07.04.2010

Brasilien, Guatemala, Peru

WRITTEN STATEMENT Indigene Völker 2010

Brasilien

Derzeit leben geschätzte 135.000 Indigene in Brasilien. Einige von ihnen halten sich in ihren eigenen Gebieten auf, andere in Städten, wieder andere wurden noch nicht kontaktiert und leben in völliger Abgeschiedenheit. Eine weitere Kategorie Indigener wird durch diejenigen Menschen, die sich gerade in diesen Tagen (erneut) selbst als Einheimische identifizieren, gebildet. Zur indigenen Bevölkerung Brasiliens gehören 235 unterschiedliche Völker, die in 24 der 27 Staaten Brasiliens leben und 180 verschiedene Sprachen sprechen.

Die Artikulation der indigenen Völker Brasiliens (APIB) ist ihre Dachorganisation, unter der die indigenen Organisationen der verschiedenen Landesregionen vereint sind:

  • die Artikulation der Indigenen Völker des Nordostens Minas Gerais und Espíritu Santo (APOINME)

  • die Artikulation der Indigenen Völker von Pantanal und Umgebung (ARPIPAN)

  • das Netzwerk Indigener Völker des Südens (ARPINSUL)

  • das Netzwerk Indigener Völker des Südwestens (ARPINSUDESTE)

  • die Große Versammlung des Volkes Guaraní (ATY GUASSÚ)

  • die Vereinigung der Indigenen Völker des brasilianischen Amazonas (COIAB).

    Den Untersuchungsergebnissen der APIB zufolge sind Brasiliens indigene Völker durch den Einfluss des Programms zur Wachstumsbeschleunigung (PAC), das die Lula-Regierung um jeden Preis durchsetzen will (Memorandum of Repudiation; APIB Dokument Nr. 12 – 13.11.2009), ernsthaft bedroht.

    Der Bau des Wasserkraftwerks von Belo Monte in Pará, der von dem Brasilianischen Institut für Umwelt und natürliche erneuerbare Ressourcen (IBAMA) im Februar 2010 beschlossen wurde, wird von den indigenen Völkern - einschließlich derer, die in freiwilliger Isolation leben - wegen seiner negativen Auswirkungen auf ihre Gebiete vehement abgelehnt. Ähnlich sieht es im Hinblick auf andere Projekte aus:

  • die Umleitung des Rio São Francisco in Pernambuco.

  • der Bau des Porto Brasil in São Paulo.

  • der Bau des Wasserkraftwerks von Estreito in Tocantins.

  • der Bau des Wasserkraftwerks des Rio Madeira in Rondônia.

  • der Bau des Wasserkraftwerks des Bacia do Rio Tibagi und der kleinen Wasserkraftwerke (PCH) in Paraná.

  • der Bau von vier PCHs in Santa Catarina.

  • der Bau von drei PCHs in Rio Grande do Sul.

  • der Bau der vier PCHs im Parque do Xingu.

  • der Bau von Ethanolanlagen in der Region des Pantanal in Mato Grosso do Sul.

  • die Asphaltierung der BR 319 in den Amazon und der BR 163 in die Staaten Mato Grosso und Pará.

    Projekte im Rahmen des PAC missachten die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die 2004 in Brasilien rechtswirksam wurde, laut der Projekte nur nach der freiwilligen und in voller Kenntnis der Sachlage erteilten Zustimmung durch die betroffenen indigenen Völker erfolgen dürfen.

    Laut dem Präsidenten der Organisation zum Schutz der indigenen Bevölkerung Brasiliens (FUNAI), Herrn Márcio Meira, liefen im ersten Halbjahr 2008 insgesamt 346 Genehmigungsverfahren in verschiedenen Phasen, die indigene Ländereien schädigen würden. ein Drittel dieser 346 Verfahren betrafen Wasserkraftwerke, 19 Prozent Autobahnen und 18 Prozent elektrische Übertragungs- und Verteilerleitungen; die übrigen bezogen sich auf Mineralabbau, Pipelines, Wasserwege, Straßen und anderes (ISA, Konvention 169 der ILO hinsichtlich indigener Völker und Stämme: Chancen und Herausforderungen für ihre Durchsetzung, 2009. Pages 323-324). Auf diese Weise missachtet die Regierung die nationalen Umweltstandards und die Rechte indigener Völker, wie sie in der föderalen Verfassung und in der internationalen Gesetzgebung (Konvention 169 der ILO und UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker), die Brasilien unterzeichnet hat, niedergelegt sind.

