25.08.2006

Aufrüstung "Star Wars"

Das Aufrüstungsprogramm der USA bedroht Arktisbewohner und internationale Sicherheit.

aus: bedrohte völker_pogrom 237, 3/2006
"Star Wars" ist die inoffizielle aber medienwirksame Bezeichnung für ein Aufrüstungsprogramm, das eigentlich aus der Ära Reagan stammt und seit dem September 2001 von Regierung Bush wieder intensiver verfolgt wird. Im Rahmen eines landesweiten Raketenabwehrsystems (National Missile Defense, NMD) soll teure Technologie am Boden, auf See und im Weltraum dafür sorgen, das Land gegen externe Bedrohungen optimal zu schützen. Feindliche Interkontinentalraketen sollen frühzeitig erkannt, abgefangen und zerstört werden, bevor sie ihr Ziel in den Vereinigten Staaten erreichen können. Erfasst werden sollen sie mit Radarsystemen in den USA, Kanada und der Thule Air Base auf Grönland, mit Satelliten und mit Sensoren im Weltall. Um dieses Projekt verfolgen zu können, kündigten die USA 2002 den 1972 mit der Sowjetunion geschlossenen Anti Ballistic Missile (ABM) Vertrag auf, der die Anzahl an Abwehrraketen und ABM-Stützpunkten limitierte und ein landesweites Abwehrsystem untersagte. An seine Stelle trat 2002 ein weitaus weniger verbindliches Abrüstungsabkommen, der SORT-Vertrag (Strategic Offensive Reductions Treaty, Vertrag zur Reduzierung von Offensivwaffen), der die nuklearen Arsenale begrenzt.

 

Dreh- und Angelpunkt: Fort Greely in Alaska

Eine Schlüsselstellung des Abwehrsystems nimmt der Luftwaffestützpunkt Fort Greely ein, 160 km südöstlich von Fairbanks in Alaska gelegen, der bereits seit 1942 militärisch genutzt wird. Bis Ende der 60er Jahre wurden hier chemische und biologische Waffen wie Gift- und Nervengase getestet. Dann kamen Einrichtungen zur Raketenabwehr (Ballistic Missile Defense Systems BMDS), die durch Rückstände von Öl, Treibstoff, Frostschutzmitteln, Farben, Farbverdünner und -entferner, Fotochemikalien, Pestizide, Aerosole, Kanister, Batterien, benutztes Azeton, Schwefelsäure, Abwasserschlamm etc. die Umwelt schon jetzt schwer belasten. Im August 2001 wurde Fort Greely, das eigentlich 1995 schon geschlossen werden sollte, als Testregion und für die Lagerung der landgestützten Elemente des Star Wars Programms in Betrieb genommen. Abgefeuert werden Testraketen allerdings nicht hier, sondern von Kodiak aus, einer der Alëuten-Inseln, die in der Beringsee zwischen Alaska und Sibirien liegen. Kodiak ist die zweitgrößte Insel der USA. 15.000 Menschen, mehrheitlich Inuit, leben in diesem Naturparadies, in dem auch Amerikas größtes Säugetier lebt, der Kodiak-Bär. Hier haben fünf Lachsarten ihre Laichplätze, Königskrabben, Robben, Grauwale, Heilbutt und Hering bevölkern die Gewässer. Auf Kodiak befindet sich das Kodiak Launch Centre, der kommerzielle Raketenstartplatz der 1991 gegründeten Alaska Aerospace Development Corporation (AADC), den man für den Start von Feststoffraketen buchen kann, auch für militärische Zwecke.

Der Großteil der Bevölkerung fühlt sich durch diesen "Weltraumhafen", der nur etwa 30 km von der Stadt Kodiak entfernt liegt und 1997 in Betrieb ging, bedroht. Zwischen 50 und 140 neue Jobs waren ihnen vor Bau der Anlage versprochen worden, gerade zwei Ureinwohner von Kodiak hatten im Herbst 2001 tatsächlich dort Arbeit gefunden. Erbost sind die Ortsansässigen darüber, dass die AADC sie belogen hat. Es sollten keine Raketen abgefeuert werden dürfen, die radioaktives Material oder Flüssigtreibstoff benutzen. Aber das STARS-Programm benutzt beides. Die Flugbahn der Raketen führt über zwei Ureinwohnerdörfer, Old Harbor und Akhiok. Ihre Einwohner fürchten nun Schäden durch den bei den Abschüssen entstehenden Müll für sich, aber auch für Meeresbewohner wie Grauwale und Robben. Schon die von der Armee bereits abgefeuerten Raketen setzten Substanzen wie Halon und Freon frei, die die Ozon-Schicht angreifen.

