22.09.2006

Bundeskanzlerin Merkel trifft Präsidenten Chirac und Putin (23.09.2006)

Merkel soll beängstigende Situation der tschetschenischen Zivilbevölkerung zum Thema machen

Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bei ihren Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am kommenden Samstag in Frankreich die noch immer katastrophale Menschenrechtslage in Tschetschenien ansprechen. Darum hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Bundeskanzlerin in einem ausführlichen Schreiben über die beängstigende Situation der Zivilbevölkerung im Nordkaukasus dringend gebeten. Merkel solle Putin besonders dazu drängen, den derzeitigen tschetschenischen Premierminister Ramzan Kadyrow nicht länger zu protegieren, weil dessen Milizen für rund 75 Prozent der schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verantwortlich seien.

 

Russische und tschetschenische Machthaber behaupteten zwar, die Lage in Tschetschenien habe sich stabilisiert. Doch die Fakten sprächen dagegen, hieß es in dem Schreiben der GfbV. Nach Angaben der Organisation Memorial - die allerdings nur etwa ein Viertel des Gebietes von Tschetschenien beobachten kann - wurden in den ersten Monaten 2006 47 Menschen in Tschetschenien getötet, darunter 18 Zivilisten, elf Angehörige unterschiedlicher bewaffneter Einheiten und acht Mitglieder tschetschenischer bewaffneter Gruppen. Zehn Tote konnten nicht identifiziert werden.

 

Nahezu täglich würden Zivilisten entführt. Auskünfte über die Umstände der Verschleppungen seien nur noch schwer zu bekommen, da die Verwandten von Vermissten immer häufiger versuchen, die Freilassung ihrer Angehörigen über eigene Kontakte zu Miliz, Geheimdienst oder Militär zu erreichen. Seit dem Amtsantritt von Ramsan Kadyrow 2004 habe die Verfolgung von Angehörigen mutmaßlicher tschetschenischer Kämpfer stark zugenommen. Oftmals würden Angehörige auch in Sippenhaft genommen und als Geiseln "benutzt". Familien, die über etwas Vermögen verfügen, würden von örtlichen Milizen und Behörden verfolgt, Angehörige entführt, um Geld zu erpressen. Weiter gefährdet sind ehemalige Militärs und Milizionäre, die unter ständiger Bewachung stehen und die selbst oder deren Familienangehörige immer wieder Opfer von Verhaftung werden.

 

Fast immer gingen die Täter straflos aus. Nach Angaben der tschetschenischen Staatsanwaltschaft wurden seit 1999 bis zum 1.April 2006 insgesamt 1.949 Strafverfahren wegen Entführung eingeleitet. Davon sind 31 Fälle aus unterschiedlichen Gründen geschlossen, 1.697 Fälle wurden eingestellt, weil sich angeblich die Identität der Entführer nicht feststellen ließ.

 

Die rund 200.000 Binnenflüchtlinge in Tschetschenien könnten medizinisch nicht versorgt werden. Viele ihrer Kinder könnten aufgrund zu weiter und gefährlicher Wege nicht zur Schule gehen. Es fehle an Lehrmaterial und Schulbüchern. Am 13. Juli 2006 erklärte der stellvertretende Direktor des Welternährungsprogramms der UNO in Russland, Korjun Alaverdjan, die für die tschetschenischen Vertriebenen bereitgestellten Lebensmittel reichten nur noch drei Monate. Laut Nachrichtendienst der UNO benötigt die WHO 22 Millionen US-Dollar, um rund 250.000 Tschetschenen mit dringend benötigter Nahrung zu versorgen. Nur 28% dieser Mittel sind bislang eingetrieben worden.