    Angesichts des oben Erwähnten sollte wie von APIB gefordert indigenes Land ohne weitere Verzögerung abgegrenzt und beschützt und dabei den kritischen Fällen der Guaraní-Kaiowá-, Terena- und Ofaié-Xavante-Völkern in Mato Grosso do Sul sowie dem Xetá-Volk in Paraná Vorrang gegeben werden. Ebenso sollten antiindigene gerichtliche Initiativen (Vorschläge für eine Verfassungsänderung, so genannte PECs), die von der föderalen Verfassung von 1988 beschützte Rechte aufheben würden, schnellstmöglich abgelehnt werden. Eile ist auch vonnöten bei der Umsetzung der Konvention 169 der ILO, der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker (DRIP) sowie anderer Normen und Standards für den Schutz und die Durchsetzung indigener Rechte, mit besonderer Berücksichtigung der Bedingung, dass nur bei freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung durch die indigenen Völker sie betreffende Maßnahmen durchgeführt werden dürfen.

    Darüber hinaus fordern indigene Völker die Einrichtung eines Sondersekretariats für die Gesundheit von Indigenen, die Stärkung und Durchsetzung der nationalen Umweltpolitik in ihren Territorien und die garantierte Beteiligung an dem Restrukturierungsprozess der Organisation zum Schutz der indigenen Bevölkerung Brasiliens (FUNAI), der vor kurzem ohne ihre Beteiligung begonnen wurde.

     

    Guatemala

    1996 ratifizierte Guatemala die Konvention 169 der ILO und 2007 stimmte das Land der UN-Deklaration über die rechte indigener Völker zu. Dennoch wird die bedingung der freien, vorherigen und informierten Zustimmung in den Fällen von Bergbauprojekten, Wasserkraftwerken und anderen Formen industrieller Nutzung indigenen Lands verletzt. Berichte über Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger und einen bedenklichen Anstieg von Frauenmorden - wobei viele Opfer Maya-Frauen sind - sind alarmierend. 60 Prozent der Bevölkerung Guatemalas gehören zu einem von 24 indigenen Völkern (Völker von Maya-, Garifuna- und Xinca-Usprung). Sie alle leiden unter Rassismus, Diskriminierung, Armut und Mangelernährung. 56 Prozent der Bevölkerung leben in Armut (d.h. mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag und Person), drei Viertel davon gehört zu einem der indigenen Völker. 16 Prozent der Bevölkerung müssen ihren Lebensunterhalt mit weniger als einem US-Dollar pro Person und Tag bestreiten. 49 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Mangelernährung.

    2009 musste die Regierung den Notstand ausrufen, nachdem mindestens 462 Menschen verhungert waren, unter ihnen 54 Kinder; die Maya waren die am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe. Die Regierung gibt dem Klimawandel die Schuld für die Dürre in sieben der 22 Departments und den Ernteverlust an Mais und Bohnen, dem Grundnahrungsmittel der ländlichen Bevölkerung. Doch die indigene Organisation Nationale Indigenen- und Bauernkoordination (CONIC) macht die Regierung dafür verantwortlich, dem exportorientierten Anbau von Ölpalmen für die Herstellung von Agrartreibstoff, Schnittblumen oder Erdbeeren Vorrang zu geben, während die ländliche indigene Bevölkerung wegen des Mangels an brauchbarem Ackerland verhungert.

