11.11.2005

Chinas Staatsfeind Nummer eins: Das Internet

Hintergrundpapier

Wir fordern: Keine zweite chinesische Mauer!

Göttingen
Mit immer neuen Gesetzen und Verordnungen schränken die chinesischen Behörden die freie Nutzung des Internets ein. Selbst der Schriftsteller George Orwell wäre beeindruckt gewesen angesichts des gigantischen Überwachungs- und Repressionsapparates, den die chinesischen Behörden aufbauen, um eine digitale chinesische Mauer zu errichten.

Am 25. September 2005 veröffentlichten der Staatsrat und das Informationsministerium eine neue Verordnung, um die "Verwaltung von Nachrichten und Informationen zu vereinheitlichen". Verbreitet werden dürfen danach nur "gesunde und zivilisierte Nachrichten und Informationen, die der Verbesserung der Qualität der Nation dienen". Ausdrücklich verboten ist die "Verbreitung von Nachrichten und Informationen, die der Staatssicherheit und dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen oder die ethnische Gewalt schüren".So werden alle Berichte über die Verfolgung von Tibetern, Uiguren, Mongolen oder Anhängern der Demokratiebewegung systematisch unterdrückt. Auch die Verbreitung von Nachrichten aus dem religiösen Leben, über Sekten, Meditationsbewegungen sowie die Weitergabe von Gerüchten sind strengstens untersagt. Damit sollen vor allem Meldungen über die Zerschlagung der Meditationsbewegung Falun Gong sowie über die Verfolgung der christlichen Untergrundkirchen unterbunden werden.

Mit dem Verbot der Verbreitung von Gerüchten soll vor allem verhindert werden, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen Anteilnahme und Solidarität erfahren und zu gemeinsamen Protesten aufrufen können. Denn noch mehr als die Informationen fürchten die chinesischen Behörden die Mobilisierungskraft regierungskritischer Internetseiten.

Angesichts der totalen Kontrolle der staatlichen Medien bot sich das Internet immer häufiger an, um schnell einen großen Kreis von Menschen über drohende Übergriffe oder bereits begangene Menschenrechtsverletzungen zu informieren. Dank des Internets verbreiteten sich in den vergangenen Jahren immer wieder in Windeseile Nachrichten über die blutige Niederschlagung von Unruhen in ländlichen Gebieten. Der wachsende Unmut der verarmenden Landbevölkerung macht der herrschenden Führung der Kommunistischen Partei immer mehr Sorgen. Die Proteste erreichten im Jahr 2004 mit 74.000 Demonstrationen eine neue Rekordmarke. Nur dank des Internets wurde im Oktober 2004 bekannt, dass bei den Protesten von 20.000 Bauern in der Provinz Sichuan gegen ihre geplante Zwangsumsiedlung für den Bau eines Staudammes mehrere Demonstranten getötet wurden. In Chat-Räumen kommentierten kritische Bürger die Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften oder mobilisierten zu Unterschriftenkampagnen gegen korrupte lokale Parteikader.

Oft tauschten Regierungskritiker Informationen über Menschenrechtsverletzungen und Solidaritätsaktionen per SMS-Kurznachricht aus. Doch auch SMS sollen nun stärker kontrolliert werden. So richteten die chinesischen Behörden inzwischen 2.800 Zentren zur Überwachung des SMS-Verkehrs ein. Der Überwachungsapparat muss gigantisch sein, da jedes Jahr mehr als 250 Millionen Kurznachrichten in China per SMS versandt werden. Das chinesische Unternehmen Venus Info Tech entwickelte im Auftrag der Behörden ein System, das anhand von Stichworten mutmaßliche "reaktionäre" Botschaften herausfiltern und ihre Absender ermitteln kann.

Auch die überall in der Volksrepublik entstandenen Internet-Cafés bekommen die wachsende Repression zu spüren. Zwischen Oktober und Dezember 2004 wurden mehr als 12.575 Internet-Cafés von den Behörden geschlossen. Alle bestehenden 100.000 Internet-Cafés sind verpflichtet, Software zu nutzen, die kontrolliert, welche Internetseiten aufgerufen werden. Auch müssen sich alle Nutzer ausweisen In vielen Provinzen wurden die Cafés inzwischen mit Videoüberwachungsanlagen ausgestattet, um alle Nutzer lückenlos festzuhalten.

Seit dem Jahr 2003 haben die chinesischen Behörden eine Internet-Polizei aufgebaut, der inzwischen schätzungsweise 30.000 Beamte angehören. Ihre Aufgabe ist nicht nur die Kontrolle der Internet-Cafés und Ermittlungen bei Internet-Delikten, sondern auch die Verbreitung von Regierungspropaganda. So sind mehrere tausend Beamte nur dafür abgestellt, sich in Chat-Räumen einzuschalten und ohne Preisgabe ihrer Identität bei Regierungskritik das Verhalten der Behörden zu rechtfertigen. So sollen sie die Kritik der Bürger bereits im Ansatz ersticken.

Angesichts der zunehmenden Proteste im Land wollen Chinas Behörden den freien Informationsfluss im Internet systematisch unterbinden. So soll das Internet ständig auf kritische Schlüsselbegriffe untersucht werden. Alle chinesischen Internetseiten wurden unter Androhung der Schließung der Website angewiesen, sich bis Ende Juni 2005 beim Ministerium für Informationsindustrie registrieren zu lassen.

Unterstützt werden die chinesischen Behörden bei ihrer Kontrolle des Internets durch westliche Internet-Provider wie Yahoo, Google und Microsoft. Denn diese Firmen haben sich ungeachtet ihrer ethischen Unternehmensprinzipien gegenüber den Behörden dazu verpflichtet, in ihrem chinesischen Internet-Angebot Filter zu installieren, die verbotene Begriffe und Internetseiten eliminieren. Rund 20.000 international zugängliche Internetseiten sind in China dank der Mithilfe westlicher Computerkonzerne gesperrt. Dazu zählen unzählige Seiten, die über die Hintergründe der Proteste von Uiguren, Tibetern und Mongolen informieren. Zwei Internetseiten, die über Menschenrechtsverletzungen in der Inneren Mongolei berichteten, wurden am 26. September 2005 wegen Verbreitung "separatistischer" Inhalte geschlossen. Regierungsunabhängige Informationen über Falun Gong sind ebenfalls nicht verfügbar. Auch der blick in taiwanesische Tageszeitungen wird chinesischen Internetnutzern verwehrt. Beim Aufruf von Begriffen wie "Menschenrechte" und "Demokratisierung" werden nur regierungskonforme Erklärungen angeboten.

Die Internetseiten chinesischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen sind regelmäßig gesperrt. Immer wieder werden auch die Websites der "Deutschen Welle", des "Wall Street Journal" und der "BBC" von den Behörden blockiert. Erst Ende Oktober 2005 wurde eine Internetseite des Schriftstellers Wang Yi gesperrt. Wenige Tage zuvor hatte die "Deutsche Welle" Wang Yi´s Seite als beste Seite für eine Auszeichnung in einem Demokratiewettbewerb vorgeschlagen.

Zurzeit sind rund 50 Personen aufgrund von Internet-Delikten in China in Haft. Zu ihnen zählen Schriftsteller, Journalisten, Anhänger der Demokratiebewegung und Falun Gong-Praktizierende. Sie müssen jahrelange Haftstrafen verbüßen, nur weil sie sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und nicht bereit sind, die Zensur des Internets zu akzeptieren.