27.04.2005

Auch 50 Jahre nach der Staatsgründung tritt die Chinesische Regierung Menschenrechte mit Füßen

Kein Grund zum Feiern

50 Jahre Volksrepublik China sind aus der Sicht von Menschenrechtlern kein Grund zum Feiern. Angetreten als Befreier von japanischer Fremdherrschaft hinterließen die kommunistischen Diktatoren eine Bilanz des Schreckens. Schätzungen zufolge starben rund 20 Millionen Chinesen seit der Gründung der Volksrepublik in den Laogai-Arbeitslagern. Allein während der Kampagne des "Großen Sprunges" (1959 - 1962) kamen vier Millionen Menschen um. Während der Kulturrevolution (1966 – 1976) wurden 400.000 bis eine Million Menschen getötet. Zehntausende Mongolen, mehr als 300.000 Uiguren und rund eine Million Tibeter fielen den Verbrechen Chinas zum Opfer. Offiziellen Statistiken zufolge wurden 1997 noch immer 230.000 Menschen in Lagern zur "Umerziehen durch Arbeit" festgehalten. Der prominente Menschenrechtler Harry Wu geht davon aus, daß mindestens sechs Millionen Menschen in 1.100 Laogai-Arbeitslagern festgehalten werden.

 

Als die chinesischen Behörden 1997/1998 die prominenten Regimekritiker Wei Jinsheng und Wang Dan aus der Haft entließen und der neue Ministerpräsident Zhu Rongji medienwirksam um Vertrauen warb, hofften China-Experten dennoch auf einen politischen Frühling. Doch das Tauwetter war nur von kurzer Dauer. Mit aller Härte gingen die Behörden im Herbst 1998 gegen Oppositionelle vor, die eine demokratische Partei gegründet hatten. Wie gering der Stellenwert der Menschenrechte in der chinesischen Politik noch immer ist, wurde auch bei einem Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Jiang Zemin in der Schweiz im März 1999 deutlich. Als tibetische Flüchtlinge vor dem Hotel des Präsidenten eine riesige tibetische Fahne ausbreiteten, drohte Zemin erbost mit dem Abbruch seines Besuches. Wutentbrannt fragte er die Bundespräsidentin Ruth Dreifuss: "Sind Sie nicht in der Lage, dieses Land zu führen?" Er habe noch nie ein so chaotisches Land wie die Schweiz besucht.

 

Den Tibetern war schon vor dem Eklat in Bern klar, wie es um die Menschenrechtspolitik Chinas bestellt ist. Seit dem Ende der Kulturrevolution 1976 war die Lage der Tibeter nicht mehr so dramatisch, wie gerade jetzt. Mit allen Mitteln versucht die Regierung, den Einfluß des Dalai Lama zu zerstören und die traditionelle Kultur, Religion und Gesellschaft Tibets zu zerschlagen. Am 8. Januar 1999 startete die Regierung eine auf drei Jahre befristete Kampagne, um den Einfluß des Buddhismus und des Dalai Lama auf die tibetische Bevölkerung zu untergraben. Im Rahmen einer bereits seit 1996 betriebenen Kampagne wurden mehr als 10.000 Nonnen und Mönche aus ihren Klöstern ausgewiesen und mehr als 500 inhaftiert. Systematisch schürt Peking religiöse Konflikte unter den tibetischen Buddhisten. Dabei geht es auch die Person des Panchen Lama, des zweithöchsten religiösen Würdenträgers der tibetischen Buddhisten. Während die Behörden den von den Tibetern als Panchen Lama verehrten zehnjährigen Gedhun Choekyi Nyima noch immer an einem unbekannten Ort festhalten, reiste der von Peking ernannte Würdenträger dieses Ranges im Juni 1999 zu einem offiziellen Besuch nach Tibet.

 

In der Provinz Xinjiang (Ostturkestan) im Nordwesten Chinas werden 50 Jahre nach der Annektion Ostturkestans durch die Volksrepublik China werden fast jede Woche Uiguren aus politischen Gründen hingerichtet. Wer in Ostturkestan öffentlich für die Menschenrechte oder die Erhaltung der traditionellen Kultur und Religion eintritt, wird als "muslimischer Nationalist" und "Separatist" verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Seit 1997 wurden mindestens 210 Todesurteile gegen Uiguren verhängt und 190 auch vollstreckt. Wie in allen Minderheitengebieten siedelt Peking auch hier in großem Umfang Han-Chinesen an. Den Uiguren droht das gleiche Schicksal wie den Mongolen. 1949 lebten in der Inneren Mongolei noch fünfmal so viele Mongolen wie Han-Chinesen. Heute stellen sie nur noch 14 Prozent der Bevölkerung in der Provinz. Wer gegen die Sinisierungspolitik protestiert, muß mit jahrelangen Haftstrafen rechnen.

