15.05.2008

Ausverkauf von biologischen Ressourcen und traditionellem Wissen

Menschenrechtsreport Nr. 50: Biodiversität und indigene Völker

1. Zusammenfassung

Wie in jedem zweiten Jahr treffen sich vom 19.-30. Mai 2008 die Vertreter von über 190 Staaten zur 9. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity (CBD)). Unter den 5.000 Teilnehmern werden auch mehr als 180 Vertreter indigener Völker auf der Konferenz in Bonn anwesend sein. Das rege Interesse spiegelt die enorme Bedeutung des Themas wider. Neben dem Klimawandel gilt der scheinbar unaufhaltsame Verlust an Artenvielfalt inzwischen als umweltpolitisches Thema ersten Ranges (vgl. Abschnitt 3).

Dabei stellt inzwischen nicht mehr nur die rasch schwindende natürliche Artenvielfalt ein potenzielles Problem dar. Es spricht vieles dafür, dass dieser Verlust an Biodiversität uns früher oder später alle betreffen wird.Heute und unmittelbar betroffen sind aber vor allem indigene Völker und lokale Gemeinschaften, deren Wertvorstellungen auf ein Leben im Einklang mit der Natur ausgerichtet sind. Noch weit mehr als andere Menschen sind sie auf funktionierende Ökosysteme angewiesen und verlieren durch die sich gegenwärtig abspielende Entwicklung ihre natürliche Existenzgrundlage und ihre kulturelle Identität (vgl. Abschnitt 4).

Bevor indigene Kulturen möglicherweise ganz verschwinden, bemühen sich allerdings insbesondere Pharmakonzerne im großen Stil, das traditionelle und medizinisch verwertbare Wissen indigener Kulturen für sich in Form von Patenten nutzbar zu machen. Damit aber haben sie ein Konfliktfeld geschaffen, das auch im Mittelpunkt des Bonner Treffens stehen wird. Denn eine immer größere Zahl indigener Völker und Entwicklungsländer sehen nicht ein, warum seit Generationen überliefertes Wissen nur von Fremden genutzt werden darf und betrachten ein derartiges Verhalten als Biopiraterie oder Biokolonialismus (vgl. Abschnitt 5).

Eine gewisse Hoffnung für indigene Völker bietet in diesem Zusammenhang schon durch ihr erklärtes Ziel, den Schutz der Biodiversität, die CBD. In ihr werden auch explizit die Bedeutung und die Verdienste der indigenen Völker für die Entwicklung und Bewahrung der Artenvielfalt anerkannt. Sie bietet für die Nutzung biologischer Ressourcen in Form des "Prior and Informed Consent" (der vorherigen und informierten Zustimmung), der "Mutually Agreed Terms" (der vor der Nutzung einvernehmlich ausgehandelten Bedingungen) und des "Access-and-Benefit-Sharing" (Zugang zu den biologischen Ressourcen und Aufteilung der daraus entstehenden Gewinne) Instrumente, die auch indigenen Völkern Vorteile bringen können.

Trotzdem geht auch die CBD davon aus, dass die Biodiversität für den Menschen nutzbar gemacht werden soll.

Sie schließt daher auch Patente auf Leben, wie sie das Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPS) ermöglicht, nicht prinzipiell aus (vgl. Abschnitt 6). Dieses Vorgehen widerspricht dem indigenen Verständnis vom Verhältnis Mensch-Natur. Die Privatisierung ihrer Ressourcen und ihres Wissens durch Pharma- und Agrarkonzerne aus den Industrienationen ist für sie vor allem eine moderne Form des Kolonialismus.

Zunehmend regt sich daher unter indigenen Völkern Widerstand gegen den Raub ihres Wissens und ihrer Ressourcen, wie die Beispiele in Abschnitt 5 zeigen. Den San des südlichen Afrika ist es mit Hilfe massiven öffentlichen Drucks gelungen, vor Gericht eine Gewinnbeteiligung zu erstreiten und in der mexikanischen Region Chiapas musste ein Biprospektionsvorhaben abgebrochen werden als vor allem indigene Gemeinden ihre Mitarbeit verweigerten. Auch zeigt die im September 2007 von den Vereinten Nationen verabschiedete "Allgemeine Erklärung über die Rechte indigener Völker", das die Aufmerksamkeit für die Belange indigener Völker gewachsen ist. Die 9. Vertragsstaatenkonferenz käme genau zur rechten Zeit, um ein weiteres Zeichen zu setzen. Bislang wird die CBD eher als das in Kauf zu nehmende kleinere Übel im Vergleich zum TRIPS-Abkommen Völker zum Durchbruch zu verhelfen. Das allerdings wird nur möglich sein, wenn sich die Unterzeichnerstaaten der CBD dazu durchringen, die indigenen Völker als gleichberechtigte Partner in die Verhandlungen mit einzubeziehen.

2. Forderungen

Die Positionen indigener Organisationen drehen sich um drei Themenkomplexe: 1. die Frage ihrer Souveränität und ihrer Selbstbestimmungsrechte in Bezug auf Land, den Zugang zu ihrem traditionellen Wissen und zu den genetischen Ressourcen auf ihren Gebieten, 2. die Wirkung von Vorteilsausgleich und (westlichen) geistigen Eigentumsrechten sowie 3. die Möglichkeiten eigenständiger Schutzformen für indigenes Wissen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) unterstützt nachdrücklich die Position der indigenen Völker, wie sie durch das International Indigenous Forum on Biodiversity (IIFB) vertreten werden. Unabdingbare Grundvoraussetzung für einen wirksamen Schutz der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften ist die Verabschiedung eines internationalen Regelwerks. Dieses muss auf der im September 2007 verabschiedeten UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker aufbauen.

