22.10.2008

Anhaltendes Misstrauen und Hoffen auf Europa

Ungarn in Rumänien

aus: Pogrom 249-250, 4-5 | 2008
An jedem 4. Juni steht das Leben in großen Teilen Siebenbürgens eine kurze Zeit lang weitgehend still. Die Kirchenglocken läuten, der Verkehr kommt zum Erliegen und viele Menschen halten inne, um des Jahrestages von Trianon zu gedenken. Denn am 4. Juni 1920 unterzeichnete Ungarn als einer der Verlierer des Ersten Weltkrieges (1918 war bereits die Trennung von Österreich erfolgt) im Schloss Trianon von Versailles seinen mit den Alliierten ausgehandelten Friedensvertrag. Damit büßte das Königreich Ungarn 70 Prozent seines Staatsgebietes und 65 Prozent seiner Bevölkerung ein. Auf diese Weise entstanden unter anderem die Slowakei und Kroatien. Fast alle Nachbarstaaten konnten Gebietszuwächse verzeichnen. Besonders schmerzlich war Siebenbürgens an Rumänien. Siebenbürgen oder Erdély – wie der Landstrich auf Ungarisch heißt – galt in der gesamten tausendjährigen Geschichte der Ungarn als sprachliche Wiege und kulturelles Zentrum der Magyaren. Auch heute noch gelten diese Ungarn Siebenbürgens, die vor allem den nördlichen Teil der Region bewohnen, als "die Ungarischsten aller Ungarn". Mit dem Vertrag von Trianon wurden sie zu einer Minderheit auf fremdem Staatsgebiet, die sich – anders als viele andere Volksgruppen – nicht an einer Landesgrenze sondern in der geografischen Mitte Rumäniens konzentrierte. Hier bilden die Bezirke Maros, Hargita und Kovászna das sogenannte Szeklerland (Székelyföld).

Szekler und Ungarn

Die ungarischsprachigen Szekler sind seit dem 12. Jahrhundert mit den Ungarn und den Siebenbürger-Sachsen die drei Nationen Siebenbürgens. Ihre genaue Abstammung ist unklar, es gilt allerdings als gesichert, dass sie eine andere Herkunft haben als die Ungarn. Ihre Lebensweise deutet auf eine mögliche Abstammung von Turkvölkern hin. Sicher ist aber, dass sie bei ihrer Umsiedelung nach Siebenbürgen im Jahr 1224 durch König Andreas II. bereits die ungarische Sprache angenommen hatten. Sie genossen ähnliche Privilegien wie die Ungarn und Sachsen, das heißt, sie waren von Abgaben befreit und genossen in Recht und Verwaltung eine weitgehende Autonomie. Dafür leisteten sie militärische Dienste im Rahmen der Grenzsicherung. Von ihrem Rechtsstand her waren die Szekler Adlige, von ihrer Lebensweise her eher Bauern. Mit dem Vordringen des Osmanischen Reiches wurden die militärischen Pflichten jedoch immer unerträglicher. Zusammen mit der zunehmenden Aushöhlung ihrer Autonomie war dies der Anlass für Aufstände in den Jahren 1562 und 1595-96, die von der ungarischen Zentralgewalt blutig niedergeschlagen wurden.