    Die Mam-Maya aus dem Dorf Agel der Gemeinde Saqmuj im Verwaltungsbezirk San Marcos, befinden sich in einem fortdauernden Konflikt mit Goldcorp Canada, die die Marlin-Gold- und Silbertagebaumine nahe des Dorfes betreibt. Die Mam-Maya werden durch die Mine, die sich immer weiter auf indigenes Gebiet ausdehnt, vertrieben. Im Mai 2009 ließ Goldcorp Inc. durch seine hundertprozentige Tochtergesellschaft in Guatemala, "Montana Exploradora", verlauten, dass sie Land in der Gemeinde legal kauften. Doch die Gemeinde von Saqmuj bestreitet diesen angeblichen Kauf. Den Maya zufolge haben Goldcorp und der Staat Guatemala die Mitglieder der Saqmuj-Gemeinschaft nicht ordnungsgemäß über ihr Vorhaben, Gold abzubauen, informiert und keine Zustimmung der Gemeinde, Land zu erwerben, erhalten. Dadurch verletzen sie nicht nur die Bedingung der freien, vorherigen und informierten Zustimmung, sondern auch den traditionellen gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess, der die ganze Gemeinschaft berührt und nicht auf Individuen, die durch die Konvention 169 der ILO und die DRIP garantiert werden, begrenzt ist. Die Mine verbraucht enorme Mengen Grundwasser, wodurch sie den Wasservorrat für die einheimischen Maya bedroht.

    Als Folge des Gold- und Silberabbaus verbreiten sich Schwermetalle wie Blei, Arsen und Quecksilber als Staub und verschmutzen die Oberfläche des Bodens und der Wasserwege, sie verursachen Krebs, Hauterkrankungen und Erbkrankheiten. Stoßwellen, die durch Explosionen verursacht werden, schädigen die Lehmbauten im Dorf. Die Maya erhalten keine Entschädigung. Im Gegenteil, sie werden eingeschüchtert, damit sie ihre Habe verkaufen; andernfalls sehen sie sich mit Vertreibung konfrontiert. Mehr als einmal sprachen sich die Mam-Maya gegen die Marlin-Mine aus, aber ohne Erfolg.

     

    Peru

    Peru ratifizierte die Konvention 169 der ILO 1994 und akzeptierte die DRIP von 2007. Darüber hinaus verabschiedete Peru 2006 ein Gesetz zum Schutz indigener Völker, die in freiwilliger Isolation leben. Dies erlaubt jedoch weiterhin Ölbohrungen in den Gebieten dieser zutiefst verwundbaren Menschen. Theoretisch genießen die indigenen Völker - etwa 3.200.000 Quechua, 440.000 Aymara und 350.000 Mitglieder von 65 indigenen Völkern in Amazonien - recht gesicherte Menschenrechte. Tatsächlich jedoch vertritt die Regierung die Interessen der Öl- und Erdgasförderindustrie, wodurch sie den erklärten Willen der durch die Dachorganisation AIDESEP vertretenen indigenen Völker von Amazonien verletzt.

    Die Regierung unter Alan García unterstützt die Ölförderindustrie in den indigenen Gebieten Amazoniens. Das Areal ist in 180 lizenzierte Gebiete unterteilt, von denen bereits 64 von Unternehmen wie dem staatlichem Perupetro, Pluspetro aus Argentinien, Perenco aus Frankreich, Repsol YPF aus Spanien, Petrobras aus Brasilien und Petrolifera Petroleum aus Kanada ausgebeutet werden. Vermutlich 17 lizenzierte Gebiete werden von indigenen Völkern in freiwilliger Isolation bewohnt.

    Die Regierung schließt AIDESEP nicht in die Verhandlungen und Planmaßnahmen mit der Ölindustrie ein. Auf diese Weise verletzt sie internationale Vereinbarungen wie die ILO und die DRIP, zu deren Unterzeichnern Peru gehört und die das Recht indigener Völker auf freie, vorherige und informierte Zustimmung zu allen Aktivitäten, die ihre Gebiete, ihre Wirtschaft und ihre Lebensbedingungen betreffen, garantieren.

