16.06.2008

Aus sicherem UN-Bereich vertrieben: Niederländische Blauhelme lieferten Schutz suchende Bosnier an serbische Mörder aus

Erster Zivilprozess Srebrenica-Überlebende gegen die Niederlande am 16.06.2008 in Den Haag


Niederländische Blauhelme haben 1995 in Srebrenica Schutz suchende Bosnier, die sich in den sicheren Bereich der UN-Soldaten geflüchtet hatten, weggeschickt und so an ihre serbischen Mörder ausgeliefert, obwohl Einwohner der damaligen UN-Schutzzone nur wenige Meter entfernt bereits Opfer von Vergewaltigungen und Morden wurden. Auch Angehörigen ihrer bosnischen Übersetzer und anderen Mitarbeitern, die die UN-Soldaten persönlich kannten, wurde die Zuflucht verweigert. Mit diesen schweren Vorwürfen ziehen Überlebende der genozidartigen Verbrechen in Srebrenica am heutigen Montag in Den Haag erstmals gegen die Niederlande vor ein ziviles Gericht (Landgericht, Prins Clauslaan 60, Beginn der Anhörung 10 Uhr).

 

Gemeinsam mit Überlebenden aus Srebrenica begleitet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Anhörung mit einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude in Den Haag. Denn das Schicksal der Angehörigen der Kläger steht für das von Tausenden Einwohnern von Srebrenica.

 

Einer der beiden Kläger ist der Übersetzer Hasan Nuhanovic, der seit Jahren von der GfbV unterstützt wird. "Das tragische Schicksal seiner Eltern und seines jüngeren Bruders, die kaltblütig aus einem UN-Büro in die Hände der serbischen Truppen gewiesen und dann ermordet wurden, haben sein Leben zerstört", berichtet der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. "Alle seine Gedanken kreisen ständig um die Schrecken von Srebrenica und die Verantwortung der Blauhelme für den Tod seiner hilflosen Angehörigen." Nuhanovic hat die furchtbaren Ereignisse von Srebrenica akribisch recherchiert und in seinem Buch "Under the UN Flag" auf weit mehr als 500 Seiten in allen Details dokumentiert, bevor er seine Klage einreichte. Die Familie des ermordeten Elektrikers Rizo Mustafic hat ebenfalls Klage eingereicht.

 

Nach der Eroberung von Srebrenica durch serbische Truppen am 11. Juli 1995 zogen die niederländischen Blauhelme auf Geheiß ihrer Regierung wenige Tage später ab und ließen die ihrem Schutz anvertrauten Bosnier wehrlos zurück. 8.373 namentlich bekannte Einwohner der ehemaligen UN-Schutzzone wurden von den serbischen Eroberern ermordet und in Massengräbern verscharrt, unter ihnen auch der Vater von Hasan Nuhanovic. Seine Gebeine wurden in einem Massengrab gefunden und identifiziert. Bis heute hat er keine Gewissheit über das Schicksal seiner Mutter und seines Bruders. Viele Massengräber wurden von serbischen Truppen später mit Bulldozern verwüstet, um Spuren zu vernichten. Die Gebeine der Ermordeten wurden an anderer Stelle erneut verscharrt.

 

Die Tragödie der Familie Nuhanovic:

In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1995 war Hasan Nuhanovic mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem improvisierten Büro des UNPROFOR-Stützpunktes in Potocari, einem Vorort von Srebrenica, der unter dem Kommando des Niederländers Andre de Haan stand. De Haan, der sich mit einem Arzt und einer Krankenschwester ebenfalls in den Räumen aufhielt, war kein seltener Gast der Familie und hatte die Kochkünste seiner Mutter gelobt. Trotzdem half ihr niemand, als sie bei der Nachricht, dass neun Menschen vor der UNPROFOR-Basis ermordet worden seien, zusammenzubrechen drohte, erinnert sich der Übersetzer in seinen Aufzeichnungen. Am darauf folgenden Morgen habe de Haan zwischen 5 und 6 Uhr morgens zu ihm gesagt: "Hasan, sag Deiner Mutter, Deinem Bruder und Deinem Vater, dass sie die Militärbasis verlassen sollen."