12.05.2005

Afghanistan: Überleben der Bevölkerung sichern, demokratischen Wiederaufbau ermöglichen

Amerikanisch-britische Luftschläge auf Afghanistan

US-Präsident George W. Bush will Osama bin Laden, den mutmaßlichen Drahtzieher der brutalen Terrorangriffe in New York und Washington vom 11. September 2001, gefangen nehmen lassen und sein Netzwerk Al-Quaida zerschlagen. Schon die amerikanischen Gewaltandrohungen haben eine neue Massenflucht von mehr als 1,5 Millionen Afghanen ausgelöst. Dabei haben die Afghanen in den vergangenen zwei Jahrzehnten wie kein anderes Volk unter Krieg und Zerstörung gelitten. Auch sie sind Opfer des Terrors.

1978 ergriffen in Afghanistan Kommunisten die Macht, ein Jahr später besetzte die sowjetische Armee das Land. Unter dem Einfluss fundamentalistischer islamischer Lehren leisteten afghanische Mujaheddin ("Gotteskrieger") erbitterten Widerstand. Bewaffnet wurden sie u.a. von den USA. Bis zum Abzug der Sowjets 1989 starben mehr als eine Million Afghanen durch Kriegshandlungen und Völkermordverbrechen. Vier Millionen Menschen waren geflohen. Anfang der 90er Jahre versank Afghanistan dann in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Mujaheddin-Fraktionen.

Die Taliban entstanden 1994 als ein Versuch, in Afghanistan Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Mit Geld aus Saudiarabien ließ der pakistanische Militärgeheimdienst ISI in radikalen sunnitischen Koranschulen junge Männer rekrutieren. Ein zuvor völlig unbekannter Mann, Mullah Omar, wurde als Führer der Bewegung installiert. Auch die USA unterstützten die Taliban und hatten dabei ökonomische Hintergedanken: 1995 schloss die US-Ölfirma Unocal mit den Taliban einen Vertrag über den Bau einer Erdgaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan.

Die Taliban richteten in Afghanistan eine Diktatur ein, die auf einer extremen Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, beruht. Nicht nur Verbrecher haben härteste Strafen wie Amputationen und Hinrichtungen zu befürchten. Alle Andersdenkenden wie z.B. Schiiten werden als "Ungläubige" verfolgt. Die Frauen müssen die "burka", den Ganzkörperschleier, anlegen und werden aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Den Mädchen wird die schulische Bildung verweigert.

Die Taliban stützen sich vor allem auf die Paschtunen, die größte Volksgruppe Afghanistans. Auch gegen Angehörige von ethnischen Minderheiten gingen die "Religionsstudenten" immer wieder grausam vor. Nördlich der Hauptstadt Kabul vertrieben sie Hunderttausende Tadschiken. Nach der Eroberung der Stadt Mazar-e Scharif am 8. August 1998 ermordeten sie mehrere Tausend Hazara, eine Volksgruppe mongolischen Ursprungs, die einen persischen Dialekt spricht. Anfang Januar dieses Jahres wurden abermals mehr als 300 Hazara-Zivilisten von Taliban umgebracht. Im April 2001 ordneten die Taliban an, dass die wenigen noch in Afghanistan lebenden Hindus sich mit einem Stück gelben Stoffes kenntlich machen müssen.

Auch wirtschaftlich haben die Taliban Afghanistan dem Verfall preisgegeben. Die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen behinderten sie mit immer neuen willkürlichen Erlassen. So konnte die Dürre der letzten Jahre dramatische Auswirkungen zeitigen. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren bereits Ende August 2001 sechs Millionen Afghanen von Lebensmittelhilfe abhängig, und mehr als eine Million Menschen litt Hunger. Mehr als zwei Millionen Afghanen lebten als Binnenflüchtlinge in erbärmlichen Verhältnissen. Das Nachbarland Pakistan hatte schon 1,5 Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen, der Iran eine Million.

Damit Afghanistan Frieden findet, müssen nicht nur Osama bin Laden und seine Leute verschwinden. Vielmehr müssen auch die Taliban gestürzt werden. Allerdings hat auch die "Nordallianz", in der sich Gegner der Taliban zusammengeschlossen haben, und die durch die amerikanischen Militäraktionen begünstigt wird, in den letzten Jahren schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Für einen demokratischen Wiederaufbau muss deshalb unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen eine neue Nationalversammlung ("Loya Jirgah") mit Vertretern von allen ethnischen und religiösen Gruppen einberufen werden. Der letzte afghanische König Zahir Schah, der das Land 1973 verlassen musste, kann dabei am ehesten eine Vermittlerrolle bei der Einbindung der paschtunischen Stämme spielen. Auch die gebildeten Eliten müssen in das Land zurückkehren können. In den kommenden Wintermonaten aber gilt es vor allem ein Massensterben in Afghanistan zu verhindern.

Menschenrechtsarbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker für Afghanistan

In den 80er Jahren machte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit eindrucksvollen Kampagnen auf die Völkermordverbrechen der sowjetischen Angreifer aufmerksam, dem eine Million Afghanen zum Opfer fiel. Nach deren Rückzug warnten wir vor der einseitigen Aufrüstung extremistischer Islamisten durch westliche Länder und arabische Diktaturen und informierten 1998 bis 2000 detailliert über Massaker der Taliban an den Hazara. Oppositionelle Afghanen arbeiten in der GfbV mit. Wir organisieren Kundgebungen mit afghanischen Flüchtlingen und treten für ihre Rechte in Deutschland ein. Wir unterstützen Fraueninitiativen in Afghanistan und vermittelten medizinische Hilfe für das Hazarajat.