Indigene gehören auch zu den Leidtragenden des Luftwaffestützpunktes Fort Greely auf dem Festland. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft liegt der kleine Ort Delta Junction. Zu seinen 840 Einwohnern gehören auch Angehörige der Athabasken – Indianer der Gemeinschaft von Healy Lake. Sie bestätigen ebenso wie Umweltschützer, dass den in der Gegend mittlerweile lagernden gefährlichen Giftstoffen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. "Stammesmitglieder, die in der Gegend umherstreifen, fanden erst vor kurzem Kanister mit Senfgas", so Howard Mermelstein, Manager des Healy Lake Dorfrates im November 2001 gegenüber dem San Francisco Chronicle. Auf Mermelsteins Schreibtisch steht eine nicht explodierte Howitzer Granate von 1945, die ein Stammesmitglied im Herbst 2001 in der Nähe seines Büros gefunden hatte. Er benutzt sie als Briefbeschwerer und als Erinnerung an die gefährlichen Hinterlassenschaften, die zusätzlich zu heutigen Gefahren noch immer im Gebiet des Stammes schlummern. Im August 2001 reichten der Natural Resources Defense Council (Rat zur Verteidigung der Naturschätze), die Alaska Community Action on Toxics (Alaskanische Aktionsgemeinschaft zu Giftstoffen/ACAT) und sechs weitere Umweltgruppen Klage gegen das Verteidigungsministerium ein, um es zu zwingen, neue Umweltstandards für Raketenabwehrmaßnahmen in Alaska zu entwickeln. "Das Militär hat sich noch nicht einmal mit dem Gift befasst, das sie hier schon hinterlassen haben", so Pam Miller, Direktorin von ACAT, "warum sollten sie nun einfach herkommen dürfen und eine weitere Technologie, die in einigen Jahren vielleicht schon wieder veraltet ist, auf den ganzen Mist, den sie schon angerichtet haben, noch oben draufsetzen?"

Im Dezember 2005 wurde die achte Abwehrrakete in Fort Greely eingelagert, weitere sollen in diesem Jahr folgen. Bis Ende 2009 sollen über die 18 Raketen in Fort Greely und im kalifornischen Stützpunkt Vandenberg hinaus zwischen Alaska und Kalifornien weitere 22 Raketen stationiert werden, deren Standorte bislang nicht bekannt sind, so dass das Abwehrsystem dann insgesamt über 40 Raketen verfügen wird. "Seit 1999 fanden insgesamt neun bodengestützte Raketentests statt, fünf davon erfolgreich", so Rick Lehner, Sprecher der Behörde für Raketenabwehr (Missiles Defense Agency MDA), gegenüber dem American Forces Press Service im Januar 2006. Seit 2002 fanden darüber hinaus acht Tests mit seegestützten Abfangraketen statt, von denen sieben erfolgreich waren. Die seegestützten Abfangradare sind auf einer Plattform angebracht, die flexibel jeweils dorthin geschleppt werden kann, wo sie eingesetzt werden soll. Außerdem verfügt die MDA über einen luftgestützten, an einer Boeing 747 angebrachten Abfanglaser. Der bislang letzte erfolgreiche Test gelang im Februar 2006. Die von der Insel Kodiak gestartete Rakete wurde von den Radarsystemen der Beale Air Force Base in Nord-Kalifornien, 65 km nördlich von Sacramento, erkannt und anschließend von Abwehrraketen abgefangen und zerstört. "Hit to kill", heißt das im Fachjargon.

Fort Greely ist das Kontroll- und Kommunikationszentrum der insgesamt acht Militärstützpunkte in Alaska. Die Clear Air Station westlich von Fort Greely bildet zusammen mit weiteren Radarstützpunkten in Grönland (Thule Air Base) und Nord Yorkshire/Großbritannien (Fylingdales-Moor) das Raketenabwehrfrühwarnsystem. Ein weiteres Frühwarn-Radarsystem (Cobra Dane AN/FPS-108) ist auf dem Eareckson Luftwaffenstützpunkt auf der unbewohnten Alëuten-Insel Shemya stationiert. Außerdem in Alaska angesiedelt sind Fort Wainwright in Fairbanks und Fort Richardson bei Anchorage als Stützpunkte für Bodentruppen, die Eielson Air Force Base als nördlichster Luftwaffenstützpunkt (zwischen Fort Greely und Fort Wainwright) sowie die Elmendorf Air Force Base in unmittelbarer Nähe zu Fort Richardson.