    Die indigenen Völker Amazoniens, die vom Fischfang und der Jagd in ihren Regenwaldgebieten abhängig sind, lehnen den wachsenden Einfluss der Ölindustrie ab. 2008 und 2009 reagierten sie mit öffentlichem Protest, Straßenblockaden, Besetzungen und anderen Mitteln zivilen Ungehorsams. Im Juni 2009 eskalierte die Situation, als die Polizei Feuer auf bis zu 4.000 indigene Protestierende, die eine Straße bei der Devil’s Curve außerhalb des Dorfes Bagua in Nordperu blockierten, eröffnete. Einige von ihnen stahlen offensichtlich Gewehre und benutzen sie auch gegen die Polizei. Dieser Schusswechsel, bei dem auch Schüsse aus Hubschraubern kamen, führte zu 34 Toten (offiziellen Angaben zufolge wurden 24 Polizisten und zehn Indigene getötet), einem vermissten Polizeistreifenführer und 200 Verletzten. Beamte behaupteten, die meisten Toten seien Polizeioffiziere und gaben die Schuld an den Todesfällen den indigenen Demonstranten, die wiederum die Polizei dafür verantwortlich machten. Die Meinungsverschiedenheiten führten zu der Einrichtung eines speziellen sechsköpfigen Untersuchungskomitees für das "Massaker von Bagua".

    Im Dezember 2009 kritisierten Angehörige indigener Völker, dass nur ein einheimischer Repräsentant Mitglied des Komitees war. Der Awajun-Angehörige Jesus Manaces und die Repräsentantin der religiösen Gruppen, Maria Gomez, weigerten sich, den Schlussbericht zu unterzeichnen, um auf diese Weise gegen die Untersuchungsergebnisse zu protestieren, welche sie für voreingenommen befanden. Manaces und Gomez stimmten nicht mit den Untersuchungsergebnissen der anderen vier Komiteemitglieder überein, die die Behörden lediglich für "Eile und mangelndes Fingerspitzengefühl" in ihren Entscheidungen verantwortlicht machten. Dies sei auch nur geschehen, weil sie sich beeilt hätten, Gesetze zu verabschieden, und es deshalb unterlassen hätten, deren Vorteile zu erklären. Die anderen Mitglieder befanden jedoch keine einzige Behörde dafür verantwortlich, mit AKM-Gewehren das Feuer auf Zivilisten eröffnet zu haben. Manaces und Gomez warfen dem Komitee vor, dass es - anstatt diejenigen Beamten zu suchen, die die Benutzung von AKM-Sturmgewehren gegen Zivilisten genehmigt hatten - versuche, Politiker und andere Gruppen dafür verantwortlich zu machen, indigene Völker zu Gewalt manipuliert zu haben. Darüber hinaus stimmte keine der beiden mit dem 87seitigen Schlussbericht des Komitees überein, der Ende Dezember 2009 vorgelegt wurde und auch Journalisten und Kirchenbeamte beschuldigt, Indigene falsch informiert und dadurch eine Konfrontation erzeugt zu haben.

    Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert die EU und den UN-Menschenrechtsrat dazu auf:

  • alle Unterzeichner der Erklärung der Rechte indigener Völker (DRIP) und der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO - besonders Brasilien, Guatemala und Peru - dazu anzutreiben, die Bestimmungen der Verträge in ihrer nationalen Gesetzgebung durchzusetzen, ihre Beziehungen zu den Repräsentanten der indigenen Völker entsprechend umzubilden und regelmäßig über Fortschritte zu berichten;

  • Druck auf Brasilien auszuüben, indigene Ländereien ohne weiteren Verzug abzugrenzen und zu beschützen - wobei den kritischen Fällen der Guarani Kaiowá-, Terena- und Ofaié Xavante-Völker in Mato Grosso do Sul sowie des Xetá-Volks in Paraná Vorrang gegeben werden sollte - und anti-indigene Gesetzesinitiativen (PECs - Vorschläge für Verfassungsänderungen), die versuchen, die durch die föderale Verfassung von 1988 beschützten Rechte aufzuheben, zu unterlassen;

  • ihren ganzen Einfluss auf Guatemala geltend zu machen, um die zunehmende Nutzung von urbarem Land für die Produktion exportorientierter Produkte einzudämmen, damit die Indigenen nicht weiter Hunger leiden müssen;

  • eine neue unabhängige Untersuchung des "Bagua-Massakers" in Peru unter der Beteiligung eines fairen Anteils indigener Teilnehmer einzuleiten, um Peru dazu zu bewegen, die Führungsrolle der AIDESEP wiederherzustellen und die Beteiligung von frei gewählten indigenen Repräsentanten bei allen Verhandlungen über das Gebiet und die Gleichstellung Einheimischer zu garantieren.