28.09.2007

Bosnien-Herzegowina den Weg in die EU ebnen!

Resolution der 39. Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vom 22.-23.September 2007 in Göttingen

Göttingen

Durch Völkermord- und Kriegsverbrechen haben Regierung und Armee Serbiens unter Slobodan Milosevic den international anerkannten, souveränen und multiethnischen und multireligiösen Staat Bosnien und Herzegowina, seit dem 7.April 1992 Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, zerstört. 2,2 Millionen bosnische Kinder, Frauen und Männer wurden vertrieben. Bis zu 1 200 000 Opfer der ethnischen Säuberungen konnten bis heute nicht zurückkehren. Die Hälfte des früheren Staatsterritoriums wurde der so genannten Republika Srpska überlassen, deren ethnisch gesäubertes Gebiet unter dem Einfluss des international ausgeschriebenen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic steht. Vor der Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung lebten auch in dieser multiethnischen Region Bosniens etwa 1 500 000 Menschen. Diese waren etwa zur Hälfte serbische und zur anderen Hälfte nichtserbische Bosnier. Die nichtserbische Bevölkerung macht heute nur noch höchstens 8 % der Einwohner dieses Gebietes aus.

Die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen und die Europäische Union haben es unterlassen, zur Rettung der Opfer des ersten Genozids seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zu intervenieren. Weit über 100.000 bosnische Zivilisten fielen diesem Genozid zum Opfer. Unter den Augen der UN-Truppen ermordeten serbische Einheiten in der UN-Schutzzone von Srebrenica mindestens

8 373 bosnische Knaben und Männer.

Nach dem Massenmord in Srebrenica beendeten NATO-Truppen den Bosnien-Krieg, doch gleichzeitig zementierten sie mit dem Vertrag von Dayton die ethnischen Säuberungen: Bosnien-Herzegowina wurde de facto geteilt, die Rückkehr der Vertriebenen in die Republika Srpska wurde nicht ernsthaft durchgesetzt. Die serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic sind noch auf freiem Fuß, ebenso wie zahlreiche Täter, darunter auch 892 aufgelistete Verantwortliche für das Massaker in Srebrenica, die noch immer in Ämtern und Institutionen der Republika Srpska wie im Gerichts- und Polizeiwesen beschäftigt sind. Bis heute wird so die Aussöhnung der Volksgruppen in Bosnien verhindert.

Die Europäische Union wirft den Regierenden in der Republika Srpska und der bosnisch-kroatischen Föderation vor, dass sie sich nicht einigen und so eine Lösung der bosnischen Krise verhindern. Deshalb dürfe Bosnien-Herzegowina nicht EU-Mitglied werden. Doch eine Einigung zwischen Tätern und Opfern ist so lange nicht möglich, wie die Europäische Union gemeinsam mit den Herrschenden in der Republika Srpska den Unterlegenen Schritt für Schritt Bedingungen auferlegt, die De-facto-Teilung Bosniens und damit die Folgen von Völkermord und Vertreibung endgültig anerkennen würden. Dazu gehört jetzt die Polizeireform, die dem Lande eine gemeinsame multiethnische Polizei verweigern würde.

Die GfbV-Jahresversammlung fordert die Mitgliedsstaaten der EU auf,

- nicht länger die Opferseite dazu zu zwingen, mit der Täterseite Abmachungen zu treffen, die die ethnische Säuberung weiter zementieren und die Wiederherstellung des multikulturellen, tausendjährigen Bosniens verhindern

- Bosnien-Herzegowina umgehend den Weg in die Europäische Union zu ebnen, damit die Hauptopfer der Jugoslawienkriege nicht doppelt bestraft werden.

- den Visa-Zwang für die Bevölkerung Bosniens aufzuheben, nachdem sowohl die Bürger des EU-Landes Slowenien als auch Kroatiens frei in alle EU-Staaten einreisen können, und die unerträgliche Situation zu beenden, die ausgerechnet die Überlebenden des Genozids bis heute diskriminiert.

- die 892 an dem Genozid in Srebrenica beteiligten und bis heute in der so genannten Republika Srpska bei Polizei und Behörden beschäftigten Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen.

- die Hauptkriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic festzunehmen und an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (ICTY) zu überstellen.

- die unerträgliche Zweiteilung Bosnien-Herzegowinas und damit die Zementierung der ethnischen Säuberung aufzuheben und die wiederentstandene Republik in sinnvolle, lebensfähige Regionen zu gliedern.

bis zur endgültigen Überwindung der Zweiteilung Bosniens die ehemalige UN-Schutzzone Srebrenica sofort aus der Republika Srpska auszugliedern und der Zentralregierung als selbstverwaltete Region zu unterstellen, nachdem das Land mit einer gleichen Regelung für den jetzt wieder multiethnischen Bezirk Brcko bereits gute Erfahrungen gemacht hat.