Doch nicht nur engagierte Vertreter der Nationalitäten gelten als Staatsfeinde. Wer immer die Allmacht der Kommunistischen Partei in Frage stellen, gilt als gefährlich. So ließen die Behörden nicht nur die Gründungsmitglieder und Sympathisanten der neuen Demokratischen Partei verhaften, sondern schüchterten vor dem 10.Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens auch systematisch die Anhänger der Demokratiebewegung ein, um neue Proteste zu verhindern. Aus Angst vor Demonstrationen wurden die Restaurierungsarbeiten auf dem Platz des Himmlischen Friedens um zwei Monate verzögert, so daß er zum Jahrestag wieder für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war.

 

Schließlich war es jedoch nicht die Demokratiebewegung, sondern die Falun Gong Sekte, die mit einem eindrucksvollen Massenprotest von 10.000 Anhängern im Zentrum der Staatsmacht internationales Aufsehen erregte. Mit der Demonstration wandten sie sich gegen Übergriffe der Polizei und gegen die diskriminierende Berichterstattung staatlicher Medien. Sichtlich überrascht vom Mobilisierungsvermögen der Sekte signalisierte die chinesische Führung zunächst Entgegenkommen. Mitte Juli ging sie dann mit Großrazzien gegen die Sekte vor und ließ mindestens 70 Mitglieder verhaften. Nicht besser ergeht es den christlichen Religionsgemeinschaften. Katholische Priester, Bischöfe und Gläubige werden wegen Religionsausübung in dafür nicht registrierten Räumlichkeiten inhaftiert. Auch protestantische Gläubige und Geistliche werden wegen ihres Glaubensbekenntnisses festgenommen oder in Arbeitslager verbannt.

 

Ungeachtet der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen hat sich die Europäische Union (EU) bei der Tagung der UN-Menschenrechtskommission 1999 in Genf erneut nicht darauf einigen können, einen China-kritischen Resolutionsentwurf einzubringen oder zu unterstützen. Während der entscheidenden Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel am 22. März empfing Bundesaußenminister Joschka Fischer durch Vermittlung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zwar eine Delegation von Tibetern, Uiguren, Mongolen und chinesischen Demokraten, die gemeinsam an den Minister appellierte, sich für eine entsprechende Resolution einzusetzen. Angesichts der Zurückhaltung zahlreicher Mitgliedstaaten sah Fischer jedoch nur wenig Chancen für eine gemeinsame EU-Initiative. Der Minister sicherte jedoch zu, bei seiner Rede in der Kommission den vollen Spielraum seines Amtes als EU-Ratsvorsitzender auszuschöpfen und die Verletzung der Menschenrechte in deutlichen Worten zu kritisieren. Der Minister hielt sein Versprechen, und dafür gebührt ihm Dank. Er ging in seiner Rede auf die Lage der Nationalitäten ein.

 

Ob Menschenrechte in den deutsch-chinesischen Beziehungen zukünftig eine größere Bedeutung haben werden, ist jedoch sehr fraglich. Denn sein Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder, gab der Menschenrechtsfrage bei seiner Chinavisite im Sommer 1999 keinen besonderen Stellenwert. Der Beauftragte für Menschenrechte im Auswärtigen Amt, Gerd Poppe, wurde weder in die Planung einbezogen, noch zur Teilnahme eingeladen. Die Plätze wurden freigehalten für mehrere Dutzend Vertreter der deutschen Wirtschaft. Die blieben dann doch zu Hause, denn nach dem Einschlag von NATO-Bomben in die Botschaft Chinas in Belgrad wurde der Besuch auf ein Minimum reduziert. Die GfbV will erreichen, daß Kanzler Schröder dem Beispiel seines Außenministers folgt und den Menschenrechten ein deutlich größeres Gewicht in dem deutsch-chinesischen Verhältnis verleiht, zum Beispiel wenn er im November 1999 China besucht.

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Ulrich Delius ist Referent für Asien und Afrika der GfbV