23.04.2005

"Alpenindianer" im "Dolomitenreservat"?

Zum Status der Ladiner und anderer Sprachminderheiten

Wer im Gadertal in Südtirol aufwächst, lernt zuhause in der Regel Ladinisch. Im Kindergarten noch Hauptsprache, steigt das Ladinische in der Schule zur "Hilfssprache" ab. In Rundfunk und Fernsehen fristet es in Südtirol ein Aschenputteldasein, im Wirtschaftsleben wird es vernachlässigt und im Landtag darf es nicht verwendet werden. Früh bringt man uns Ladinern bei, dass unsere "Kleinsprache" im großen Reich von Politik, Information und Ökonomie so gut wie nichts zählt. Ladiner müssen heute mehrsprachig sein. Auch in meiner Heimat Ladinien muss ich mich ständig sprachlich anpassen. Während sich in England jeder Fremde des Englischen befleißigt, spricht fast keiner unserer zahlreichen Gäste mit uns Ladinisch.

Mehrsprachigkeit ist Trumpf im vielsprachigen Südtirol ...

... aber ein Trumpf, den immer wir "kleinen Sprachgemeinschaften" ins Spiel bringen müssen. Tagtäglich wechseln wir - bis hin zum einfachsten Almhirten - zwischen Deutsch, Ladinisch und Italienisch. Sind wir Ladiner nicht herrlich multikulturell? Fünfzig Millionen Bürger der Europäischen Union (EU) haben eine Muttersprache, die nicht zu den elf Staatssprachen in der EU zählt. Es sind die sogenannten "weniger verbreiteten Sprachen". Allerdings gibt es darunter einige, die von Millionen Menschen gesprochen werden. So hat das Katalanische sieben Millionen Sprecher, das sind zwei Millionen mehr als die Sprecher des Dänischen. Im Gegensatz zu den Dänen haben die Katalanen aber nicht das historische Glück, in einem eigenen Staat zu leben. Dass das Autonome Gebiet Katalonien offiziell zweisprachig wurde (Katalanisch und Spanisch), mussten sie sich in langem Kampf erringen. Nun ist das Katalanische längst nicht so bedroht wie etwa das Nordfriesische in Deutschland mit seinen 8.000 Sprechern. Das Irische, eine alte keltische Sprache, ist zwar die Staatssprache Irlands, wird aber nur von 50.000 Menschen gesprochen.

Mit Italien assoziiert man gemeinhin die Sprache Dantes ...

... doch nur 44 Prozent der Bevölkerung sprechen diese Sprache im Alltagsleben. Die Mehrheit spricht eine Minderheitensprache oder einen der sehr ausgeprägten regionalen Dialekte. Den "Weltsprachen" Englisch und Französisch sowie dem Deutschen, das die Muttersprache von 25 Prozent der EU-Bürger ist, wird in Europa heute die allergrößte Bedeutung beigemessen. Dahinter steht ein rein ökonomisches Denken: Wie soll man Waren in ganz Europa und weltweit verkaufen, wenn nicht alle Akteure des Marktes miteinander kommunizieren können? So stürzen sich alle auf einige wenige Fremdsprachen, die sie im Ausland "weiterbringen" sollen. So gesehen, haben wir Ladiner als Sprachgemeinschaft ausgedient. Welches Produkt könnten wir denn in unserer Sprache verkaufen?

In unseren Tälern nimmt der Gast die Dreisprachigkeit mit Sympathie zur Kenntnis. "Wie niedlich, diese Alpenindianer mit ihrer seltsamen Sprache im Dolomitenreservat!" Die Stärkeren setzen sich durch, die Schwächeren sollen sich gefälligst anpassen. Wenn das Ladinische noch lebt, dann ist es der Zähigkeit jener zu verdanken, die so weiterreden wollen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Aber nicht alle Sprachen sind so zäh.

Die von der EU in Auftrag gegebene Studie "Euromosaic" ...

... ergab 1996 den Befund, dass 23 von den in der EU gesprochenen 48 Sprachen "nur kaum" oder "überhaupt nicht" überlebensfähig sind. Brüssel weigert sich jedoch, Konsequenzen aus dieser Studie zu ziehen. Die EU gibt zwar an die vier Millionen Ecu jährlich für die Förderung der "weniger verbreiteten Sprachen" aus, doch für den rechtlichen Schutz dieser Minderheitensprachen war im Vertrag von Maastricht kein Platz.

Vor allem die traditionell minderheitenfeindlichen Staaten wie Frankreich und Griechenland, aber auch Italien haben es durch ihr konsequentes Nichtstun geschafft, 15 Sprachen - z.B. das Bretonische, Korsische, Okzitanische, Albanische, Griechische, Slawo-Mazedonische, Aromunische, Pomakische - an den Rand des Untergangs zu drängen. Heute leben wir im Zeitalter der Globalisierung, der offenen Grenzen innerhalb der EU und der Datenautobahnen. Zwischen dem Nordkap und Sizilien werden wir Europäer uns immer ähnlicher. Aber auch eine Gegentendenz macht sich bemerkbar, nämlich seine engere Heimat wieder zu suchen und zu schätzen. Sich zu unterscheiden, scheint ein Grundbedürfnis der Menschen zu sein, und sprachliche Identität ist ein ganz wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Während Europa also über den Euro und die Märkte zusammenwächst, gewinnt regionale Identität wieder an Anziehungskraft. Hoffnung also auch für das Ladinische?