19.04.2005

Bundeskanzler Gerhard Schröder: Bitte drängen Sie Wladimir Putin, die OSZE nach Tschetschenien zurückkehren zu lassen

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

am morgigen Donnerstag treffen Sie in Moskau mit Wladimir Putin zusammen. Mit keinem anderen internationalen Politiker sind Sie so eng verbunden wie mit dem russischen Präsidenten. Doch dieser führt trotz Ihrer gemeinsamen Friedenspolitik im Irak einen mörderischen Krieg in Tschetschenien.

 

Wir hören von immer neuen ökonomischen, politischen und kulturellen Vereinbarungen mit Moskau, doch nie von Ihren konkreten Initiativen für die Beendigung dieses Vernichtungsfeldzuges. Deshalb appelliere ich heute dringend an Sie, als einen ersten Schritt Ihrer Friedensbemühungen den russischen Präsidenten mit allem Ernst zu drängen, die OSZE nach Tschetschenien zurückkehren zu lassen. Diese internationalen Beobachter können Transparenz in das Geschehen bringen und viele Leben tschetschenischer Kinder, Frauen und Männer retten.

 

Seit 1999 sind in Tschetschenien nach Angaben der russischen Soldatenmütter mindestens 13.000 russische Soldaten ums Leben gekommen. Nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), aber auch anderer Menschenrechtsorganisationen wurden 160.000 Tschetschenen entweder von russischen Soldaten getötet oder sie starben an den Folgen des Krieges, auf der Flucht oder während der Bombardements.

 

Jetzt ist auch Inguschetien als das Hauptaufnahmeland tschetschenischer Flüchtlinge ausgefallen. Nach den überfällen und Kämpfen zwischen Freischärlern und russischen Sicherheitskräften, aber auch nach dem unmenschlichen Druck, der auf die dort noch verbliebenen 50.000 tschetschenischen Flüchtlinge ausgeübt wurde, irren Tausende Tschetschenen auf der Suche nach Zuflucht durchs Land.

 

Seit Beginn des Jahres 2004 wurden nach Berichten der Organisation Memorial 141 Personen getötet, darunter 67 Zivilisten, 32 Mitarbeiter der pro-russischen Sicherheitsdienste, vier Repräsentanten der tschetschenischen Verwaltung und 14 mutmaßliche tschetschenische Kämpfer. Die Leichen der restlichen 24 sind noch nicht identifiziert. In Inguschetien starben allein bei den Kämpfen in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni über 90 Personen, Inguschen, Tschetschenen und Russen. 194 Personen wurden seit Januar in Tschetschenien verschleppt. 15 von ihnen wurden tot gefunden, 97 kamen frei, der Aufenthaltsort der restlichen 82 bleibt unbekannt.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Tilman Zülch

 

GfbV-Generalsekretär