02.09.2011

Bericht: Vertreter der muslimischen und yezidischen Kurden sowie der christlichen Assyrer aus Syrien in Berlin

Gespräch mit Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung

Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, emfping am 24. August 2011 eine Delegation von Repräsentanten verschiedener Volksgruppen aus Syrien. Die Delegierten vom Nahostreferenten der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Dr. Kamal Sido begleitet.

Sido betonte, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen gehörten Minderheiten immer zu den ersten Opfern. Daher sei es bei Diskussionen über die Lage und die Zukunft in Syrien besonders wichtig, die Gefahren für die Minderheiten zu thematisieren. Die anhaltende Gewalt in Syrien habe bereits viele Opfer gefordert. Mindestens 2.200 mutmaßliche Regimegegner wurden getötet, etwa 23.000 Oppositionelle festgenommen. Aber auch Angehörige der religiösen und ethnischen Minderheiten, überwiegend Kurden, seien durch den Staat bedroht.

Mit etwa zwei Millionen Menschen bilden Kurden zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens und stellen damit die größte ethnische Minderheit dar, berichtete der GfbV-Nahostreferent. Jahrzehntelang leugnete das Regime ihre Existenz. 1962 wurde in Folge einer außerordentlichen Volkszählung 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft entzogen. Die Zahl der betroffenen „Ausländer“ oder „Nichtregistrierten“ liegt derzeit etwa bei 300.000.

Erst nach Ausbruch der Revolution im Frühjahr 2011 begann das Regime, den Kurden die Wiedereingliederung zu ermöglichen. Der Kurde M. Mikari, der elf syrisch-kurdische Organisationen vertrat, sagte, rund 16.000 Kurden hätten Pässe erhalten. Die Papiere seien jedoch nicht ohne Schmiergelder ausgestellt worden. Bis zum 11. Mai 2011 sei versucht worden, Assad zu Reformen zu drängen. Als dieser jedoch Städte von seiner Artillerie beschießen ließ, habe es kein Vertrauen mehr in das Assad-Regime gegeben. Eine Zusammenarbeit war nicht mehr möglich. Außerdem berichtete der kurdische Vertreter über die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei. Bei einem Besuch vor Ort sei Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der GfbV, der Kontakt zu Flüchtlingen verwehrt worden. Aus diesem Grund sei es wichtig, in dieser Frage kritisch zu bleiben.

Sido machte deutlich, dass die Kooperation Deutschlands mit der Türkei zwar unabdingbar sei, dabei jedoch die Flüchtlingspolitik dieses Landes genauestens beobachtet werden müsse. Zudem sei es wichtig, dass die EU eine wichtige Rolle als selbstständiger Akteur spiele. Die „syrische Angelegenheit“ dürfe nicht der Türkei überlassen werden. Der Nato-Partner werde in der Region nur noch als eine „sunnitische Schutzmacht“ verstanden. Daher könne sie nicht als Vermittler auftreten. Zudem sei die türkische Politik gegenüber den Kurden und Christen feindselig.

Mikari forderte, dass bei Gesprächen mit arabischen Oppositionellen der Begriff Vielvölkerstaat für Syrien genutzt werde, um den vielen verschiedenen Volksgruppen und religiösen Gemeinschaften gerecht zu werden und ihnen die notwendige Beachtung in den Gesprächen zu schenken. Der kurdische Vertreter ist davon überzeugt, dass für Syrien ein politisches System wie in Deutschland benötigt wird. Er forderte, den syrischen Botschafter aus Deutschland auszuweisen und den deutschen Botschafters aus Damaskus zurückzurufen, um so den diplomatischen Druck auf Assad zu erhöhen.

Löning versicherte, dass die Bundesregierung die Entwicklung in Syrien genau beobachtet, und betonte, dass weiterhin eine Sanktionspolitik verfolgt werde, um z.B. durch Ölboykotts und Kontensperrung die finanziellen Mittel des syrischen Machthabers auszutrocknen. Mikari wies daraufhin, dass das syrische Regime finanziell durch den Iran und Irak gestützt wird, wodurch eine bloße Sanktionspolitik nicht hinreichend ist.

Auch N. Hanna , Vertreter der christlichen Minderheit der Assyrer, erklärte, dass die aktuellen Umbrüche alle Menschen im Land beträfen. Als Mitglied der Assyrischen Demokratische Organisation (ADO) unterstütze er eine friedliche Linie, die insbesondere im Nordosten, wo die meisten Assyrer ansässig sind, durch gewaltfreie Demonstrationen sichtbar wird. Es werde für einen säkularen pluralistischen Staat eingestanden, in dem insbesondere die Religionsfreiheit und der Schutz der Minderheiten eine Grundlage für die Entwicklung schaffen sollen.

Dilan Issa, Vertreterin der Yeziden und Mitarbeiterin in der Redaktion der Zeitschrift „Denge Yeziudiya“ („Stimme der Yeziden“) forderte die schnelle Rückgabe der in den 1960er entzogenen Staatsbürgerschaften, die Beendung der Zwangsumsiedlungspolitik und die Beendung der Pflicht zum Islamunterricht. Sie forderte die vollständige Glaubensfreiheit für die Yeziden in Syrien und ihre Anerkennung als eigenständige Religionsgemeinschaft. Hierbei würden die Yeziden mit der Unterstützung der Bundesregierung und anderer EU-Regierungen rechnen.

Als Vertreter der Bundesregierung versicherte Löning, es sei eine grundsätzliche Linie in der deutschen Außenpolitik, Minderheiten zu schützen. Es sei wichtig, deren Forderungen zu kennen, um im Falle eines Sturzes des Assad-Regimes eine Vorstellung von der zukünftigen Entwicklung zu haben. Über die Zukunft spekuliere die Bundesregierung jedoch nicht. Das wichtigste Anliegen für Deutschland sei eine gewaltfreie Weiterentwicklung in Syrien. Die Zukunft sei nicht vorherzusehen.

Bei dem Gespräch war Gerda Asmus anwesend, die zurzeit im Hauptstadtbüro der GfbV ein Praktikum absolviert.