 

Widerstand gegen eine Aufrüstung der Arktis

Die Inuit Circumpolar Conference (ICC), eine Nicht-Regierungsorganisation, die die ca. 155.000 Inuit in Kanada, Russland, Grönland und Alaska vertritt, versucht seit Jahren, den Ureinwohnern Gehör zu verschaffen und sie bei ihrem Kampf um die Unversehrtheit ihres Lebensraums zu unterstützen. Die fortschreitende Militarisierung der Arktis wird neue Einschnitte in das empfindliche Ökosystem zur Folge haben und führt letztlich zum Ruin der Jahrtausende alten Kultur der Inuit und anderer Arktisbewohner. ICC Grönland-Präsident Aqqaluk Lynge fordert daher den vollen Einbezug der Betroffenen in alle Verhandlungen. "Im Falle eines [militärischen] Konflikts werden wir schließlich das erste Angriffsziel sein", fügt Vize-Präsident Uusaqqak Qujaukitsoq hinzu.

1997 wurde die Bürgerinitiative Alaska Community Action on Toxics (ACAT) gegründet, die das universale Recht auf eine saubere Umwelt betont und sich aktiv gegen deren Verschmutzung wendet, indem sie wissenschaftliche Untersuchungen initiiert, Aufklärungsarbeit für Organisationen und Einzelpersonen leistet und für betroffene Gemeinden eintritt. Die Organisation No Nukes North (keine Nuklearwaffen im Norden) tritt mit Demonstrationen z.B. in Fort Greely und auf Kodiak Island 2001, sowie durch Reporte und Informationen zum Stand des NMD-Programms gegen die nukleare Aufrüstung im Norden der USA auf. Außerdem haben sich verschieden Organisationen zu einer Interessengruppe namens CODE (Citizens Opposed to Defense Experimentation) zusammengeschlossen, darunter No Nukes North, Greenpeace, ACAT, die Grüne Partei Alaska, Alaska Public Interest Research Group (AkPIRG) und einige andere.

 

US-Luftwaffenstützpunkt Thule auf Grönland

Im Norden Grönlands, in Uummannaq / Thule, wurden zu Zeiten des Kalten Krieges 650 Inuit (Inughuit) umgesiedelt, um den Bau der amerikanischen Thule Air Base ab 1953 zu ermöglichen. Grönland war damals dänische Kolonie, wurde 1953, kurz nach der Umsiedlung, zur dänischen Provinz und ist seit 1979 Autonomiegebiet der grönländischen Inuit innerhalb Dänemarks.

1995 wurde bekannt, dass die USA entgegen aller Vereinbarungen in Thule Atomsprengköpfe gelagert hatten. Außerdem stürzte Ende der 60er Jahre ein mit atomaren Waffen beladener B-52 Bomber 20 km von Thule entfernt ab, sodass die Jagdgebiete der Inuit bis heute stark mit Plutonium belastet sind. Viele Jäger leiden an Krebs oder anderen auf diese Verstrahlung zurückzuführenden Krankheiten. 1995 erhielten sie Entschädigungszahlungen, allerdings vom dänischen Staat und nicht von den USA.

Dieser Stützpunkt soll nun im Rahmen des Star Wars Programms ausgebaut werden. Hingitaq 53, die Organisation der Vertriebenen, hat bereits vor dem Obersten Gerichtshof in Dänemark geklagt, um den Ausbau zu verhindern, und fordert die Heimatsiedlung zurück. 2004 ist Hingitaq 53 vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen und hofft auf eine Entscheidung in diesem Jahr. "Ich habe wie viele andere zuvor gesagt, dass der ABM-Vertrag notwendig ist, um ein neues Wettrüsten zu verhindern. Für die Inuit ist diese einseitige Aktion von Mr. Bush (den Vertrag zu kündigen; Red.) besonders besorgniserregend, denn als nächstes werden die Amerikaner ihre gesamte militärische Infrastruktur in der Arktis und in unserem Hinterhof aufrüsten", sagt Aqqaluk Lynge. "Sie betrachten unsere Heimat als Einöde", so Lynge zur Nunatsiaq News (11. Aug. 2000). "Ich denke, es ist für uns als NGO an der Zeit ihnen zu sagen, dass wir aber genau hier leben und dass wir angehört werden wollen".