigenen Glaubensbrüder. Der Genozid hat keinen religiösen Hintergrund, sondern die Menschen in Darfur haben aufbegehrt, weil ihre Region jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Auch im Osten und Norden des Sudan wird in lange vernachlässigten Regionen der Widerstand gegen die korrupte Führung in der Hauptstadt Khartum immer größer.

Papiertiger Afrikanische Union

Währenddessen schafft die sudanesische Regierung mit ihrer Vernichtungspolitik Fakten. Die von der Europäischen Union so sehr geförderte Beobachtermission der Afrikanischen Union (AU) kann dem nur wenig entgegensetzen. Wochen benötigte die AU, um nach dem Beschluss ihres Einsatzes im April 2004 wenigstens einige Dutzend Beobachter für den Darfur-Einsatz bereitzustellen und sie in die Krisenregion zu transportieren.

Drei Monate nach Beschluss der Mission waren noch nicht einmal einhundert AU-Beobachter mit ihrer militärischen Begleitung im Westen des Sudan, um in einem Gebiet von der Größe Frankreichs die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Sie verfügte dabei nur über einen Hubschrauber, für den wochenlang kein Treibstoff zur Verfügung stand.

Angesichts dieser katastrophal vorbereiteten und unprofessionell durchgeführten Mission wurden schon bald Zweifel an der Effektivität des AU-Einsatzes laut. Doch in den europäischen Hauptstädten wird die AU-Mission weiterhin als regionale Friedensinitiative gepriesen. Die Europäische Union und Kanada unterstützen den Einsatz finanziell und zum Teil mit Transportlogistik. Zwar wurde die Zahl der AU-Beobachter und ihrer militärischen Begleiter inzwischen auf über 3.000 Mann erhöht, doch kritisieren Hilfsorganisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe noch immer die Ineffektivität des Einsatzes. Tatsächlich hat die Gewalt seit Beginn des AU-Einsatzes nur noch weiter zugenommen, so dass inzwischen auch die Arbeit von internationalen Hilfsorganisationen gefährdet ist. Zwar sichert die sudanesische Führung der AU öffentlich ihre Unterstützung für die Mission zu, polemisiert andererseits aber auch gegen die AU. So fordern die sudanesischen Behörden, die ruandesischen AU-Soldaten müssten sich vor ihrem Einsatz zunächst einen Aids-Test unterziehen. Vergeblich warteten internationale Helfer auf eine Ausweitung des Mandates der AU-Beobachter. Immer wieder hatten Menschenrechtler in den letzten Monaten gefordert, die AU auch mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zu betrauen. Hilflos muss die mit zu wenig Personal, zu schlechter Ausrüstung und unzureichendem Mandat ausgestattete AU-Mission zuschauen, wie vor ihren Augen die Zivilbevölkerung terrorisiert wird. Zu gering ist der politische Einfluss der AU, um wirksam dem Sudan mit ernst zu nehmenden Sanktionen drohen zu können.

Beseitigung der Spuren der Massaker

Während westliche Politiker noch darüber streiten, ob in Darfur Völkermord verübt wird, werden in Darfur bereits die Spuren der Massaker beseitigt. Noch vor dem Eintreffen einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen wurden Anfang November im Nordwesten Darfurs Massengräber ausgehoben und Leichen beseitigt. "Jeder Tag der Untätigkeit kostet mehr Menschenleben und hilft den Killern und Folterern bei ihrer unmenschlichen Arbeit", warnte jüngst der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel. Der Überlebende des Holocausts fordert ein entschlossenes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft, um den Völkermord zu stoppen und den Sudan zu einer politischen Lösung der Darfur-Krise zu drängen. Denn 38 Jahre Völkermord im Südsudan haben gezeigt, dass die sudanesische Führung nur auf internationalen Druck reagiert und das Leiden der Zivilbevölkerung endlich beendet.