 

Im einzelnen fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker:

1. Freie und vorherige informierte Zustimmung (Prior and Informed Consent - PIC)

Nur wenn die vorherige Zustimmung indigener Völker, lokaler Gemeinschaften und Ursprungsländer als Basis einer Verwertung gilt, haben sie überhaupt eine Chance, an Verhandlungen beteiligt zu werden. Die vorherige und informierte Zustimmung ist erforderlich, um der unerwünschten Erforschung und Erfassung von traditionellem Wissen und traditionellen Heilpflanzen (Bioprospektion) vorzubeugen.

2. Veto-Recht

Das Recht, dem Zugriff auf genetisches Material und traditionelles Wissen die Zustimmung zu verweigern, würde die Position indigener und lokaler Gemeinschaften stärken. Es wäre Ausdruck ihrer kulturellen Selbstbestimmung, die es ihnen gestatten würde, bestimmtes Wissen und manche Praktiken für sich zu behalten zu können und sie nicht der Öffentlichkeit

zugänglich machen zu müssen.

3. Definition des Aufteilungsprozesses

Vor einem Zugriff auf genetische Ressourcen und traditionelles Wissen müssen die Bedingungen und Verfahren festgelegt werden. Nur so kann eine faire und gerechte Aufteilung der Gewinne sichergestellt werden. Einvernehmlich festgelegte Bedingungen (Mutually Agreed Terms – MAT) sind eine wichtige Grundvoraussetzung für das Access-and-Benefit-Sharing (ABS), durch das auch indigene Völker und lokale Gemeinschaften ihren fairen Anteil an den aus dem Zugang zu biologischen Ressourcen fließenden Gewinnen erhalten sollen..

4. Erneuerung des PIC bei veränderter Nutzung

Die freie und informierte Zustimmung soll erneuert werden müssen, wenn Nutzer oder Art der Benutzung genetischer Ressourcen sich ändern, z.B. wenn die Nutzungsrechte veräußert werden oder eine Pflanze statt für pharmazeutische Zwecke für die Produktion von Kosmetika verwendet werden soll.

5. Partizipation aller Rechteinhaber

Wichtig ist auch die Beteiligung aller möglichen Rechteinhaber an ABS-Vereinbarungen. Nur so können Konflikte zwischen den betroffenen Gemeinschaften, die die gleichen genetischen Ressourcen und traditionelles Wissen teilen, verhindert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Gruppen von Rechteinhabern gegeneinander ausgespielt werden, um dann die kostengünstigste Zustimmung als Grundlage für einen ABS-Vertrag nutzen.

6. Multilateraler Mechanismus

In den Fällen, in denen genetische Ressourcen und traditionelles Wissen aus mehreren Ländern stammen, muss der Gewinn international geteilt werden. Einen Mechanismus zu finden, der etwaige Gewinnbeteiligungen gerecht aufteilt, ist schwierig. Eine Möglichkeit hierfür ist z.B. die Einrichtung einer Stiftung.

7. Rechtssysteme in Nutzerländern

Von überragender Bedeutung ist ein funktionierender Sanktionsmechanismus für Verstöße gegen die Erfordernisse des PIC und der MAT. Wenn die Rechtssysteme der Nutzerländer diese nicht garantieren, wird ein ABS-Abkommen in vielen Fällen nicht durchsetzbar sein. Es ist dann eine Frage glücklicher Umstände – wie im in Abschnitt 5 beschriebenen Fall der San – ob es zu einer Gewinnbeteiligung im Sinne des ABS kommt.

8. Sicherstellung der Rechtsdurchsetzung

Die Rechtssysteme der Nutzerländer müssen den Inhabern von Rechten an genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen die Chance einräumen, ihre Ansprüche durchzusetzen. Bislang weigern sich die allermeisten Nutzer-Staaten, u.a. auch die EU, ein Ursprungs-Zertifikat zur Voraussetzung der Patentierung oder Marktzulassung von neuen pflanzlichen Produkten zu machen. Erst diese Maßnahme aber gäbe den ursprünglichen Rechteinhabern des biologischen Materials die Möglichkeit, von dessen Verwendung Kenntnis zu erhalten und dann gegen diese Verletzung ihrer Rechte vorzugehen. Sie wären damit nicht mehr auf die zufällige Entdeckung von Biopirateriefällen angewiesen. Allerdings bliebe selbst bei diesen Voraussetzungen das Problem der Rechtsdurchsetzung bestehen. Diese ist aufgrund der bei hohen Streitwerten erheblichen Anwaltsgebühren oft auch eine finanzielle Frage.

9. Sicherstellung weiterer freier Nutzbarkeit

Das traditionelle Wissen bezüglich genetischer Ressourcen muss auch nach einer Vereinbarung über den Zugang frei von geistigen Eigentumsrechten bleiben, die den weiteren Zugriff für die ursprünglichen Rechteinhaber einschränken. Eine Patentierung wäre damit ausgeschlossen und eine Verzichtsklausel, wie sie die San im Falle der Hoodia unterzeichneten, unwirksam. Diese hatten in ihrem ABS-Vertrag auf eine eigene Vermarktung der Hoodia verzichtet und die vorangegangene Patentierung des Wirkstoffes akzeptiert.

10. Bewahrung und nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt

Der Raubbau an natürlichen Ressourcen und die Verteuerung ursprünglich günstiger einheimischer Produkte müssen nach Kräften verhindert werden. Ein Beispiel ist die unkontrollierte Sammlung von Wildpflanzen, die zu ihrer Ausrottung führen kann. Damit einher geht zumeist eine Verteuerung, welche die Pflanzen für oft einkommensschwache indigene Völker und lokale Gemeinschaften unerschwinglich macht.


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